Jena war eine Nummer zu groß für die „Großdemo der AfD“: 650 Anhänger sahen sich rund 1.500 Gegendemonstranten gegenüber
Die lange angekündigte „Großdemonstration“ der Thüringer Altermative für Deutschland (AfD) am gestrigen Abend hat nicht einmal 1 % der Jenaer Bürger motiviert, sich auf dem Historischen Markplatz einzufinden, um den Reden von MdL Wiebke Muhsal, MdL Björn Höcke und AfD_Bundesvorstandsmitglied Alexander Gauland zu einem „Europa der Vaterländer“ zuzuhören. Damit zeigte sich, dass Jena offensichtlich eine Nummer zu groß war für die AfD.
Den von der Polizei geschätzten etwa 650 Anhängern der rechtspopulistischen Partei standen an verschiedensten Orten der Innenstadt rund 1.500 Gegendemonstranten gegenüber oder im Weg. Deshalb wurde am Ende auch nichts aus dem angekündigten Demonstrationsmarsch durch Weigelstraße, Fürstengraben, Löbdergraben und der Straße Unterm Markt zurück zum Versammlungsort. Gelitten haben nicht nur die, bei eisigen Temperaturen und teils heftigem Schneefall ausharrenden, AfD-Sympathisanten sondern auch viele Gewerbetreibende am Markt und dem Umfeld. Einige schlossen ihre Geschäfte bereits am Mittag oder, so die ‚WG Carl Zeiss‘, gegen 15 Uhr 30 „aus technischen Gründen“, wie am Sonnenhof zu lesen war. Auch die Holzmarktpassage war ab etwa 18 Uhr geschlossen und wurde durch Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes bewacht. Hier dürfte sich die Alternative für Deutschland mit ihrem Plan, nach Erfurt und Gera nun auch Jena zu einem Zentrum ihrer Aufmärsche zu machen, bei den Jenaerinnen und Jenaern wenig Freunde geschaffen zu haben.
Auf der Bühne des Marktplatzes gab es dann später Kostproben aus dem alternativlosen Repertoi der rechten Redenschwinger zu hören. Von Jenas Landtagsabgeordneter Wiebke Muhsal gab es kaum etwas zum „Europa der Vaterländer“ zu hören, lediglich dass „der Euro auf dem Prüfstand“ müsse, sagte Muhsal – ob sie das dem TÜV oder wem auch immer überlassen will, ließ die Diplom-Juristin offen. Aber Frau Muhsal erklärte dem Volk dafür, sie werde sich in drei Jahren in den Stadtrat wählen lassen, damit sich in Jena „einiges ändern wird“. Muhsal: „Wir wollen in dieser Stadt aufräumen. Wir wollen Ordnung in diese Stadt bringen.“ Als Beispiel nannte sie die Johannisstraße mit der Jungen Gemeinde, denn diese Straße sei inzwischen eine „No-go-Area“ in Jena geworden – weshalb sie das so sieht, ließ Wiebke Muhsal offen. Neben ihren Englischkenntnissen verblüffte sie die Menge auch mit solchen in Geografie, als sie sagte: „Jena ist nicht Köln.“ Danach spielte die AfD „Imagine“ von John Lennon, Muhsal machte sich auf Weg von der Bühne, wurde dabei von Gegendemonstranten beschimpft und warf ihnen – getreu der fünften Jahreszeit – Kusshände zu.
Nur zur Erinnerung: John Lennon dichtete in dem Song einst „Stell dir vor, es gäbe keine Länder – nichts, wofür es sich zu töten oder sterben lohnte. (…) Stell dir vor, alle Menschen lebten ihr Leben in Frieden.“ Zynischerweise folgte auf „Imagine“ Björn Höcke. Dieser bemerkte anfnags, dass er auf dem Markt gar keine Nazis sehen könne, sondern nur „Vaterlandsfreunde“. Dennoch fühle er sich, so Höcke, fremd im eigenen Land und er prangerte die „Blauäugigkeit der Kölner Frauen“ an, die darauf vertraut hätten, dass Flüchtlinge harmlos seien. Diese seien zwar jung, aber „überwiegend ungebildet“, sagte Höcke, und nur ein Prozent von ihnen seien tatsächlich politisch verfolgt. Der brandenburgische AfD-Vorsitzende Alexander Gauland verlangte anschließend nach der Bundeswehr um die deutschen Außengrenzen zu schützen und Flüchtlingen den Zutritt nach Deutschland zu verwehren. Es gehe um den Schutz „unseres Landes vor unerlaubten Eindringlingen“, sagte er.
Noch einmal zurück zu Lennon und „Imagine“. Dort heiß es auch: „Stell dir vor, alle Menschen teilten sich die Welt, einfach so. Du wirst vielleicht sagen, ich sei ein Träumer, bber da bin ich nicht der einzige. Und ich hoffe, eines Tages wirst auch du einer von uns sein und die ganze Welt wird eins.“ – Vielleicht sollte sich die Alternatiove für Deutschland in Zukunuft die Lieder einmal richtig anhören, die sie abspielt, damit sich darin ihre politische Gesinnung widerspiegelt – „Imagine“ gehört mit Sicherheit nicht dazu.
Im Wesentlichen blieb der gestrige Demonstrationstag friedlich, wie die Jenaer Polizei mitteilte, die durch Einsatzkräfte der Bereitschaftspolizei und anderer Landespolizeiinspektionen unterstützt wurde. Allerdings, so eine Polizeisprecherin, seien Einsatzkräfte der Polizei im Bereich Oberlauengasse / Unterm Markt (von Personen „des augenscheinlich linken Spektrums“, wie sie erklärte) mit Steinen und Flaschen beworfen worden, woraufhin die Beamtinnen und Beamten genötigt gewesen seien, diese Tätlichkeiten durch den Einsatz von Pfefferspray zu unterbinden. Bei einzelnen Tätlichkeiten im Verlauf des Kundgebungsgeschehens seien insgesamt vier AfD-Teilnehmer und ein Gegendemonstrant leicht verletzt worden. Auch vier Polizeibeamte seine im Verlauf des Einsatzes leicht verletzt worden, hieß es.
Darüber hinaus seien in der Innenstadt mehrere frische Graffiti festgestellt worden, unter anderem am Marktbrunnen, die nach ihren inhaltlichen Bezügen den Teilnehmern der Gegenveranstaltungen zuzurechnen seien, so die Polizeisprecherin am Abend.
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NACHLESE ZUR AfD- UND DEN 7 GEGENDEMOS IN JENA AM 20.01.2016:
„Ja, wir lieben dieses Land.
Und nun will ich euch mal etwas sagen:
Es ist ja nicht wahr, dass jene, die sich ›national‹ nennen und nichts sind als bürgerlich-militaristisch, dieses Land und seine Sprache für sich gepachtet haben. Weder der Regierungsvertreter im Gehrock, noch der Oberstudienrat, noch die Herren und Damen des Stahlhelms allein sind Deutschland. Wir sind auch noch da.
Sie reißen den Mund auf und rufen: »Im Namen Deutschlands … !« Sie rufen: »Wir lieben dieses Land, nur wir lieben es.« Es ist nicht wahr.
Im Patriotismus lassen wir uns von jedem übertreffen – wir fühlen international. In der Heimatliebe von niemand – nicht einmal von jenen, auf deren Namen das Land grundbuchlich eingetragen ist. Unser ist es.
Und so widerwärtig mir jene sind, die – umgekehrte Nationalisten – nun überhaupt nichts mehr Gutes an diesem Lande lassen, kein gutes Haar, keinen Wald, keinen Himmel, keine Welle – so scharf verwahren wir uns dagegen, nun etwa ins Vaterländische umzufallen. Wir pfeifen auf die Fahnen – aber wir lieben dieses Land. Und so wie die nationalen Verbände über die Wege trommeln – mit dem gleichen Recht, mit genau demselben Recht nehmen wir, wir, die wir hier geboren sind, wir, die wir besser deutsch schreiben und sprechen als die Mehrzahl der nationalen Esel – mit genau demselben Recht nehmen wir Fluß und Wald in Beschlag, Strand und Haus, Lichtung und Wiese: es ist unser Land. Wir haben das Recht, Deutschland zu hassen – weil wir es lieben. Man hat uns zu berücksichtigen, wenn man von Deutschland spricht, uns: Kommunisten, junge Sozialisten, Pazifisten, Freiheitliebende aller Grade; man hat uns mitzudenken, wenn ›Deutschland‹ gedacht wird … wie einfach, so zu tun, als bestehe Deutschland nur aus den nationalen Verbänden.
Deutschland ist ein gespaltenes Land. Ein Teil von ihm sind wir.
Und in allen Gegensätzen steht – unerschütterlich, ohne Fahne, ohne Leierkasten, ohne Sentimentalität und ohne gezücktes Schwert – die stille Liebe zu unserer Heimat.“
Aus: Kurt Tucholsky, Heimat (1929)
DEM OBENSTEHENDEN HABE ICH NICHTS HINZUZUFÜGEN.