Der 266. bis 271. Verhandlungstag im Münchner „NSU“-Prozess
Zusammengefasst und kommentiert aus Pressemeldungen:
03.03./08.03./09.03.2016: Der 266. bis 268. Verhandlungstag
Zwei Sparkassenüberfälle von 2004 und 2005 in Chemnitz, begangen von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos um die von Beate Zschäpe verwaltete „Haushaltskasse“ des „NSU“ aufzufüllen, waren an den Tagen 266 und 267 des Münchner Prozesses Gegenstand von Zeugenbefragungen. Das Jahr 2004 begannen die Terroristen e im Februar mit dem Mord an Mehmet Turgut, einem 25 Jahre alten Türken, der in Rostock in einem Döner-Imbiss arbeitete. Im Mai 2004 machten sie dann laut der Anklage bei einem Überfall auf eine Chemnitzer Sparkassenfiliale, die sie im Folgejahr noch einmal überfielen, Beute in Höhe von insgesamt über 100.000 Euro. Im Juni 2004 gingen Böhnhardt und Mundlos schließlich nach Köln, wo sie den folgenschweren Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße verübten.
Sparkassenangestellte berichteten übereinstimmend vom brutalen Auftreten der beiden Terroristen und von der Angst um das eigene Leben, da ihnen eine Waffe an die Schläfe oder direkt vor das Gesicht gehalten wurde, damit sie den Tresor öffneten. Auch die Wut der Täter blieb den Zeugen in Erinnerung, als sich mit Zeitschlössern versehene Kassen nicht sofort öffnen ließen. „Sie schlugen daraufhin alles kurz und klein, die Rechner, die Tastaturen, rissen die Schränke auf und schrien nach Geld“, sagte eine Zeugin aus. Der Chef der Filiale in der Chemnitzer Sandstraße hatte eine zweifache Begegnung mit Mundlos und Böhnhardt, denn nach dem 18. Mai 2004 kamen beide am 22. November 2005 noch einmal wieder und hatten beim zweiten Aufeinandertreffen zusätzlich eine Handgranate dabei.
An Tag 269 des „NSU“-Prozesses musste sich erneut der wegen Beihilfe an neun Morden mitangeklagte Carsten Sch#ltz# vor Gericht erklären. Dabei belastete er den ehemaligen NPD-Funktionär Ralf Wohlleben erneut schwer und bekräftigte, dass dieser ihm den Auftrag zur Beschaffung der Mordwaffe gegeben habe. Bereits zu Beginn des Prozesses hatte Sch#ltz# vor dem Münchner Oberlandesgericht ein umfassendes Geständnis abgelegt. Er gab zu, die Pistole vom Typ Ceska besorgt zu haben. Mit dieser Waffe sollen die „NSU“-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt acht türkisch und einen griechischstämmigen Mann ermordet haben. Den Auftrag und das Geld zur Beschaffung der Pistole hat er laut eigener Aussage von Ralf Wohlleben bekommen.
Wohlleben dagegen hatte im Dezember 2015, als er nach mehr als zweieinhalb Jahren sein Schweigen brach, erklärt, mit dem Erwerb und der Weitergabe der Ceska nichts zu tun gehabt zu haben. Er sagte aus, der Auftrag an Sch#ltz# sei direkt von Mundlos oder Böhnhardt gekommen. Das Geld habe Timo Brandt geliefert, ein Neonazi und ehemaliger V-Mann des thüringischen Verfassungsschutzes.
Dies bestritt Carsten Sch#ltz# jetzt vor Gericht, als er erklärte: „Ich hab das Geld von Wohlleben bekommen, da war kein Tino Brandt involviert.“ Wohlleben sei der Auftraggeber und die steuernde Person bei der Beschaffung gewesen, bekräftige er. Grundsätzlich sei er damals immer bei wichtigen Aktionen von Wohlleben oder auch André Kapke angesprochen worden, habe dabei jedoch nie selbst die Initiative ergriffen, so Sch#ltz#.
15.03./16.03./17.03.2016: Der 269. bis 271. Verhandlungstag
Es war das Bekenntnis, mit dem sich der „Nationalsozialistische Untergrund“ im November 2011 enttarnte: das zynische und menschenverachtende Bekennervideo, in dem die zehn Morde von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt thematisiert werden. Bereits zweimal wurde es im Gericht vorgeführt. Dieses Mal hörte der Strafsenat zwei Ermittler des Bundeskriminalamts, die den Film untersucht hatten. Ihren Erkenntnissen zufolge war Zschäpe möglicherweise an der Herstellung des Films beteiligt: Sie soll eine Sendung über den Kölner Bombenanschlag in der Keupstraße von 2004 aus dem Fernsehen mitgeschnitten haben, als die mutmaßlichen Täter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt noch nicht wieder zuhause sein könnten, wie in der vergangenen Woche öffentlich wurde.
Demnach wäre Zschäpe in die Tat eingeweiht gewesen – anders, als sie selbst behauptet hatte. Im Video sind Zeitungsausschnitte verwendet, die auch in der letzten Wohnung des Trios in Zwickau lagen. Weiter werden im Video Fotos von Mordopfern gezeigt, die nur von den Tätern selbst gemacht worden sein konnten. 15 Exemplare des Films hatte Zschäpe während ihrer Flucht nach dem Tode ihrer Komplizen verschickt.
Am 270. und 271. Verhandlungstag im „NSU“-Prozess hat Beate Zschäpe erneut Fragen des Gerichts beantwortet. So sei sie nach eigenen Angaben von Frühjahr 1998 bis Sommer 2001 mehrfach von ihrem Lebensgefährten, dem Terroristen Uwe Böhnhardt, geschlagen worden. In einer vor Gericht verlesenen Aussage berichtete sie, solche Zwischenfälle habe es vor allem dann gegeben. „wenn ihm verbal die Argumente ausgingen“. Als Beispiel nannte Zschäpe den Streit darüber, dass eine Waffe offen in der Wohnung herum gelegen habe. Sie habe das nicht gewollt, er habe den „Streit mit Schlägen beendet“. Sie zeigte dem Gericht über ihren Wahl-Anwalt Borchert, wo die einzelnen Zimmer in der ausgebrannten Zwickauer Wohnung waren und wer sie wie nutzte. Zu der Frage, welche Überlegungen sie nach dem Brand hatte, ließ Zschäpe erklären, dass sie bis auf das Verschicken der Filme keine weiteren Anweisungen von Mundlos und Bönhardt erhalten habe. Erst nach deren Tod habe sie begonnen über weitere Schritte nachzudenken und zwar: „Ich überlegte, mich vor einen Zug zu werfen, verwarf das aber wieder. Stattdessen stellte ich mich vier Tage später der Polizei. Ich wollte vorher noch meine Oma wiedersehen, wozu es aber nicht mehr kam.“
Zu ihrem Alkoholkonsum vom 04.11.2011, bevor sie nachmittag die „NSU“-Wohnung in Zwickau anzündete, sagte sie: „Ich bin gegen 8 Uhr aufgestanden und habe eine Stunde später das erste Glas Sekt getrunken. Bis 14.30 Uhr habe ich eine Flasche Sekt getrunken. Ich hatte keine Ausfallerscheinungen.“ Außerdem erklärte sie sich erstmals zu ihren Kontakten zu dem in München mit angeklagten André Em#ng#r und dessen Ehefrau Susann. Zschäpe sagte aus, aas Paar habe (Zitat) „über die Banküberfälle“ Bescheid gewusst, die Böhnhardt gemeinsam mit Uwe Mundlos verübt habe. Zchäpe: „Ich habe ihnen davon erzählt.“ Etwa ab 2006 sei vor allem Susann Em#ng#r fast jede Woche zu Besuch gekommen und habe auch ihre Kinder mitgebracht. Das, so Zschäpe, habe ihr „gut getan, da diese für mich eine Art Ersatzkinder waren, da ich selbst keine Kinder bekommen konnte“.
Für Prozessbeobachter bemerkenswert war, dass Beate Zschäpe mit ihren Einlassungen das Ehepaar Em#ng#r teilweise erheblich belastete. Zwar erklärte sie, von den Morden und Sprengstoffanschlägen habe das Ehepaar Em#ng#r „nichts gewusst“, jedoch schilderte sie André Em#ng#r als jemanden mit Insiderwissen zu den Taten des „NSU“, denn „wir vertrauten ihm nunmehr insoweit, dass er wusste, dass Böhnhardt eine Haftstrafe hätte antreten sollen und dass in der von mir (also: Zschäpe) angemieteten Garage Sprengstoff gefunden worden ist“, war eine der Äußerungen Zschäpes. Und soe erzählte auch, man habe ihm von den einzelnen Raubtaten – von denen eine ja als Mordversuch angeklagt ist – berichtet. Nach der Brandlegung am 04.11.2011 habe Zschäpe von ihrem Handy Anrufe zum Handy von André Em#ng#r gemacht und an einer Kreuzung etwa 10 bis 15 Minuten von der Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße entfernt, habe der sie dann getroffen, ließ sie vortragen.
„Ich habe ihm dann erzählt, dass ich die Wohnung mit Benzin angezündet hätte, meine Kleidung deshalb stark nach Benzin roch und ich deshalb neue Kleider benötigte“, sagte die Hauptangeklagte an Tag 271 über ihren Anwalt aus. Sie habe dem Mitangeklagten sodann erklärt, dass Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos tot seien und dass der Brand deren letzter Wille gewesen wäre, „den ich ihnen erfüllt habe“. Danach sie sei mit André Em#nger in dessen eheliche Wohnung gefahren und habe sich „Anziehsachen“ von Susann Em#ng#r mitgenommen, die jedoch nicht da gewesen sei, wie Zschäpe betonte.
Schließlich habe André Em#ng#r sie zum Bahnhof nach Chemnitz gebracht, „nachdem in Glauchau kein Zug fuhr“. Der habe sie während der Fahrt gefragt, „ob ich flüchten, mich stellen oder umbringen wolle“, ließ die Hauptangeklagte über ihren Anwalt mitteilen. Da sie kurz erwogen habe, sich vor einen Zug zu werfen, davon dann aber Abstand genommen habe „blieb ich ihm eine Antwort schuldig, da ich diese Frage selbst nicht genau beantworten konnte“, so Zschäpe vor Gericht.
Trotz ihrer überraschend umfangreichen Aussage blieben immer noch viele Fragen offen, auf die das Gericht wohl demnächst noch eingehen wird. So kann etwas mit Beate Zschäpes Aussage zu Glauchau nicht stimmen. Laut der Anklage gab es in der Nacht vom 04. auf den 05.11.20111 zwischen 2.57 und 3.45 Uhr von einem Münztelefon vor dem Glauchauer Bahnhof mehrere Anrufversuche bei der Familie Em#ng#r, vermutlich von Zschäpe. Belegt ist, dass sie am nächsten Morgen gegen 7 Uhr am Chemnitzer Bahnhof telefonierte. Hat sie eventuell doch längere Zeit (vielleicht sogar mit Susann Em#ng#r) in der ehelichen Wohnung verbracht und wurde dann nach Glauchau gebracht? Weiter wartet die Aussage des Polizeirats Swen P. auf eine Antwort Zschäpes. Der leitete als Chef des Polizeireviers Zwickau die ersten Maßnahmen am Brandort und berichtete im „NSU“-Prozess von der Auswertung der Gespräche, die von Beate Zschäpes Handy geführt wurden. So sei ihr Handy am Nachmittag des 04.11.2011 in einem Zwickauer Neubaugebiet geortet worden, gab er zu Protokoll des Gerichts. Was wollte sie dort? Ihr Aufenthalt in der Wohnung der Familie Em#ng#r ist damit jedenfalls schwerlich in Einklang zu bringen, denn diese wohnten seinerzeit nicht in dem Neubaugebiet sondern Kilometer entfernt in einem Altbau.
Gegen Ende ihrer Aussagen vor Gericht erklärte Beate Zschäpe zudem, vom Inhalt des Bekennervideos nichts gewusst zu haben, sie habe es sich noch nicht einmal angesehen, sagte sie aus. Wie passt dies zu den Ermittlungen des Bundeskriminalamts, wonach nach dem Nagelbombenattentat auf die Menschen in der Kölner Keupstraße TV-Berichte über den Anschlag mitgeschnitten wurden, die später in das Bekennervideo des „NSU“ eingearbeitet worden waren? Weder Böhnhardt noch Mundlos kommen für die Mitschnitte in Frage. Der Senat hatte Zschäpe auch nach der Versendung der Bekenner-DVDs befragt. Hierzu sagte Zschäpe abschließend nur aus: „Ich habe niemals gewusst, dass die Tötungen Inhalt des Films sein würden. Nur vermutet habe ich es. Rückblickend glaube ich“, ließ sie vortragen, „dass es Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt mit dem eigenen Tod vor Augen beruhigte, dass trotz ihres Todes einmal ihr Tun veröffentlicht werden würde.“
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