„Wie Authentisches produziert wird“: Kunsthistorikerin der FSU analysiert in einem Buch Experimente mit „echten Menschen“ vor der Kamera

15.01.15 • JEZT AKTUELL, POLITIK & URBANES LEBEN, STARTKeine Kommentare zu „Wie Authentisches produziert wird“: Kunsthistorikerin der FSU analysiert in einem Buch Experimente mit „echten Menschen“ vor der Kamera

JEZT - Die Produktion des Authentischen - Dr. Elisabeth Fritz - Foto © FSU Stegemann

Die Produktion des Authentischen – Dr. Elisabeth Fritz – Foto © Melanie Stegemann

(JEZT / FSU) – Will man echte Menschen und echtes Leben beobachten, dann schaut man heute nicht mehr aus dem Fenster, sondern in den Fernseher. Das zumindest suggerieren die immer wieder neuen Formate, die sich darauf berufen, das Authentische zeigen bzw. produzieren zu können. Angefangen mit kleinen Sketchen vor der versteckten Kamera in den 1950er Jahren, hat sich das sogenannte Reality-TV spätestens seit dem Big-Brother-Container zum Massenphänomen entwickelt.

Doch wie authentisch kann das Verhalten eines Menschen sein, wenn er von Kameras beobachtet wird? Oder ist es gerade die künstliche Inszenierung bestimmter Umstände, die Authentizität erst hervorbringen kann? Diese Fragen beschäftigten über die Jahre nicht nur Wissenschaftler oder Fernsehproduzenten sondern auch Künstler. Dr. Elisabeth Fritz (Foto) vom Kunsthistorischen Seminar der Friedrich-Schiller-Universität Jena hat sich im Rahmen ihrer Promotion damit auseinandergesetzt, wie Gegenwartskünstler das experimentelle Beobachten von Menschen mit der Kamera aufgreifen. Unter dem Titel „Authentizität, Partizipation, Spektakel. Mediale Experimente mit ‚echten Menschen‘ in der zeitgenössischen Kunst“ ist ihre Dissertationsschrift nun als Buch erschienen – es wird am 21. Januar in Jena vorgestellt.

JEZT - Authentizitaet - Partizipation - Spektakel - Dr. Elisabeth Fritz - Abbildung © Buchcover

Authentizität – Partizipation – Spektakel – Dr. Elisabeth Fritz – Abbildung © Buchcover

Ausgehend von ersten Experimenten in den 1920er und 30er Jahren stehen ab den 1960er Jahren die Bereiche Kunst, Wissenschaft und Populärkultur dabei in direkter Wechselwirkung zueinander. So entstand etwa 1971 die TV-Sendung „An American Family“ – die wohl erste Reality-TV-Serie, in der etwa zehn Millionen Zuschauer den Alltag einer amerikanischen Durchschnittsfamilie miterlebten. Neben dem Unterhaltungswert war dabei besonders spannend, wie die Erwartungshaltung des Publikums und die realen Geschehnisse aufeinanderprallten. So entschloss sich etwa die Mutter während der Produktion zur Scheidung von ihrem Ehemann – sicherlich nicht typisch für eine „ganz normale“ amerikanische Familie dieser Zeit, was nicht zuletzt zur Frage führte, ob erst das Medienexperiment dies bewirkt hatte.

Während viele Sozialwissenschaftler und Künstler die TV-Produktion als wertvolles und interessantes Zeugnis betrachteten – auch aufgrund der Vermischung fiktiver und dokumentarischer Darstellungsmodi – hat sich das Image heute gewandelt. „Galten das Einbeziehen und Sichtbarmachen von ,echten’ oder ,gewöhnlichen’ Menschen als Ideal und Ausdruck von Mitgefühl, sozialem Engagement, Emanzipations- und Aufklärungsmöglichkeit und daher als besonders anstrebenswert und wertvoll, so werden die angesprochenen TV-Formate heute als niederwertig, ausbeuterisch oder voyeuristisch abqualifiziert“, sagt Fritz. Das gilt auch für künstlerische Bestrebungen der Partizipation und Beteiligung des Publikums an der eigenen medialen Darstellung. Dabei zeigt die Kunsthistorikerin auf, wie in neueren Kunstprojekten in Form von begehbaren Videoinstallationen gerade der spektakuläre und inszenierte Charakter der Experimente betont wird. Dadurch werden die paradoxen Bedingungen der künstlichen Erzeugung von „echtem“ menschlichen Verhalten und insbesondere die zentrale Rolle der Beobachtenden bei der Zuschreibung von Authentizität thematisiert. So nutzt etwa Danica Dakić Masken und Rollenspiel, um alternative Wege zur medialen Darstellung von Menschen mit Behinderung zu finden. Phil Collins organisierte einen achtstündigen Tanzmarathon mit palästinensischen Jugendlichen als eine Visualisierung ihres schwierigen Lebensalltags, die völlig im Gegensatz zu aus dem Fernsehen bekannten Bildern steht. Und Omer Fast hinterfragt die Bedingungen authentischer Berichterstattung in Interviews, indem er den Erzählfluss eines US-amerikanischen Soldaten durch komplexe Montagetechnik aufbricht und mit nachgespielten Szenen durchmischt. In ihrem Buch stellt Fritz diese und andere künstlerische Arbeiten sowie deren Bezüge zu ähnlichen Experimenten in Sozialwissenschaft und populärer Medienkultur vor.

Bei der Präsentation des neuen Buchs am 21. Januar 2015 um 18 Uhr im Hörsaal 24 des Universitätshauptgebäudes (Fürstengraben 1) wird der US-amerikanische Medienkünstler Ira Schneider anwesend sein, um erstmals kürzlich restauriertes Videomaterial von 1969 vorzustellen. Seine Videoinstallationen der 1960er und 1970er Jahre stellen frühe Formen des medialen Experimentierens mit dem Publikum im Ausstellungsraum dar, wie sie Fritz in ihrer Untersuchung u. a. behandelt.





Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

« »


JENAhoch2 | Omnichannel-Media für Stadt und Region