Der 126. bis 130. Verhandlungstag im Münchner „NSU“-Prozess

28.07.14 • JEZT AKTUELL, STARTKeine Kommentare zu Der 126. bis 130. Verhandlungstag im Münchner „NSU“-Prozess

JEZT - INSIDE NSU - Teaser

Zusammengestellt von Annett Szabo und Tim Schwarz:

10.07.2014 = Der 126. Verhandlungstag

Am 126. Verhandlungstag stand zunächst die Bankraubserie im Fokus, mit der sich der „Nationalsozialistische Untergrund“ / „NSU“ zwischen 1998 und 2011 finanzierte. Ein Ermittler des BKA schilderte, wie seine Behörde mehrere Überfälle den beiden mutmaßlichen Haupttätern Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zuordnen konnte. Als Beweisstücke dienten Fundstücke aus dem abgebrannten Wohnmobil von Mundlos und Böhnhardt in Eisenach sowie aus der zerstörten Fluchtwohnung in Zwickau, die mit Bildern der Überwachungskamera abgeglichen wurden. Außerdem hätten sich, so der Zeuge, in Wohnmobil und Fluchtwohnung Geldscheine und Banderolen aus mehreren Überfällen gefunden, die dem „NSU“ zur Last gelegt werden.

Am Nachmittag wurde mit Thomas G. dann erneut ein Mann befragt, der früher Mitglied der militanten Gruppierung „Hammerskins“ gewesen sein soll. Der Zeuge räumte, nach eigener Aussage, zwar ein, früher Kontakt mit Ralf Wohlleben und einem weiteren „NSU“-Unterstützer gepflegt zu haben, bezeichnete den Prozess dann allerdings lauthals als „Schande“, als ein „Affentheater“ und erklärte auf die Frage eines Nebenkläger-Anwalts hin sogar: „Ich denke, dass der Prozess nicht hätte stattfinden dürfen.“

Vom Vorsitzenden Richter Manfred Götzl auf sein Verhalten und die möglichen Konsequenzen für ihn angesprochen, erklärte G., er nehme „eine Strafe in Kauf“. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl bestellte ihn schließlich ein drittes Mal ein (siehe unten bei: 130. Verhandlungstag).

15.07.2014 = Der 127. Verhandlungstag

In dieser Prozesswoche sollte ausschließlich der frühere Chef des „Thüringer Heimatschutzes“, Tino Brandt, als Zeuge gehört werden und dieser belastete die Hauptangeklagte Beate Zschäpe am 127. Tag des „NSU“-Prozesses schwer. Brandt sagte dabei u.a. aus, der thüringischen Verfassungsschutz habe ihm 1998 Geld gegeben, um es an die untergetauchten drei Terroristen weiterzuleiten. Auf die Nachfrage des Vorsitzenden Richters, ob dieses Geld ausdrücklich für die Weitergabe an das Trio bestimmt war, erklärte Tino Brandt: “Soweit ich mich erinnere, war das direkt für die Weitergabe.”

Über Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gab Tino Brandt zudem weitreichende Personenbeschreibungen ab – jedenfalls aus seiner Sicht. Über Zschäpe sagte er z.B., sie sei „keine dumme Hausfrau“ gewesen, sondern in Fragen rechtsextremer Weltanschauung auffällig gebildet. So habe die Hauptangeklagte „Wissen zum Thema Germanentum“ gezeigt. Weiter sagte Brandt vor dem Strafsenat am OLG München aus, er habe Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe bei Stammtischen und Schulungen der Rechtsextremen ab Anfang der 1990er-Jahre wiederholt getroffen. Mundlos sei dort als „nationaler Sozialist“ aufgetreten und habe sich „für die damaligen Ideale der NSDAP durchaus eingesetzt.“ Böhnhardt sei dagegen, wie auch Zschäpe, „etwas schweigsamer“ gewesen.

Allerdings sei die Frau im späteren Terrortrio, nach der Ansicht des Zeugen, „ein Mädchen (gewesen), das in Ordnung war und das bei politischen Sachen, durchaus mit teilgenommen hat“, so Brandt in seiner Aussage, die Beate Zschäpe offensichtlich sehr aufbrachte. Minutenlang diskutierte sie hierzu mit ihren Rechtsanwälten.

JEZT - RADIO LOTTE Mediathek zum NSU Prozess16.07.2014 = Der 128. Verhandlungstag

An diesem Verhandlungstag entzog die Hauptangeklagte ihren drei Verteidigern Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm überraschend das Vertrauen. Daraufhin wurde der Prozess und ebenso die gerade laufende weitere Zeugenvernehmung von Tino Brandt ausgesetzt.

22.07.2014 = Der 129. Verhandlungstag

Der 129. Verhandlungstag im „NSU“-Prozess war aus Sicht der Hauptangeklagten verheerend. Zuerst teilte ihr der Vorsitzende Richter Manfred Götzl die Entscheidung des OLG München mit, dass Zschäpes Antrag auf Entpflichtung ihrer Anwälte abgelehnt wurde. Anschließend wurde sie von einer Zeugin erheblich belastet.

Dabei war der Vorsitzende Richter, wie so oft zuvor, der sachliche Gegenpol zu einer gespannten Erwartung im Saal, wobei Zschäpe seine Erklärung,  die Angeklagte habe in ihrem Antrag keine „konkreten Anhaltspunkte“ genannt, die „hinreichend darauf hindeuteten“, dass das Vertrauensverhältnis zu ihren Verteidigern gestört sei, mit Kopfschütteln kommentierte. Während Zschäpe noch nach Fassung rang, rief Götzl die erste Zeugin an diesem Tag auf.

Die Zeugin Juliane Sch., eine 21-jährige Studentin aus Peine, hatte Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, bei einem Familienurlaub im Jahre 2007 auf der Ostseeinsel Fehmarn kennengelernt. Die Wiederbegegnung mit Zschäpe nam die junge Frau sichtlich mit, weinend betrat sie den Gerichtssaal, während der Befragung durch Manfred Götzl setzte sie immer wieder neu zu sprechen an, stockte dann kurz danach, aber sie berichtete. Mit Eltern und Schwester habe sie vor sieben Jahren ihre Ferien auf Fehmarn verbracht, als eines Tages „die drei“ zum Wohnwagen der Familie kamen und fragten, ob jemand von ihnen Lust auf eine Runde Doppelkopf hätte. Daraufhin habe man sich angefreundet und sie hätten „fortan beinahe jede Minute miteinander verbracht“. Mal sei sie „mit Max surfen gegangen“, mal „mit Gerry mit dem Boot rausgefahren“, mal habe sie  „gemeinsam mit Lise, also Frau Zschäpe, gespielt“.

Zusammen habe man in diesem Urlaub gegrillt, Dinge unternommen, insgesamt drei Wochen lang, wie die Zeugin berichtete. Man habe „so viel Vertrauen für einander“ entwickelt, dass man sogar Telefonnummern ausgetauscht habe und die Freundschaft sei sogar so eng geworden, dass man „auch die nächsten Jahre bis 2011“ den Urlaub auf Fehmarn mit den Dreien abgestimmt hätte. Die drei „NSU“-Mitglieder hätten ein Handy gehabt, das sich meistens bei Beate Zschäpe befunden habe, so die Zeugin. „Ich habe die Nummer immer noch“, sagte die junge Frau. Klar wurde am 129. Verhandlungstag auch, weshalb Juliane Sch. so emotional in den Gerichtssaal gekommen war. 2007 „als wir uns kennen lernten“, so die Zeugin, sei der „NSU“-Mord an der Polizistin Michele Kiesewetter vom 25. April 2007 erst wenige Wochen her gewesen.

23.07.2014 = Der 130. Verhandlungstag

Am 130. Tag des NSU-Prozesses wurde der Zeuge Andreas R. gehört. Dieser sagte vor dem OLG aus, er habe „irgend wann einmal einen havarierten Kleinwagen transportiert, von dem ich vorher, währenddessen oder danach nicht erfahren habe, dass die drei (Anm. gemeint sind Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt) sich damit bewegt haben.“

Richter Götzl frage ihn sodann, ob dies im Februar 1998 gewesen sei, als er mit seinem Mercedes einen defekten (und damals nach Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft dem in München Mitangeklagten Ralf Wohlleben gehörenden)  Peugeot von einem Parkplatz an der Autobahn A 4 in der Nähe von Dresden nach Jena abgeschleppt habe. Mit dem Peugeot hatten sich, so die Anklageschrift, Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe am 26. Januar 1998 aus Jena nach Richtung Chemnitz abgesetzt. „Das könnte sein“, antwortete Andreas R. vor Gericht.

R. war seinerzeit ebenso Rechtsextremist wie die Mundlos und Böhnhardt (beide verstorben am 04.11.2011) und die im Prozess angeklagten Zschäpe und Wohlleben. An solcherlei Dinge konnte sich Andreas R. zuerst kaum erinnern, musste dann aber auf hartnäckige Fragen eines Opferanwalts hin, doch zugeben „in der rechten Szene“ aktiv gewesen zu sein und auch als Informant des Thüringischen Verfassungschutzes agiert zu haben; hierfür habe er „mindestens 3000 Mark“ bekommen, wie R. schließlich aussagte.

Im Laufe des Verhandlungstages nannte Andreas R. dann noch weitere Namen von Rechtsextremisten aus der Thüringer Szene in den 1990er Jahren, mit denen er „bekannt gewesen“ sei. In der sich zäh dahin schleppenden Zeugenbefragung gab R. schließlich auch zu, er habe sich selbst einmal einem Haftbefehl entzogen und sei über die USA und Belgien nach Dänemark gereist.

Am Abend unterbrach der Vorsitzende Richter Manfred Götzl schließlich die schwierige Zeugenvernahme von Andreas R., der an diesem Tag der einzige Zeuge gewesen war, da der für den Vormittag geladene Thomas B. zum zweiten Mal nicht vor dem OLG München erschien. B. hatte dem Oberlandesgericht mitteilen lassen, er sei auf der Fahrt nach München in Nürnberg umgekehrt, weil ihm „schwindelig geworden“ sei. Der 6. Strafsenat entschied daraufhin, diesen Zeugen nun unverzüglich polizeilich vorführen lassen.

Außerdem meldete sich am 130. Verhandlungstag der für den Folgetag als Zeuge geladene Thomas G. (siehe 126. Verhandlungstag) und erklärte, er werde sich weigern, auszusagen oder Auskünfte über „Kameraden“ zu geben, da er „Angriffe von Linken auf die genannten Personen“ vermeiden wolle. Außerdem berief sich G. auf zwei Ermittlungsverfahren in Sachsen und Thüringen gegen ihn, wobei er ein Aussageverweigerunsgrecht habe, um sich ggf. nicht selbst zu belasten. Der Münchner Strafsenat entschied sich daraufhin, den folgenden Verhandlungstag abzusagen und den „NSU“-Prozess erst am 29.07.2014 fortzusetzen. Über das Verhalten von Thomas G. wird gesondert entschieden, wie eine Gerichtssprecherin erklärte.

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