„Verstörende Nachrichten und ein ganz falsches Signal“: Die Jenaer Geschichtswerkstatt kommentiert die Debatte um eine zukünftige Regierungskoalition in Thüringen
(GESCHICHTSWERKSTATT JENA E.V.) – Die Debatte um eine zukünftige Regierungskoalition in Thüringen erhitzt die Republik. Verstörende Nachrichten heben an oder ebben ab, je nach Medienkonjunktur. Viele Einwände ehemaliger Bürgerrechtler und Opfer der SED-Diktatur gegen eine solche Koalition mit den LINKEN sind nicht nur von grundsätzlich politischer Art, sie sind moralisch besetzt und gelten auch der Befürchtung, die Aufarbeitung des SED-Diktatur in Thüringen sei bei einem Zustandekommen einer Koalitionsregierung unter Führung der LINKEN am Ende. Fast möchte man es glauben. Nur kommt jetzt eine erste Absage an die Aufarbeitung aus einer Richtung, die nicht zu erwarten war.
Falsches Signal!
Während inzwischen einer der drei möglichen Koalitionspartner auf die Aufarbeitungsinitiativen zugeht, also gesprächsbereit und offen ist für die weitere Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur, gab ein anderer bisheriger Partner ein verstörendes Signal ab. Es bleibt zu hoffen, dass ein solches Signal nicht auch in der Frage der zukünftigen Aufarbeitung zu erwarten ist. Mit Schreiben vom 16.10.2014 teilt die SPD-Fraktion im Thüringer Landtag der Geschichtswerkstatt Jena mit, das Abonnement unserer Zeitschrift „Gerbergasse 18 – Zeitschrift für Zeitgeschichte und Politik“ zu kündigen.
Wer die „Gerbergasse 18“ kennt, weiß, dass es keine andere Publikation in Thüringen gibt, die sich seit fast 20 Jahren so intensiv mit der Aufarbeitung der SED-Diktatur befasst und dafür oft genug Kritik von ehemaligen Genossen verbuchen konnte, weil alte Seilschaften und Untergetauchte oder nicht enttarnte Träger und Hilfskräfte des SED-Regimes enttarnt werden konnten. Ist das Signal als Desinteresse der SPD an der Aufarbeitung zu verstehen? Oder sind Sparzwänge der Grund, das Abo zu kündigen? Die „eingesparten“ 14 Euro (so viel kostet das Jahresabo) helfen der SPD-Fraktion bestimmt weiter. Nachvollziehbar ist die Kündigung jedenfalls nicht und vor allem ein ganz falsches Signal!
Sondierungsgespräche?!
Was also ist nun von den Sondierungsgesprächen der drei Parteien DIE LINKE, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Thüringen, veröffentlicht am 23.10.2014, zu halten, wo unter Punkt 9 die Selbstverpflichtung festgeschrieben wird: „Wir arbeiten die DDR – Geschichte auf und unterstützen die Opfer des DDR-Unrechts“.
„[…] Wir werden
– die Unterstützung von Heimkindern, denen schweres Leid und Unrecht widerfahren ist, verbessern und uns dazu an der auskömmlichen Ausstattung des Heimkinderfonds beteiligen,
– die wissenschaftliche Aufarbeitung der DDR an Hochschulen und Forschungseinrichtungen sowie dezentrale Aufarbeitungsstrukturen fördern,
– die Opferberatung finanziell besser stellen und die Gedenkstätten baulich instandsetzen,
– keine Personen in Positionen dieser Regierung entsenden, die direkt oder indirekt mit dem Sicherheitssystem der DDR zusammengearbeitet haben“.
Konkrete Ergebnisse?
Nur die konkreten Ergebnisse der folgenden Koalitionsverhandlungen werden aufzeigen, wie ernst es alle drei Parteien (LINKE, Grüne und SPD) tatsächlich mit der Aufarbeitung der SED-Diktatur meinen. Kurzfristig betrachtet hat die strukturelle und finanzielle Sicherung der Aufarbeitungslandschaft vorrang, egal welche politische Konstellation im Landtag zusammen kommt. Generell sollte auch in Thüringen dringend über ein Gesamtkonzept für die Aufarbeitung der Diktaturgeschichte im 20. Jahrhunderts nachgedacht werden, das neben Institutionen und Universitäten zivilgesellschaftlichen Einrichtungen und Vereine einbezieht.
Viele Bedenken von ehemaligen repressiv Verfolgten und Opfern des SED-Regimes sowie von ehemaligen DDR-Bürgerrechtlern gegen eine Koalition aus LINKEN, Grünen und SPD in Thüringen sind berechtigt. Historische Bezüge drängen sich z.T. auf und stehen im Raum. Die gegenwärtige politische Konstellation bildet aber den aktuellen demokratischen Prozess der Landtagswahlen in Thüringen ab. Dies sollten alle mit der Aufarbeitung der Diktaturgeschichte befassten zivilgesellschaftlichen Einrichtungen, Vereine und Institutionen sowie alle politischen Parteien im Landtag anerkennen und ernst nehmen. Zukünftige Aufgabe bleibt es für alle Demokraten, unabhängig von der eigenen politischen Farbe und der Farbe der jeweiligen Landesregierung, die demokratische Debattenkultur fortzuführen, weiter zu unterstützen und zu stärken. Es gilt, über die Diktaturgeschichte weiter aufzuklären, zur Unterscheidung zwischen Diktatur und Demokratie zu befähigen und das Demokratieverständnis der kommenden Generationen zu festigen. Eine weitere Qualifizierung und Professionalisierung der Aufarbeitung der Diktaturgeschichte kann in Thüringen aber nur durch eine zukunftssichere finanzielle Absicherung vor allem der dezentralen Aufarbeitungsstrukturen gelingen!
Im Namen des Vereins
Dr. Henning Pietzsch
Vorsitzender der Geschichtswerkstatt Jena e.V.
Maria Palme
Stellv. Vorsitzende – Vorsitzender der Geschichtswerkstatt Jena e.V.
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12-Punkte Plan der Geschichtswerkstatt Jena zur strukturellen und finanziellen Sicherung der dezentralen Aufarbeitungslandschaft in Thüringen
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Abkehr von dogmatischen und parteipolitisch einseitigen Haltungen
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Förderung einer demokratischen und offenen Debattenkultur mit den Bürgern
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Respekt vor allen Opfern von Diktaturen
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Finanzielle Stärkung der Opferberatung in Thüringen sowie Etablierung einer tragfähigen psychologischen und sozialen Begleitung durch geeignete Einrichtungen
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Finanzielle Absicherung der zivilgesellschaftlichen Initiativen und Vereine sowie Schaffung eines gemeinsamen Haushaltstitels unter dem Dach des Kultusministeriums (Abkehr von der Einbindung der Personal- und Sachkostenzuwendungen der Vereine und Initiativen zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in das Projektmanagerprogramm des Kultusministeriums. Statt dessen strukturelle und finanzielle Absicherung der Thüringer Aufarbeitungsinitiativen durch gemeinsamen Haushaltstitel, welcher mind. über die anstehende Legislatur angelegt sein sollte/muss, um eine Stabilität für die zivilgesesellschaftliche Aufarbeitungslandschaft zu erhalten und zu fördern. Mindestfördersumme je Verein/Initiative mind. 80.000-100.000 EURO Grundabsicherung im Jahr.)
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Stärkung des Zugangs von Schulen und in Vermittlung durch Träger der politischen Bildung zu Außerschulischen Lernorten als Orte der Erinnerung, der politischen Bildung und authentischer Zeugnisse
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Verbindliche Richtlinien und Strukturen für Lehrerfortbildungen in Zusammenarbeit mit regionalen Partnern der Aufarbeitung
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Sicherung des Thüringer Geschichtsverbundes als Koordinationsnetzwerk zwischen den Parteien und den Einrichtungen und Institutionen der politischen Bildung, BStU, LhLA, Gedenkstätten und Museen sowie den Thüringer Aufarbeitungsinitiativen
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Stärkung der Zusammenarbeit von Universitäten mit zivilgesellschaftlichen Initiativen
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Aufstockung der Ressourcen für Projekte der zivilgesellschaftlichen Aufarbeitung der SED-Diktatur
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Einrichtung, Vergabe und Förderung von an geeignete zivilgesellschaftliche Einrichtungen gebundene Promotionsstipendien in Zusammenarbeit mit Universitäten
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Einrichtung einer temporären Thüringer Expertenkommission zur Ausarbeitung struktureller und inhaltlicher Richtlinien für ein Gesamtkonzept für die Aufarbeitung der Diktaturgeschichte und die Gewaltherrschaft des 20. Jahrhunderts im Verbund mit dem Landesbeauftragten für die Aufarbeitung der SED-Diktatur, den Außenstellen der BStU, Vertretern der zivilgesellschaftlichen Aufarbeitungsinitiativen im Geschichtsverbund sowie wissenschaftlichen Vertretern der Universitäten in Erfurt und in Jena.
3 Kommentare
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« „Generation 65 Plus“: Altersgruppe der Menschen, die älter als 65 Jahre sind, wächst im Freistaat Thüringer weiter Dr. Stefan Ludewig informierte über aktuelle Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten / Jährlich 600 Patienten am Universitätsklinikum Jena in Behandlung »
..sie haben kein veröffentlichungsrecht der geschichtswerksatt für diesen beitrag..aber das ist ihnen ja egal
Der Beitrag wurde JEZT so von einem Vereinsmitglied der Geschichtswerkstatt Jena zugesandt und von uns nahezu unverändert verōffentlicht.
Sie kōnnen mich gerne hierzu zurückrufen oder bei der Geschichtswerkstatt Jena nachfragen.
Ich weiß nicht, wer recht hat, aber einige Kommentare hier sind in letzter Zeit wirklich destruktiv und tumb.
Weshalb sollte die Geschichtswerkstatt Jena etwas gegen eine Veröffentlichung dieses Textes haben? So etwas nennt man Öffentlichkeitsarbeit. Und was hat dies mit „kein Recht“ zu tun?