Große Stadtratsanfrage der Zählgemeinschaft FDP / Piraten zur Entwicklung des Kfz-Verkehrs in Jena (Teil 1)
Die Zählgemeinschaft FDP / Piraten im Jenaer Stadtrat (= bestehend aus Dr. Thomas Nitzsche und Alexis Taeger / FDP sowie Prof. Dr. Clemens Beckstein und Dr. Heidrun Jänchen / Piraten) hat in der Sitzung am 15.06.2016 eine weitere große Anfrage eingebracht, dieses Mal zur Entwicklung des Kfz-Verkehrs in Jenas.
Wir stellen in JEZT diese große Anfrage vor – dies ist Teil 1:
Präambel: In der Erstellung der Mobilitätsleitlinien, also in der Fortschreibung des Verkehrsentwicklungsplans (VEP) von 2002, stehen in den nächsten Monaten politische Beschlüsse von immenser Tragweite für die weitere Entwicklung unserer Stadt an. Der Einreicher hat den Eindruck, dass sich in der Debatte zu den Leitlinien sowohl in der öffentlichen Meinung als auch in den politischen Gremien (Workshops; Facharbeitskreis; Stadtrat bei Beschlüssen, die das Thema Verkehr berühren) gegenüber der in den letzten Jahren verfolgten Verkehrspolitik ein Paradigmenwechsel abzeichnet. Im Kern kreist der Streit um die eine Frage: „Haben Autofahrer in Jena ein Verkehrsproblem, und wollen wir es lösen?“ Der Einreicher hat hierzu eine klare Meinung, sie dürfte in den Einzelfragen erkennbar werden.
Die Große Anfrage will nicht mehr, aber auch nicht weniger als: eine Festlegung der Verwaltung, die sich nicht hinter dem Hinweis auf die politische Entscheidungshoheit des Stadtrates versteckt. Formal wird es die Verwaltung sein, die mit einem eigenen Vorschlag das Verfahren im Stadtrat eröffnet. Die Frage, welche grundsätzliche Haltung sie dabei einnimmt, sollte sie möglichst früh und im vollen Licht der Öffentlichkeit beantworten. Wir haben in jüngerer Vergangenheit zu oft erlebt, wie hinter ver-schlossenen Türen getroffene Vorfestlegungen trotz späteren Widerspruchs immer weiter aushärten und am Ende die Akzeptanz des Verfahrens an sich gefährden. Die Beratung zu den Leitlinien macht bisher auch diesen Eindruck.
Ein klares doppeltes öffentliches Ja der Verwaltung auf die Gretchenfrage oben wäre der Startschuss für gemeinsames Handeln. Ein Nein, einmal für die Öffentlichkeit schriftlich fixiert und begründet, wäre der Startschuss für eine Auseinandersetzung, die dann mit einem Grad an Verbindlichkeit stattfinden könnte, der ebenfalls ein Gewinn für die Zukunft unserer Stadt wäre.
Verkehrsentwicklung fällt nicht vom Himmel, sie folgt Prämissen. Die Prämissen setzen Leitplanken für die Planung. Die Planung führt zu Beschlüssen. Beschlossenes wird Realität, die in Jena leider oft zu Frust bei den Verkehrsteilnehmern führt. Zweites Ziel der Anfrage ist es daher, Transparenz und Öffentlichkeit zu den Prämissen herzustellen. Vielen mit der Gesamtsituation Unzufriedenen ist vielleicht gar nicht bewusst, wo die eigentlichen Ursachen für die empfundenen Missstände liegen.
Nehmen wir das Schimpfen über die Baustellen. Die eigentliche Stau-Ursache ist nicht die Baustelle selbst, auch nicht die zeitgleich zweite Baustelle an anderer Stelle, auch nicht die Ampelschaltung entlang der Umleitung – sondern die seit Jahren viel zu geringe Dimensionierung des Straßennetzes, die dem Verkehr keine Möglichkeit zum Ausweichen lässt. So sind die Verkehrsbehörde (Sperrung und Umleitung) und der Eigenbetrieb KSJ (Ampeln entlang des Weges) gezwungen, die Probleme in einem viel zu engen Käfig hin und her zu schieben. Lösen können sie sie gar nicht, bekommen aber als Sündenbock den ganzen Frust ab. Um deren Job mal auf ein anderes Bild zu bringen: Versuchen Sie mal, hundert Liter Wasser schnell durch eine dünne Spritze zu pressen!
Betrachtungszeitraum der Anfrage ist in Rückschau immer: seit VEP 2002. Wo die Auswertung der Daten über diesen gesamten Zeitraum hinweg zu aufwändig wäre, und solange die Aussage dadurch nicht verzerrt wird, ist auch eine Beschränkung auf einen kürzeren Zeitraum ok (bitte ggf. aber kurz begründen). Sollten zu einzelnen Fragen noch gar keine Daten vorliegen, bitten wir die Verwaltung vor der Beantwortung um Abstimmung mit dem Einreicher dieser Großen Anfrage – der nach einer groben Abschätzung, welchen Aufwand die Erhebung dieser Daten bedeuten würde, u.U. mit einer (ggf. auch deutlich) verzögerten Beantwortung durchaus einverstanden sein könnte. Die Hoffnung des Einreichers der Anfrage ist jedenfalls, dass ihre (zweifelsohne aufwändige) Beantwortung kein Selbstzweck ist, sondern der Meinungsbildung von Verwaltung und Stadtrat dient.
Verkehrsplanerische Haltung
1. In der Erarbeitung der Leitlinien geht es der Verwaltung offenbar v.a. darum, stärker als im VEP 2002 auch stadtplanerische, umweltpolitische und soziale Fragen in die Verkehrsplanung einzubeziehen. Die technische Abwicklung des künftigen Verkehrs (Verkehrsmodell, Bedarf, Netzplan, Wirkungsanalyse etc.) trat dabei bislang in den Hintergrund. Frage: Wann und in welchem Rahmen sollen diese Fragen geklärt werden? Wäre es sinnvoll, Leitlinien zu beschließen, ohne diese Fragen geklärt zu haben?
2. Kann die Verwaltung der Aussage zustimmen, dass (bei Wahrung der Verkehrssicherheit) das oberste Ziel eines Mobilitätskonzepts ein möglichst flüssiger Ablauf aller Verkehrsarten ist?
3. Kann die Verwaltung der Aussage zustimmen, dass andere Ziele sich entweder innerhalb eines Mobilitätskonzeptes als sekundär unterzuordnen haben oder in anderen Konzepten zu fixieren sind (z.B. Lärmaktionsplan), die dann bei konkreten Entscheidungen gemeinsam mit dem Mobilitätskonzept zur Abwägung gebracht werden?
4. Sofern innerhalb des Mobilitätskonzeptes zu verankern, welche Priorisierung würde die Verwaltung den folgenden Zielfeldern zuweisen: – Leistungsfähigkeit und Effektivität / – Wirtschaftlichkeit und Realisierung / – Raumordnung und Städtebau / – Gesundheit und Naturschutz / – Planung und Beteiligung?
5. Wie hält es die Verwaltung grundsätzlich mit dem Kfz-Verkehr? Versteht sie ihn – als einen natürlichen Mobilitätsbedarf / – als Folge und Bedingung von Wachstum / – als eine gleichberechtigte Mobilitätsart neben anderen / – als einen Störfaktor, den es zu minimieren gilt?
6. Wie bewertet die Verwaltung die Politik der Stadt für den Kfz-Verkehr seit Inkrafttreten des VEP 2002? Hatte diese Politik das Ziel, den Kfz-Verkehr zurückzudrängen? Falls ja, inwiefern ist ihr das gelungen?
7. Beabsichtigt die Verwaltung, der städtischen Verkehrspolitik mit den Leitlinien ein anderes Gepräge als bisher zu geben? Wenn ja, welches? Hat sie den Eindruck, a) dass ihr der Stadtrat darin folgen würde, b) dass dies von der Bevölkerung mehrheitlich gewünscht ist?
8. Unterhalb der Schwelle, an der jeweils Polizei oder Verkehrsorganisation ins Spiel kommen, verfolgt die Verwaltung eher den Ansatz, in ihrer Verkehrsplanung darauf zu reagieren, wie sich der Mensch als Verkehrsteilnehmer tatsächlich verhält; oder ist sie eher bestrebt, ihn zu einem Verhalten zu erziehen, das für die Verkehrsplanung möglichst zweckdienlich wäre?
9. In welcher Form soll ein (auch für den Sektor des Kfz ganzheitlich denkendes) Konzept für Ein- und Auspendler entweder Teil der Leitlinien selbst oder mit diesen verknüpft werden? Um in der Strukturlogik der Leitlinien zu bleiben, welche Qualitäts- und Handlungsziele für den fließenden und ruhenden Verkehr sollen dabei eine Rolle spielen?
10. Die Expertisen und Papiere, mit denen die Verwaltung in die Diskussion zu den Leitlinien eingestiegen ist, unterstellten ein sich drastisch änderndes Mobilitätsverhalten, mit einem signifikanten Rückgang des Kfz-Verkehrs. Diese Erwartung steht in eklatantem Widerspruch zu den Jenaer Entwicklungen seit Inkrafttreten des VEP 2002. Wie wird sie daher begründet?
[Fortsetzung folgt]
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