Der 121. bis 125. Verhandlungstag im Münchner „NSU“-Prozess

10.07.14 • JEZT AKTUELL, STARTKeine Kommentare zu Der 121. bis 125. Verhandlungstag im Münchner „NSU“-Prozess

JEZT - INSIDE NSU - Teaser

Zusammengestellt von Annett Szabo und Tim Schwarz:

01.07.2014 = Der 121. Verhandlungstag

Der 121. Verhandlungstag war geprägt von dem Vorwurf der Befangenheit gegen die verhandelnde Strafkammer am OLG München, den Nicole Schneiders, die Anwältin des Mitangeklagten Ralf Wohlleben, gestellt hatte. Vor allem die Aussagen des geständigen Mitangeklagten Carsten Schltz. zur Beschaffung der “Ceska“-Pistole und der Bezahlung der Waffe werte das Gericht einseitig und selektiv, so Schneiders. Schltz habe an vielen Stellen widersprüchlich ausgesagt und sich an anderes nicht mehr richtig erinnert, begründete Wohllebens Anwältin ihren Antrag.

Danach sagte als einziger Zeuge des Tages ein Mann aus, der als Organisator rechtsradikaler Kameradschaften und militanter Skinheadgruppen eine wichtige Rolle im Umfeld der „NSU“ gespielt haben soll. Thomas G., einst ein führender Kopf aus der Thüringer Neonazi-Szene, berichtete dem Gericht allerdings nichts über seine Verbindungen zu den militanten „Hammerskins“, denen der „NSU“ nahe gestanden haben soll, und verweigerte statt dessen die Aussage. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl drohte ihm deshalb eine Ordnungsstrafe an.

Ansonsten räumte Thomas G. mehrere Gewalttaten ein, für die er insgesamt dreieinhalb Jahre im Gefängnis gesessen hatte. In Haft habe er viele Kontakte geknüpft, sagte G., und u.a. seine spätere Freundin Mandy Struck kennengelernt, die ihm als Mitglied einer neonazistischen Gefangenenhilfe Briefe ins Gefängnis schickte und ihn dort auch besuchte. Den Namen und die persönlichen Daten dieser Frau benutzte Beate Zschäpe später für ihr Leben im Untergrund. Thomas G. gab auch zu, nach seiner Freilassung aus der Haft vor allem Kontakt zu Ralf Wohlleben gepflegt zu haben. Richter Götzl kündigte an, dass er den Zeugen ein weiteres Mal laden wird.

02.07.2014 = Der 122. Verhandlungstag

Am 122. Tag ging es im „NSU“-Prozess um Wahrheit und Erinnerungslücken. Enrico T. wurde zum zweiten Mal im Münchner Gerichtssaal als zeuge gehört und hatte dieses Mal einen Rechtsanwalt an seiner Seite. Unter anderem ging es um jene Ceska-Pistole, mit der neun von zehn Morden des „NSU“ begangen wurden. Weshalb T. unmittelbar nach seiner ersten Befragung vor dem Münchner OLG in die Schweiz gefahren sei und dort mit einem anderen Prozess-Zeugen zusammengetroffen sei, wollte ein Opferanwalt von ihm wissen. Der Besuch in der Schweiz sei eine „Kurzschlussreaktion“ gewesen, sagte Enrico T., allerdings habe er sich mit dem Mann „nicht über den Prozess“ unterhalten. Das rief den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl auf den Plan, der dem Zeugen ins Gewissen redete und ihn an die unbedingte Wahrheitspflicht erinnerte.

T. blieb aber bei seiner Darstellung und machte auch zu anderen Waffengeschäften (u.a. hatte er mit sog. „Schiesskugelschreibern“ gehandelt) unrichtige bzw. unvollständige Angaben, weshalb die Bundesanwaltschaft einen Antrag auf Protokollierung der fraglichen Passagen stellte, da man anschließend gegen Enrico T. wegen des Verdachtes der uneidlichen Falschaussage vor Gericht ermitteln müsse. Götzl klärte dem Zeugen daraufhin darüber auf, welche empfindlichen Strafen für solche Vergehen üblich sind; trotzdem korrigierte T. seine Aussagen nicht, worauf die Bundesanwaltschaft T. definitiv Konsequenzen wegen dessen Auftreten vor Gericht ankündigte.

Gegen Enrico T. – ein Jugendfreund von Uwe Böhnhardt – laufen derzeit auch Ermittlungen wegen eines Kindsmordes in Jena aus dem Jahre 1993. Die Leiche des damals neunjährigen Bernd Beckmann war seinerzeit in der Nähe eines Außenbordmotors gefunden worden, der Enrico T. gehörte. Diese hatte stets beteuert, das Boot und der Motor seien ihm wenige Tage vor der Tat gestohlen worden.

JEZT - RADIO LOTTE Mediathek zum NSU Prozess03.07.2014 = Der 123. Verhandlungstag

Die erste Zeugin des 123. Verhandlungstages war Jacqueline Wohlleben, Ehefrau von Ralf Wohlleben. Sie machte von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch und wurde bereits nach knapp zwei Minuten wieder den Zeugenstand entlassen. Daraufhin fragte sie Richter Götzl etwas, dieser nickte, worauf sie zu ihren Mann ging, ihn umarmte und küsste und sich dann zu ihm auf die Anklagebank setzte, wo sie bis zum Nachmittag sitzen blieb und mit Ralf Wohlleben demonstrativ Händchen hielt.

Als der zweite Zeuge vernommen wurde, Christoph G., ein Kriminalbeamter aus Rosenheim, unterbricht die Verteidigung von Beate Zschäpe die Befragung und des Vorsitzenden Richters zur Wohnungssuche für das untergetauchte „NSU“-Trio im Jahr 1998 und moniert angebliche Suggestivfragen, die sich wie ein roter Faden durch die Vernehmung zögen. Die zur Wohnungssuche befragten Polizeibeamten seien sämtlich voreingenommen gewesen, argumentiert Rechtsanwalt Stahl und würden überhaupt nicht zwischen den einzelnen Mitgliedern des „NSU“, insbesondere seiner Mandantin, differenzieren. Stets werde von einem „Trio“ gesprochen, niemals ein konkreter Name genannt.

Der Polizeibeamte versucht, sich zu rechtfertigen: es sei immer um Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe gegangen. Deswegen sei klar gewesen, dass über die drei geredet wurde, wenn das Wort „Trio“ benutzt wurde. Zumindest scheint dies ein kleiner Punktsieg für die Verteidigung von Beate Zschäpe zu sein, denn das Gericht kündigte an, man werde am Ende des Prozesses prüfen, was von der Vernehmung als Beweis verwertbar sei.

08.07.2014 = Der 124. Verhandlungstag

An diesem Verhandlungstag war eine Zeugin aus Eisenach vor Gericht geladen, die vor der Strafkammer aussagte, Beate Zschäpe am 05.11.2011 – also mehr als einen Tag nach deren Flucht aus Zwickau – in Eisenach gesehen zu haben. Zschäpe sei ihr im Ortsteil Stregda auf genau der Straße entgegengekommen, in welcher das abgebrannte Wohnmobil ihrer verstorbenen Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gestanden habe, sagte die Zeugin. Sie sei Zschäpe hierbei „bis auf etwa vier Meter“ nahegekommen.

Die ihr damals unbekannte Frau sei aufgefallen, „weil ich sie vorher noch nie gesehen hatte“, sagte Carmen B. aus, die in Stregda wohnt. Aufgefallen sei ihr zudem, dass Beate Zschäpe spürbar teilnahmslos gewesen sei. „Sie hat nur nach unten geguckt, nicht nach links und rechts“, sagte die Zeugin. Später hätten ihr Kripo-Beamte eine Auswahl Bilder gezeigt, auf denen sie Zschäpe „zu neunzig Prozent“ wiedererkannt habe.

Mundlos und Böhnhardt waren nach einem Banküberfall am 04.11.2011 in Eisenach zuerst von der Polizei entdeckt worden, wonach das gemietete Wohnmobil in Flammen aufging und die beiden Rechtsterroristen ums Leben kamen. Daraufhin war die über Jahre laufende Serie von Morden und Sprengstoffanschlägen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ / „NSU“ aufgeflogen. Ob Zschäpe tatsächlich vor, während oder nach dem Überfall in Eisenach war, ist weiterhin unklar. In Zwickau setzte sie am 04.11.20111 die konspirative Wohnung des „NSU“-Trios in Brand und flüchtete dann kreuz und quer durch Deutschland.

09.07.2014 = Der 125. Verhandlungstag

In mehreren deutschen Städten starben zwischen September 2000 und April 2006 sechs Türken, zwei Deutschtürken und ein Grieche, wurden ermordet von den Männern des „NSU“-Trios: Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Am 125. Tag des „NSU“-Prozesses trat Jan Böhnhardt in den Zeugenstand und er tat dies in legerer Kleidung, präsentierte sich der Kammer und den Nebenklägern ganz in weiß mit stylischem Shirt, Shorts und Tennissocken. Ebenso unbekümmert redete er über seinen toten Bruder Uwe, den rechtsextremen Mörder.

Er habe zu seinem kleinen Bruder einen „Superkontakt“ gehabt, denn der sei „ja ein kleiner, aufgeweckter Junge“ gewesen. Sogar so aufgeweckt, dass Uwe „irgendwann ausgerissen“ sei. Mit „irgendwann ausgerissen“ meinte Jan Böhnhardt das Untertauchen vom Januar 1998, gemeinsam mit Uwe Mundlos und Beate Zschäpe, als die Jenaer Polizei die erste Bombenwerkstatt des späteres „NSU“ entdeckte. Fast 14 Jahren blieb Uwe Mundlos „ausgerissen“ und hat in dieser Zeit laut Anklage eine Blutspur durch die Republik gezogen.

Aber für den Zeugen war das „Reinrutschen“ des acht Jahre jüngeren Bruders in die rechte Szene „sein Ding. (…) Ich hatte nicht den Eindruck, dass es so schlimm war“, sagte Jan Böhnhardt aus. Auch habe ihn sein Bruder niemals bedrängt, auch rechtsextrem zu werden, gab er zu Protokoll und fügte an: „Er hat mich in nichts reingezogen“. Richter Manfred Götzl wollte daraufhin wissen, ob der Zeuge bei seinem Bruder eine Orientierung zur Gewalt mitbekommen habe – die Antwort: „Mir war nicht aufgefallen, dass er jemanden verhauen hatte“.

Von Götzl daraufhin zur politischen Einstellung von Uwe Böhnhardt befragt, antwortet Jan Böhnhardt: „Er hat gesagt, dass ihm vieles nicht gefällt in Deutschland, mit Ausländern.“ Der Vorsitzende Richter hakte nach, wie es da um den Zeugen selbst bestellt sei. Jan Böhnhardt berichtete, auch ihm gefalle vieles nicht, „was mit Deutschland zu tun hat“. Aber er selbst sei deshalb keineswegs ein Rechter. Vielmehr sei er „natürlich“ dagegen gewesen, dass Bruder Uwe in die der rechten Szene verkehrte, und „bei mir zuhause musste er die Stiefel ausziehen“, sagte der Zeuge.

Dann stieg Matthias D**n*lt, in den Zeugenstand. Er hatte in Zwickau die „NSU“-Wohnungen in der Polenzstraße und der Frühlingsstraße angemietet; dabei trat die Hauptangeklagte Beate Zschäpe im Nachgang oft als seine Schwester „Lisa / Liese Dienelt“ auf. In den Räumen der Wohnungen hatten Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt vom Frühjahr 2001 bis zum Ende des „NSU“ im November 2011 unter falschen Namen gelebt. Dem Zeugen wurde vorgeworfen, die Wohnungen für die drei Untergetauchten angemietet und mit Uwe Mundlos jeweils einen Untermietvertrag geschlossen zu haben.

Matthias Dn*lt weigerte sich jedoch im Gericht, als Zeuge auszusagen, da die Bundesanwaltschaft ihn als Beschuldigten im „NSU“-Komplex führe. Die OLG Richter hatten dies offenbar geahnt und nach dem Zeugen einen Polizeibeamten aus Zwickau geladen, der Dn*lt im November 2011 vernommen hatte, nachdem die von ihm angemietete Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße 26 in Flammen aufgegangen war. Der Polizist berichtete ausführlich, was der schweigsame Zeuge seinerzeit ausgesagt hatte.

So will der „NSU“-Helfer über seinen langjährigen „guten Freund“ André Em. (auch er ist in München angeklagt) Kontakt zu einem „Max-Florian Burkhardt“ bekommen haben, der in Zwickau eine Wohnung gesucht habe, aber nicht selbst Räume anmieten konnte, da er wegen Schulden bei der Schufa keinen guten Leumund gehabt habe – Uwe Mundlos nutzte bis zu seinem Tod im November 2011 die Identität „Max-Florian Burkhardt“ als Aliasnamen. Deshalb habe D**n*lt eine Wohnung in der Zwickauer Polenzstraße gemietet und sie an „Burkhardt“ untervermietet. Auch er selbst habe ein Zimmer in der Wohnung gehabt, hatte der Zeuge im November 2011 ausgesagt.

Die Mietzahlungen habe eben dieser „Burkhardt“ übernommen, überschüssige Betriebskosten, die vom Vermieter auf sein eigenes Konto rücküberwiesen wurden, habe er unverzüglich abgehoben und in der Polenzstraße direkt an „Burkhardt“ weitergegeben. Dass Beate Zschäpe die Finanzen verwaltet habe, davon hätte der Zeuge, nach der Aussage des Polizisten, nichts berichtet.

Matthias D. habe auch zugegeben, im Frühjahr 2008 für „Burkhardt“ die neue Wohnung in der Frühlingsstraße 26 angemietet zu haben, in die daraufhin Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt eingezogen waren. Der Polizeizeuge zitierte Matthias D. mit den Worten, Anlass für den Umzug sei „das Umfeld in der Polenzstraße“ gewesen, das „den Dreien“ nicht mehr gepasst habe, angesichts der vielen „Hartz-IV-Mieter“, wegen denen sie sich dort nicht mehr wohl gefühlt hätten. In der neuen Wohnung, so berichtete D**n*lt seinerzeit dem Beamten, habe er auf Bitten „der Drei“ einen Internet-Anschluss auf seinen Namen installieren lassen; das Geld hierfür habe ihm „Burkhardt“ gegeben.

Ob die Angaben von Matthias D**n*lt vom November 2011 vor der Zwickauer Polizei allesamt der Wahrheit entsprechen, scheint auch aus Sicht der Bundesanwaltschaft fraglich, da mehrere Einzelheiten sowie eine Jahreszahl nicht korrekt angegeben seien. Dies eröffnete am 125. Verhandlungstag Möglichkeiten für die Verteidigung von Beate Zschäpe. Man werfe seiner Mandantin vor, über viele Jahre „das Geld der Drei“ verwaltet zu haben – ohne hierbei zu berücksichtigen, dass die „jahrelange Anmietung von Wohnraum“ und die Rückerstattung von Geldern alleine über Uwe Mundlos alias „Burkhardt“ gelaufen seien. Wie man so etwas machen könne, sei absolut unverständlich, sagte Zschäpe-Rechtsanwalt Stahl zu den Vertretern der Bundesanwaltschaft.

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