„Wo sind die Beweise?“: Wiener Skandalprozess um Josef S. wird immer dubioser
(JEZT / TIM SCHWARZ | 2014-07-22) – Sie kennen „Der Prozess“ von Franz Kafka? Wenn nicht, dann brauchen Sie sich das Buch erst gar nicht zu kaufen, wenn Sie sich über den absurden Prozess um den bislang unbescholtenen Jenaer Studenten Josef Slapio* in Wien informieren.
Die Republik Österreich, vertreten durch die Wiener Staatsanwaltschaft, hält ihn für einen Krawalltouristen, für den verantwortlichen Rädelsführer studentischer Proteste, nennt ihn scharf einen „Demonstrantensöldner“. Joself Slapio soll die gewalttätigen Proteste gegen den von der rechten FPÖ organisierten Wiener Akademikerball angeführt haben, was Slapio von Anfang an zurück gewiesen hat. Der 23-jährige Student der Materialwissenschaften sitzt seit mehr als einem halben Jahr in Untersuchungshaft und wird derzeit in Handschellen zu seiner Verhandlung eskortiert: zu seinem Prozess. Von diesem Mann, das soll jeder im Gerichtsgebäude sehen, geht Gefahr aus. Kein Wunder also, dass Josef Slapio 22 Stunden eines jeden Tages in seiner Zelle der Wiener Justizanstalt Josefstadt verbringen muss, eine Stunde pro Tag darf er in einem kleinen Hof seine Runden drehen.
Fakt ist: Bei den Protesten gegen den Wiener Akademikerball Ende Januar 2014, einer Veranstaltung an der vor allem Rechte, Rechtsextreme und Burschenschafter aus ganz Europa teilnehmen, hat es Krawalle gegeben. Mitglieder des sog. „Schwarzen Blocks“ warfen 1.) Pflastersteine, 2.) Mülleimer, 3.) Bengalos auf Polizisten, prügelten 4.) mit einer Eisenstange auf einen Funkwagen ein.
Festgenommen hat man damals 15 Personen, alleine Josef Slapio wurde angeklagt und – man glaubt es kaum – diesem jungen Mann aus Jena wird die ganze Palette von Straftaten vorgeworfen. Er habe (Zitat aus der Anklageschrift) „getrieben vom Hass“ 1.) Pflastersteine, 2.) Mülleimer, 3.) Bengalos auf Polizisten geworfen und Josef Slapio habe darüber hinaus auch 4.) mit einer Eisenstange auf einen Funkwagen eingeprügelt. Das ist das, was die Anklage ihm vorwirft. Österreich erschaudert augenscheinlich vor diesem brutalen jungen Deutschen, findet es gut, ihn für Monate wegzusperren. Jedenfalls zu Anfang.
Inzwischen hat sich das Bild in der Österreichischen Öffentlichkeit etwas gewandelt, was auch damit zusammenhängen mag, dass sich im Prozess zeigte, dass sämtliche Vorhaltungen gegenüber Slapio bislang nur Behauptungen von Polizei und Justiz sind. Doch wo sind die Beweise, was ist mit der Unschuldsvermutung?
Derzeit berichten so gut wie alle wichtigen Medien des Landes über den Fall und Florian Klenk, er ist Jurist und Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung „Falter“, bezeichnet das ganze Vorgehen gegen Josef Slapio mittlerweile sogar offen als (Zitat) „schlampig“ und „erbittert“. Die Gründe für das Mediendesaster der zuständigen Behörden: Im Prozess gibt es bislang keine „echten“ Beweise, nur den sog. Zeugenbeweis, wie er in Österreich heißt. Der wichtigste Belastungszeuge jedoch, ein Zivilpolizist, hatte sich bereits bei Verhandlungsbeginn im Juni mehrfach in Widersprüche verwickelt. Am Verhandlungstag am gestrigen Montag das gleiche Bild im Ablauf: Der Hauptbelastungszeuge bleibt dabei und sagt aus, er habe Josef Slapio gesehen, wie der Pflastersteine auf Polizisten geworden habe. Nach ihm sagen aber Wiener Straßenreiniger aus, und zwar ein ganzes Dutzend, sie hätten beim Aufräumen unmittelbar nach den Krawallen keinerlei Pflastersteine gefunden.
Das Gericht lässt Videos von Überwachungskameras zeigen und YouTube-Clips von den Demos, diskutiert die Authentizität von Zeitangaben, sichtet Fotos. Indes: auf keiner Videoaufnahme, auf keinem einzigen Foto ist der Jenaer Student bei einem Steinwurf oder einem anderen tätlichen Angriff zu sehen. Auch die Schmauchspuren, die der Aussage einer Gutachterin nach, an einem Handschuh von Josef gefunden worden seien, sind der Expertin nach zwar „sehr wahrscheinlich von einem pyrotechnischen Gegenstand“. Sie müssten aber nicht zwingend in Wien an den Handschuh gekommen sein, könnten genau so gut von einer Silvesterfeier stammen, wie sie berichtete. Ergo: Ob Josef Slapio in Wien selbst einen Bengalo entzündet und geworfen hat, ist unklar.
So steht nach einem weiteren, langen Prozesstag im Grunde nur fest, dass der Student aus Jena bei der Demonstration im Januar mit dabei war und sich nicht fernhielt von den Krawallen. Ob er daran beteiligt war, womöglich gar so aktiv wie es die österreichische Justiz ihm unterstellt, kann auch Ende Juli 2014 niemand sagen.
* = Name geändert!
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