Der 116. bis 120. Verhandlungstag im Münchner „NSU“-Prozess

29.06.14 • JEZT AKTUELL, STARTKeine Kommentare zu Der 116. bis 120. Verhandlungstag im Münchner „NSU“-Prozess

JEZT - INSIDE NSU - Teaser

Von Annett Szabo zusammengestellt für JEZT u.a. aus Pressemitteilungen:

27.05.2014 = Der 116. Verhandlungstag

Auch an diesem Verhandlungstag ging es um den 4. November 2011, als zuerst eine Sparkassenangestellte aussagte, die bei dem letzten Raub des „NSU“ mit einer Waffe bedroht worden war. Der Raubüberfall hat tiefe Spuren bei ihr hinterlassen, wie sie sagte. Als einer der maskierten Täter („der größere“ = Uwe Böhnhardt) mit seiner Waffe den Filialleiter niedergeschlagen hatte, beschloss die Mitarbeiterin, den Tresor zu öffnen. Sie habe zu ihrer Kollegin gesagt, „Schluss, aus, vorbei, jetzt reicht’s“, dann seien sie mit dem Räuber in den Keller gegangen. Dort händigten die beiden Frauen insgesamt 72.000 Euro Bargeld aus.

Auf die Aussage der Zeugin folgte die teilweise bizarre Aussage eines Kriminalpolizisten aus Bayern, der sich mit den Handys des Mitangeklagten André Emngr. und seiner Frau Susann zu befassen hatte. Auf dem Smartphone des Ehemannes fand sich eine Videodatei mit Reden von Adolf Hitler und Bildern der Hitlerjugend, in schneller Schnittfolge und unterlegt mit dem Popsong „Born to be alive“. Im Handy von Susann Emngr (gegen die die Bundesanwaltschaft in einem weiteren Verfahren des „NSU“-Komplexes ermittelt), entdeckte der Beamte ein Bild von „Hitler-Wein“, einen Getränk, dessen Flaschen ein Konterfei Adolf Hitlers haben und dass man in Österreich und Italien erwerben kann.

interessanter war aber, was dem Polizisten bei der Sichtung der Verbindungsdaten der Handys aufgefallen war. In der Zeit vom 4. November bis zum 8. November 2011 (dies war der Tag, an dem sich Zschäpe in Jena der Polizei gestellt hatte) waren die Datenspeicher weitgehend leer. Ganz offensichtlich hatte das Ehepaar Emngr eifrig Gesprächsdaten von ihren Handys gelöscht. Allerdings sagte ein anderer Beamter aus, man habe ermittelt, dass es zumindest am 4. November 2011 nach 15 Uhr (= der Zeitpunkt des Brandes in der Frühlingsstraße in Zwickau) mehrere Verbindungen zwischen dem Handy von André Emngr und einem Mobiltelefon gegeben, das Beate Zschäpe genutzt hatte.

03.06.2014 = Der 117. Verhandlungstag

Um eine Christstollen-Dose, die von den „NSU“-Terrorzelle kurz vor Weihnachten 2000 im Lebensmittelgeschäft eines Iraners in der Kölner Probsteigasse hinterlassen worden ist und die Anfang Januar 2001 explodierte, ging es am 117. Tag vor dem Münchner OLG.

Laut Anklage betrat entweder Uwe Mundlos oder Uwe Böhnhardt kurz vor Weihnachten 2000 das Geschäft mit einem Korb, in dem sich die präparierte Christstollendose befand. Der Täter nahm aus einem Regal eine Flasche Whiskey dazu, vermutlich um die Splitterwirkung noch zu erhöhen. An der Kasse behauptete der Mann, er habe sein Portemonnaie vergessen und wolle es schnell holen. Der Korb blieb im Geschäft, doch der Mann kam nicht zurück. Wochen später, am 19. Januar 2001, öffnete Mashia M., Tochter des Ladeninhabers, die Blechdose, die mit einem blauen Geschenkband verziert war. Die Druckwelle der Explosion verwüstete den Raum, „die Schaufensterscheibe wurde zerstört und die Rolläden rausgedrückt“, wie ein Polizist aussagte, der beim Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen als Sprengstoffermittler tätig ist.

Die Ermittler sprachen u.a. mit der Abteilung für Staatsschutz, die sich mit politisch motivierten Delikten befasst, und mit dem Verfassungsschutz, eine konkrete Spur auf den oder die Täter fand sich aber nicht.

JEZT - RADIO LOTTE Mediathek zum NSU Prozess04.06.2014 = Der 118. Verhandlungstag

An Prozesstag 118 sagte die Deutsch-Iranerin Mashia M. vor dem OLG aus, die Anfang 2001 in der Kölner Probsteigasse Opfer des damaligen Sprengstoffanschlags des „NSU“ wurde. Die junge Frau schilderte, wie sie im Geschäft ihrer Eltern in Köln nichtsahnend eine Christstollendose öffnete und dadurch die Bombe zur Explosion brachte. „Da war ein lauter Knall, helles Licht, dann wurde alles dunkel“, sagte sie und fügte an, dass ihr Gesicht von plastischen Chirurgen wiederhergestellt worden sei, jedoch die Narben bleiben würden. „Die sind alle noch sichtbar, wenn ich abgeschminkt bin. … Man wird tagtäglich darauf angesprochen: Was ist denn mit dir passiert? Und dann steht man da und weiß nicht, was man darauf antworten soll“, berichtete sie der Strafkammer.

Die Überlebende des Sprengstoffanschlags hatte viel Glück, wie ein Gutachter später ausführte: Wäre sie nur einen Meter näher an der Bombe gewesen, hätte sie die Explosion wohl nicht überlebt, sagte er und berichtete von schwersten Brandverletzungen im Gesicht und an der rechten Hand. Zudem hätten herumfliegende Splitter viele Schnittverletzungen an ihrem Körper verursacht. „Splitter übersäten ihre Haut, so kann man es beschreiben“, sagte er und fügte an, dass zudem beide Trommelfelle geplatzt seien und das Schwarzpulver sich „wie Tätowierungen in die Haut eingebrannt“ hätte.

Danach schilderte ein Kölner Polizist die Verletzungen als „Bild des Grauens“. Er sagte vor dem Münchner Oberlandesgericht über seinen ersten Besuch bei der damals 19-Jährigen im Krankenhaus aus: „Dieses Bild hat sich in meine Seele eingeprägt, das werde ich nie vergessen“. Gesicht und Unterarme seien völlig verbrannt gewesen. Der „NSU“ hatte diesen Bombenanschlag später in seinem Bekennervideo zynisch als „das Bömbchen“ verharmlost.

05.06.2014 = Der 119. Verhandlungstag

Der 119. Verhandlungstag brachte eine kleine Überraschung mit sich. Als Zeuge war der Vater der am 19. Januar 2001 schwer verletzten jungen Frau geladen. Die Tochter des Deutsch-Iraners hatte die Explosion des in einer Christstollen-Dose versteckten Sprengsatzes nur mit Glück überlebt.

Die von dem Vater vor dem Münchner Oberlandesgericht abgegebene Täterbeschreibung weicht allerdings deutlich vom Aussehen der beiden „NSU“-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ab. So soll es sich bei dem Mann, der im Dezember 2000 die Christstollendose in dem Kölner Lebensmittelgeschäft zurückließ um einen kleinen, sehr schmaler Mann mit Locken gehandelt haben, wie der Vater aussagte. Dieser habe in dem Laden „eine Runde gedreht“ und etwas kaufen wollen. An der Kasse habe der Mann aber bemerkt, dass er sein Portemonnaie vergessen habe, sagte der Zeuge aus.

Daraufhin habe der Mann den Laden verlassen, um Geld zu holen. Seinen Korb mit einer Christstollendose ließ er zurück und kam nicht wieder. Die junge Deutsch-Iranerin hatte die verhängnisvolle Dose Wochen später geöffnet, wodurch die Sprengladung detonierte. Erst durch die Enttarnung des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ und den Fund des sog. „Frühling“-Bekennervideos im November 2011 war bekannt geworden, dass der Bombenanscfhlag dem „NSU“ zuzurechnen war und als Motiv wohl Fremdenhass angenommen werden muss.

26.06.2014 = Der 120. Verhandlungstag

Nach mehr als zwei Wochen Pause war am OLG München nochmals der Anschlag in der Kölner Probsteigasse Thema. Als Zeugen gehört wurden Sachverständigen Oliver P. und Rüdiger M., die Auskunft gaben zu ihren Gutachten zum Gesundheitszustand des Opfers sowie zum Bombenanschlag an sich aus kriminalistischer Sicht. Oliver P. beschrieb die verheerenden Folgen der Explosion für die Gesundheit des Opfers, zeigte im Gerichtssaal Fotos der schwer verletzten jungen Frau, wobei die Hauptangeklagte Beate Zschäpe nach Reporterangaben ihr Gesicht in einem Schal versteckte und die Fotos nicht ansah. Am Nachmittag wurde eine Kölner Polizistin als Zeugin gehört, die über das Tatortbild nach Eintreffen der Polizeikräfte Auskunft gab.

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