17 TAGE EUROPA | Mittwoch 2002-07-31 | PRINZENWETTER

31.07.14 • STARTKeine Kommentare zu 17 TAGE EUROPA | Mittwoch 2002-07-31 | PRINZENWETTER

Rainer Sauer - 17 Tage Europa - Teaser

Der siebte Tag: Saint-Marie-de-la-Mer/Arles/Orange/Lyon/Macon/Chalon-sur-Saône

Losung am 31. Juli

„Es gab einmal ein Zeitalter – es war das griechische –
da war der Mensch das Maß aller Dinge.
Heute sind die Dinge das Maß aller Menschen.“
(Werner Finck)

Die Sonne brennt den sechsten Tag, der Wind wird immer stärker, alles ist voller Staub und so fahre ich am späten Morgen von der französischen Küste wieder nach Norden, denn da soll es ab Mittag laut „Le Figaro“ bewölkt sein; ein bisschen weniger Sonne könnte mir schon gefallen. Also fahre ich zurück nach Chalon-sur-Saône. Die Hektik des ‚Sud‘ hinter mir lassend bin ich wieder auf der Landstraße unterwegs. Ich muss an Antoine de Saint-Exupéry denken. Er war auch nach Norden unterwegs, die Sonne und den Staub hinter sich lassend und es war ebenfalls an einem 31. August. In einem Flugzeug war er von der Insel Korsika Richtung Norden zur französischen Cote d‘Azur gestartet und kehrte nie mehr zurück. Seine Geschichte des kleinen Prinzen hatte er da bereits geschrieben, aber wegen des Krieges war sie noch nicht veröffentlicht.

Die Idee zur Geschichte über den melancholischen Prinzen war ihm gekommen, weil er selbst in der Familie als kleiner Junge immer nur ‚Le Roi Soleil‘ / ‚Der Sonnenkönig‘, genannt worden war. Jeden Sommer durfte er Monate auf einem Schloß in Savoyen verbringen und im Winter war er in Südfrankreich an der Cote d’Azur. Er war wirklich ein verwöhnter Sonnenkönig. Was lag da näher, als ‚Le Roi Soleil‘ in der Wüste auf einen kleinen Prinzen treffen zu lassen?

Antoine wollte Erfinder werden, Dichter oder Pilot. Die riesigen Ländereien seiner Familie wollte er mit einem ausgeklügelten Bewässerungssystem versehen; exakt plant er es. Und „Saint-Ex“ lernt fliegen, damit er alles von oben aus besser sehen kann. Aber Fliegen kann auch manchmal langweilig sein. Und so denkt er sich Geschichten aus mit amüsanten Titeln wie „Autobiographie eines Zylinders“. Antoine schreibt die Geschichten auf in kleine Hefte. Ärgerlich, dass man sie nur zur Kenntnis nimmt, um seine völlige Ignoranz der Regeln der Rechtschreibung zu kritisieren. So etwas interessiert einen Sonnenkönig nicht! Er verlegt sich daher auf die schönen Künste, studiert Architektur und verdingt sich als Statist beim Theater. Seine wohlsituierte Familie unterstützt ihn Zeit seines Lebens großzügig, fördert jede, auch nur so kleine Neigung Antoines immer wieder aufs Neue.

JEZT - Rainer Sauer - 17 Tage Europa - Widmung von Saint-Ex in einem Buch

Im Frühjahr 1921 wird er in die französische Armee einberufen und lässt sich, natürlich, einer Luftwaffeneinheit zuteilen. Diese ist im, von Deutschland neu eroberten, Elsass stationiert. Leider haftet „Saint-Ex“ der Ruf an, ein Bruchpilot zu sein und so wird er schon bald nach Le Bourget versetzt. Schon wieder diese Ignoranz. Er wurde allein deshalb nach Paris versetzt, weil er seinen ersten Alleinflug mit qualmendem Motor und versengter Uniform absolviert hat. Aber seinen Spitznamen hatte er nun weg: ‚Pique la Lune‘ – der Franzose weiss, was damit gemeint ist…die Übersetzung „Träumer“ trifft es nicht einmal im Ansatz.

Sein Offizier ist sich sicher: „Der Kerl wird nicht im Bett sterben“. Nach einem weiteren spektakulären Absturz, den er fast unversehrt überlebt, quittiert er schon 1923 den Dienst, versucht sich als Geschäftsführer einer Ziegelei, dann einer Autofirma. Wie langweilig! Also wechselt Antoine de Saint-Exupéry wieder zurück zur Fliegerei und wird Postflieger in Südamerika. Endlich findet er einen Freund, der auch seine Bücher mag: André Gide. Ihm schickt er alle seine Geschichten und längeren Werke. Dieser notiert 1931: „Antoine hat aus Argentinien ein neues Buch und eine neue Verlobte mitgebracht. Habe das eine gelesen, das andere gesehen. Habe ihn herzlich beglückwünscht.“

Im zweiten Weltkrieg ist „Saint-Ex“ auf Korsika stationiert. Er erlaubt sich einige Alleingänge, die das Militär nicht gerne sieht, aber es ist ja schließlich Krieg und gerade bei den Fliegern braucht man jeden Mann. Am 31. Juli 1944 startet ‚Le Roi Soleil‘ ohne Erlaubnis zu einem ‚Aufklärungsflug‘, so nennt man einen Flug ohne festes Ziel. Es wurde sein Flug in die Ewigkeit.

Bei meinem ‚Flug‘ zurück in die Mitte Frankreichs stimmt diesmal die Richtung der Sonne für die Photos und hinter Orange hole ich die Kamera wieder aus dem Versteck, denn man hatte mich vor Südfrankreich gewarnt: Die Menschen dort wären sehr arm, würden keine Autos besitzen, dafür aber eine große Leidenschaft für das Fotografieren. Deswegen mögen sie manche Dinge eben sehr, sehr gerne. Bei mir ging jedenfalls alles gut und am frühen Nachmittag hatte ich drei Filme verknipst, darunter von Sonnenblumen- und Konnfeldern, und war wieder zurück in Chalon. Wie schön kann es doch sein, eine flüchtige Bekannte wieder zu treffen und die noch frische Erinnerung nochmals auffrischen zu können. Und ich hatte Zeit für einen literarischen Nachmittag und Abend mit gelegentlichem warmen Nieselregen bei 27 °C.

Ein Theaterstück will fortgeführt werden; „Eichenlaub“-Regisseur Rainer W. Fassauer hat gerade live im TV ein Interview mit Bettina Ernst zu überstehen. Natürlich schafft er es. Bleibt also noch Zeit für eine kleine Geschichte, die hier erzählt werden kann. Eine Episode aus dem Leben eines kleinen Prinzen, der sich von einer Schlange sein Rückflugticket geholt hatte und wieder auf seinem Asteroiden B 612 angekommen ist. Es ist noch vor der Zeit, als Jean-Pierre Davidts auf ihn trifft, der anschließend Antoines Geschichte weitererzählt. Davids nannte sie „Le petit prince retrouvé“ und in seiner Geschichte erzählt er, wie der kleine Prinz auf die Erde zurückkehrt.

Ich jedoch erzähle in meiner Geschichte „Le retour dans B 612“ davon, wie ein kleiner Prinz zuu aller erst auf seinen Asteroiden zurückkehrt und was er dort erlebt. Ob es DER kleine Prinz ist, kann ich aus rechtlichen Gründen nicht sagen. Einige Episoden von „Le retour…“ habe ich bereits fertig (jawohl, dieses Mal stimmt der Satz). Heute aber schrieb ich im Gedenken an den letzten Flug von „Saint-Ex“eine besondere Episode:

II.

»Nun war er also wieder auf dem Weg zurück zu seinem Asteroiden. Antoine, den Piloten, hatte er in der Wüste zurück lassen müssen. Aber das war nicht schlimm, da würde er schon wieder herauskommen, auch wenn seine Maschine dafür vielleicht nicht die beste Möglichkeit darstellte.

Manches, was Antoine ihm erzählt hatte, verstand er nicht. Wieso ist es für einen Piloten das schönste, bei einem Nachtflug zu sterben? Antoine hatte ihm gesagt, dass man dann über sich die ganzen Sterne und unter sich seine geliebte Erde hat. Ein kleiner Prinz musste nicht alles verstehen, dachte er sich und er fragte sich, ob Antoine wirklich ein Buch über ihn schreiben würde und ob dann später in den Buch auch alles wieder zu finden war, worüber an sich unterhalten habe. Und so verging die Zeit und als es schon begann ihm langweilig zu werden, als er schon auf mehr als 720 Asteroiden die Schafe gezählt hatte, da kam er doch tatsächlich wieder zurück zu seinem Asteroiden.

Er erkannte ihn sofort, denn alles war noch so, wie er ihn verlassen hatte. Die Rose stand geschützt unter einer Glashaube, die Schlote der Vulkane hatten zwar etwas Ruß angesetzt, aber noch nicht genug, dass es für einen kleinen Prinzen unmöglich gewesen wäre, sie zu reinigen. Hier und da spriesste etwas Unkraut aus dem Boden und er konnte schon gut unterscheiden, ob es sich um Rosen oder Sprösslinge von Affenbrotbäumen handelte. Ein kleiner Prinz, dachte er, könnte die leicht in einer Stunde harter Arbeit mit seinen Händen herausreißen. Andererseits hatte er ja auch noch sein Schaf. Er holte Antoines Zeichnung mit der Schachtel hervor und sah nach dem Schaf.

Vorsichtig öffnete er die Schachtel. ‘Hallo, mein Schaf’ sagte er und fügte im nächsten Moment überrascht hinzu ‘…wie siehst Du denn aus.’ Das Schaf war während der Rese zurück auf den Asteroiden schwarz geworden. ‘Ich bin schwarz geworden.’ sagte das Schaf. ‘Ein kleiner Prinz sieht so etwas sofort,’ entgegnete er und fügte hinzu ‘…gab es dafür einen bestimmten Grund?’. Er machte sich bereits Vorwürfe, weil er vor seiner Abreise von der Erde an alles gedacht hatte, nur nicht daran, dass sein Schaf während der Reise schwarz werden könnte. ‘Daran ist meine Familie schuld.’ sagte das Schaf. Seit Generationen gibt es bei uns nur weisse Schafe. Sogar meine Schwester, die alles Talent hätte, ein schwarzes Schaf zu sein, ist am Ende trotzdem weiss geblieben.’ ‘Das erklärt immer noch nicht, weshalb Du schwarz geworden bist.’ sagte der Prinz ratlos.

‘Mit Familien, musst Du wissen…’ sagte das Schaf ‘…ist es so: Auch wenn sie keine Schafsfamilien sind, hätten sie gerne, dass ein Mitglied der Familie ein schwarzes Schaf ist. Früher hat man einen Sündenbock gesucht und daraus wurde heutzutage das schwarze Schaf.’ ‘Das verstehe ich’, sprach der Prinz. ‘Und weil es bei Dir in der Familie kein schwarzes Schaf gibt, hat man beschlossen, dass Du es werden sollst.’ Er war froh, ein Schaf zu haben, das etwas besonderes war. ‘Und hast Du Dich darüber gefreut?’ fragte er das Schaf. ‘Darüber kann man sich nicht freuen’ sagte das Schaf streng zu ihm. ‘Ein schwarzes Schaf ist niemand gerne.’

Das Schaf sah, wie sein kleiner Prinz es ratlos anschaute und musste lachen. ‘Wieso schaust Du mich an, wie ein Schaf.’ Der Prinz beschloss, die Unterhaltung mit dem Schaf zu beenden. Wahrscheinlich wusste es noch nicht, dass es nun, da es schwarz war, ein besonderes Schaf geworden war. Außerdem schien albern zu sein. Auf der Erde war ihm das noch nicht aufgefallen. Was sagte es da zu ihm? Er täte es, obwohl er doch ein kleiner Prinz war, anschauen wie ein Schaf. Er fand das äußerst anmaßend von den Schaf, für das er doch so viel getan hatte. Und nun ist es auch noch albern geworden, nur weil er nicht daran gedacht hatte, es richtig zu beschützen. Ratlos und etwas eingeschnappt legte er sich schlafen.

Am Ende, dachte er sich so beim Einschlafen, würde vielleicht noch seine Familie kommen und ihm verkünden, er müsse unbedingt ein schwarzes Schaf werden. Ein schwarzes Schaf, ein schlafenden schwarzes Schaf, ein albernes anmaßendes schlafendes schwarzes Schaf. Dachte er und dann schlief er ein.«

So geht für mich der Juli 2002 in Frankreich zu Ende. Zwei Tote sind zu beklagen, die vielleicht noch etwas länger gelebt hätten, wenn sie in ihren jeweiligen Leben manche Dinge anders betrachtet oder gewertet hätten. Aber hätten sie dann auch ihre unvergleichlichen Werke schaffen können? Die Antwort darauf, die kennt wahrscheinlich nur der, in Chalon heute Abend immer stärker werdende, Wind.

Morgen früh werde ich in das Elsaß fahren. Vielleicht finde ich dort zufällig den Flughafen, den Antoine kurz kennenlernen durfte. Zuvor mache ich sogar noch einen kleinen Abstecher zurück nach Deutschland, um ein Paket mit französischem Käse, das meine Familie bei mir bestellt hatte, per Deutscher Post nach Hause zu schicken.





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