„Unser Freund, das Atom“: Die Friedrich-Schiller-Universität Jena ist an einem EU-Großprojekt zur Geschichte der Kernenergie in Europa beteiligt
(JEZT / FSU) – Der „Atomkraft, nein danke!“-Aufkleber ziert nicht nur immer noch einige Autos in Deutschland und Europa. Er ist auch Ausdruck eines gesellschaftlichen Umgangs mit dem Thema Kernenergie. Politisch haben sich nach der Katastrophe im japanischen Kernkraftwerk Fukushima die Einstellungen gegenüber der Atomkraft verändert. Doch während u. a. in Deutschland der Ausstieg im Eilverfahren beschlossen wurde, halten andere europäische Staaten weiter an der Nukleartechnologie fest. Diesen aktuellen Entscheidungen liegen historisch gewachsene Strukturen in den einzelnen europäischen Staaten zu Grunde, die nun in einem EU-Großprojekt untersucht werden.
An dem aktuell gestarteten Projekt „History of Nuclear Energy and Society (HoNEST)“, das die Europäische Union mit rund drei Millionen Euro fördert, ist auch die Friedrich-Schiller-Universität Jena beteiligt. Ziel der ländervergleichenden Studie ist es, die Erfahrungen mit Kernenergie von 20 europäischen Staaten aus den vergangenen 70 Jahren zusammenzutragen. Damit sollen Erklärungen über die Vielfalt und den Wandel der Beziehungen der europäischen Gesellschaft zur Kernenergie auf Basis der historischen Erfahrungen möglich werden. Das dient zum einen der Politikberatung, zum anderen sollen Kontroversen zwischen den verschiedenen Interessengruppen und der europäischen Öffentlichkeit analysiert werden. Fragen zur Risikobewertung und besonders zur Endlagerung haben die Debatten in den vergangenen 70 Jahren immer wieder stark geprägt.
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf den unterschiedlichen nationalen Projekten der europäischen Staaten. Während in den westeuropäischen Ländern größtenteils das amerikanische Atomenergie-Know-how übertragen wurde, versuchten sich die osteuropäischen Staaten, bzw. jene, die in den Händen der sowjetischen Besatzungsmacht lagen, entweder an eigenen Projekten oder wurden in die sowjetischen Programme eingegliedert. Die Länderstudien aus Österreich und Deutschland bzw. der ehemaligen DDR liefern Dr. Christian Forstner und Bernd Helmbold vom Institut für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik der Universität Jena. Die beiden Wissenschaftler vom Ernst-Haeckel-Haus sammeln hierfür Daten aus Archiven in Österreich und Deutschland und führen Interviews mit Zeitzeugen. „Wir gehen davon aus, dass die nationale Nuklearpolitik nur in einem breiteren inter- und transnationalen Rahmen verstanden werden kann“, so Forstner, der im Rahmen seiner Habilitation das Projekt an der Jenaer Universität leitet. Dabei können die Forscher an die Erkenntnisse ihres aktuellen DFG-Projektes zu Max Steenbeck anknüpfen, der den Aufbau der Kernenergie in der DDR maßgeblich mitgestaltete.
Deutschland und Österreich haben eine lange Tradition in der Kernenergieforschung. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es beiden Ländern jedoch nicht möglich, eigene nationale Atomenergieprogramme zu entwickeln. Zum einen aus wirtschaftlichen Gründen, zum anderen wegen politischer Beschränkungen. Nicht nur in der DDR auch in Westdeutschland wollten die Alliierten nationale Sonderwege in der Nukleartechnologie verhindern. Um gesellschaftliche Akzeptanz warb man in Deutschland dennoch. So war der ursprünglich amerikanische Werbeslogan „Unser Freund, das Atom“ nur einer der vielen Versuche, die Gesellschaft der 50er Jahre für die neue Technologie zu begeistern.
Während in der DDR die Nukleartechnologie der Sowjetunion übernommen wurde, baute Österreich nach 1955 mit Hilfe der USA seine Kernenergie aus. Um eine militärische Nutzung zu unterbinden und weil der USA an der Patentsicherung gelegen war, stellten sie sogar Forschungsreaktoren als Komplettpakete zur Verfügung. Für Forstner ist der Umgang Österreichs mit Kernenergie doppelt interessant: Einerseits kooperierte Österreich sehr stark mit internationalen Organisationen wie der Atomenergiebehörde IAEA, andererseits scheiterte das österreichische Atomprogramm in den 1970er Jahren. „Die Analyse dieses Scheiterns Österreichs ist von entscheidender Bedeutung für das Verständnis der aktuellen Entwicklungen in mehreren anderen europäischen Staaten, die den Atomausstieg anstreben oder bereits hinter sich haben“, ist Dr. Forstner überzeugt. Für das interdisziplinäre Projekt zur Geschichte der Kernenergie in Europa sei das Institut mit der Forschungsstelle im Ernst-Haeckel-Haus auf Grund der früheren Projekte und Erfahrungen bestens geeignet, betonen die Forscher.
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