„Nachholbedarf an Versäumnissen? (Teil 2)“ – Ein Kommentar von Rainer Sauer
Ich sagte es bereits im ersten Teil meines Kommentars: „Wir können in Jena alles erreichen aber trauen es uns zu selten“. Oder aber wir machen es zu schlampig.
Jüngstes Beispiel ist die von der Jenaer Opposition medienwirksam beim Stadtentwicklungsdezernat eingereichte Liste der knapp 80 Vorschläge für eine Wohnbebauung in Jena. Um es gleich zu Beginn klar zustellen: Bei dieser Liste geht es nicht vordergründig darum, einen Ersatz für das von der Stadt Jena geplante und in letzter Zeit viel gescholtene Baukonzept „Jenzigfuß“ zu finden sondern (wie es der Titel ausdrückt) um die „Auflistung von Wohnbauflächen, die in der BV ‚Wohnen Jena 2030‘ nicht aufgelistet sind“. Die Betonung liegt auf: Wohnbauflächen. Obligatorisch ist zu Beginn meine Anerkennung für die Arbeitszeit, die Piraten, Linke und Bürger für Jena gemeinsam mit den Jenaer Kleingartenverbänden und dem Ortsteilrat Jena-Nord in dieses Projekt gesteckt haben.
Wer sich für Lokalpolitik interessiert, weiß es: Wenn man über die Förderung des sozialen Wohnungsbaus und des bezahlbaren Wohnraums in Jena spricht, so geht ein Riss durch unsere Stadt. Auf der einen Seite gibt es die Ideen und Absichten der CDU/SPD/B’90-GRÜNE-Koalition und auf der anderen Seite die Opposition von Piraten, Linken, Bürgern für Jena und FDP, die der Stadtregierung Falschspielerei und das Nicht-Ernstnehmen von Bürgerinteressen vorwirft. Genau hier sollte – musste – die Liste ein Gegenpol zu den kritisierten Aktivitäten der „Betonköpfe“ sein, ein Bekenntnis unter der Maxime „Seht her: Wir können das auch und wir können es sogar besser“.
Hierfür wäre u.a. auch das Bild einer möglichst geschlossen auftretenden Opposition hilfreich, wenn nicht sogar notwendig, aber eine politische Kraft in unserer Stadt wurde bei der Zusammenstellung der Liste ausgespart, wurde bei der Erstellung der Liste noch nicht einmal angefragt, wie Dr. Thomas Nitzsche von den Freien Demokraten berichtete. Aus meiner Sicht ist dies eine vertane Chance – umso mehr, als dass die FDP sich für ihrem „Liberalen Sommer“ im August bereits das Thema „Entwicklung des Wohnens 2030“ gesetzt hatte und sich derzeit mitten in der Arbeit hierfür befindet. Aber – wer weiß – vielleicht war ja auch genau dies der Grund für die zur Schau gestellte Ignoranz von Piraten, Bürgern für Jena und der Linkspartei gegenüber den Liberalen.
Wenn die Liste gelungen wäre, dann würde ich sagen: Schwamm drüber!. Aber wie gut ist sie in Wirklichkeit? Ich zitiere jetzt einmal meine Großmutter, die sagte „Wenn man mit heißer Nadel strickt, dann ziehen sich schnell die Maschen zusammen.“ Und ähnlich wie ein falsch zubereitetes Soufflé dadurch in sich zusammenfällt, dass die heiße Luft entweicht, ist es – und ich betone das mit aufrichtigem Bedauern – auch mit der ohne Zeitnot viel zu früh eingereichten Liste. Viele ihrer Vorschläge entwickeln unter Lichte betrachtet mehr Qualitäten als Idee denn als wirkliches Konzept. Hier einige Beispiele:
Nach einem Abriss des Einkaufszentrums mit Parkhaus „Schillerpassage“ soll dort Wohnen entstehen. Wäre zwar direkt an der Bahnlinie und Passagen-Eigentümer Stieler ist entsetzt, da er doch gerade an der Finanzierung des Umbaukonzeptes seiner Immobilie feilt, aber die Liste schlägt vor: 1.) Abriss, 2.) Wohnungsbau. Genauso verhält es sich beim Jenaer Schlachhof (der sich noch immer in Privatbesitz befindet) oder der Hautklinik (die dem Freistaat Thüringen gehört), bei der „Möbel Koch“-Immobilie oder dem Klinikareal in der Bachstraße (das im Übrigen schon einige Zeit lang ein eigenes Entwicklungskonzept der Stadtverwaltung ist). MIt den Eigentümern wurden Gespräche leider nicht gesucht.
Und zwischen dem Möncheberge und dem Heiligenberg in Zwätzen soll ein Baugebiet erweitert werden in Richtung des Naturschutzbereichs und eines landwirtschaftlichen Versuchsgeländes. Dafür wären von den Eigentümern woanders für teures Geld Ausgleichsflächen zu schaffen, was deren Bereitschaft im Bereich Wohnen Gutes zu tun sicherlich schmälern würde. Aus Jena-Nord schlägt die Liste zudem gleich eine Vielzahl von Garagenstandorten vor, die wegfallen sollen. An die siebhzig Garagenbesitzer sollen ihre Heimstatt für Autos und Motorräder, Trabis und Schwalben verlieren … das sage nicht ich, sondern so steht es in der Liste geschrieben. Auch hier berichten Pächter, dass mit ihnen nicht gesprochen wurde.
Nun kann man ja argumentieren, dass es nicht Aufgabe der Opposition ist, alles, was ein Vorschlag sein könnte, bis ins letzte Detail zu durchleuchten und schon im Ansatz zu zerreden. Stimmt. Aber ein wenig Sorgfalt hätte man schon walten lassen können als die Liste erstellt wurde (…deshalb sprach ich eingangs von Schlampigkeit…), denn es gibt viele rechtliche und praktische Hemmnisse, die man durch Kommunikation in Erfahrung bringen und berücksichtigen können, ja: müssen. Kommunaltion baut Brücken zwischen Menschen. Hinter ihrem Rücken zu kommunizieren produziert dagegen Ängste.
Nur einige, wenige Tage an Mehrarbeit hätten möglicherweise ausgereicht, um herauszufinden, dass der Schlachthof etwa per sanierungsrechtlicher Verrfügung ein unveränderbares Gewerbegrundstück ist, dass vielerorts Kanäle und Leitungen mitten durch Grundstücks verlaufen und damit eine Wohnbebauung so gut wie unmöglich machen, dass Grundstücke sich in überschwemmungsgefährdeten Bereichen befinden oder der vorgeschlagene Wohnungsbau in Naturbiotope eingreift und so weiter. Um es ganz klar zu sagen: So, wie sie vorgelegt wurde, hätte diese Liste aus meiner Sicht niemals herausgegeben werden dürfen. Das schadet dem Ansehen der Opposition in Jena ganz erheblich – schon allein deshalb, weil die Verwaltung nun jeden einzelnen Fehler analysieren und vortragen wird.
Ich weiß, dass ich im ersten Kommentar schrieb: Wir Menschen in Jena könnten voller Optimismus sein, sagen aber viel zu oft „Ja, aber…“. Hier jedoch seien mir meine Anmerkungen gestattet, denn eine professioneller erstellte Liste im Sinne aller Jenaerinnen und Jenaer wäre mit nur fünf bis zehn, dafür aber wirklich erfolgversprechenden, Wohnbauflächen sicherlich zielführender gewesen, als diese vorschnelle „Masse statt Klasse“-Aufstellung.
Auf jeden Fall wird die FDP diesen Fehler nicht machen und bevor sie mit ihren Vorschlägen an die Öffentlichkeit geht, versuchen, mit den betreffenden Eigentümern oder Pächtern der Grundstücke zu reden. Insofern war es vielleicht sogar ganz gut, dass sie bei der zur Rede stehenden „Auflistung von Wohnbauflächen, die in der BV ‚Wohnen Jena 2030‘ nicht enhalten sind“ nicht involviert war. Denn: „Jena braucht GERMAN MUT, nicht GERMAN ANGST.“
In diesem Sinne
Rainer Sauer, Jena
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Ich habe auch noch ein Grundstück vorzuschlagen: ehemaliges KZ in Lobeda ! ein Wohn und Geschäftshaus mit einem kleinen Marktplatz, wo auch Händler mal Buden aufstellen können, vielleicht auch mal ein Rummel platz hat. Im EG können Vereinräume entstehen und oben drüber wohnen. Man sollte erst mal alles sammeln und dann wird vieles aussortiert. Es dürften aber genug Bauplätze übrig bleiben. Auch am Jenzig müsste man teure Ausgleichsfläche finanzieren, dazu kommen noch die Kosten für die Finazierung der Erschließung der neuen Gärten. Und am Jenzig kann nach meiner Meinung aus Gründen des Klimaschutzes nicht gebaut werden. der Jenzig sollte als Ganzes erhalten werden. Ist er doch ein Wahrzeichen Jenas. Man kann nicht alles privatisieren !!!!