EU-Parlamentsvizepräsident Lambsdorff: „Der Brexit geht auch auf Merkels Konto“
Am Misstrauensvotum der Briten gegen die EU habe auch die Politik von Bundeskanzlerin Angela Merkel Anteil, erklärte FDP-Präsidiumsmitglied Alexander Graf Lambsdorff im Interview mit „Spiegel Online“. Die Bundesregierung habe in zentralen Fragen die Bedenken anderer EU-Länder einfach ignoriert, verdeutlichte Lambsdorff. Im Ergebnis sei das Misstrauen gegenüber Deutschland als größtem Mitgliedstaat stark gewachsen, auch das sei ein Thema der Brexit-Befürworter auf der Insel gewesen, gab der Freidemokrat zu bedenken. Hier einige Auszüge aus dem Interview:
SPIEGEL ONLINE: EU-Parlamentspräsident Martin Schulz will die Kommission zu einer echten Europaregierung machen, kontrolliert vom Europaparlament und einer zweiten Kammer mit Vertretern der Mitgliedstaaten. Ist das das richtige Mittel gegen das Misstrauen vieler Bürger gegen Brüssel?
Lambsdorff: Schulz spricht das eigentliche Problem nicht an: die fehlende parlamentarische Kontrolle des Europäischen Rats. Hier liegt das wahre Demokratiedefizit. Die europäischen Staats- und Regierungschefs fällen weitreichende Beschlüsse hinter verschlossenen Türen. Im Rat werden Gesetze wie aus einer Blackbox heraus produziert, die dann den Parlamenten als alternativlos präsentiert werden.
Was schlagen Sie vor?
Der Rat muss zu einer zweiten Kammer werden, die öffentlich tagt – ähnlich wie der Bundesrat in Deutschland. Eine solche Änderung aber ist ein schwieriges, institutionelles Projekt. Im Moment haben die Menschen in den europäischen Ländern wenig Interesse daran.
Weshalb nicht? Dürsten die Menschen nicht gerade nach mehr Transparenz?
Schon, aber jetzt muss die EU erst einmal beweisen, dass sie kann, wofür sie geschaffen wurde. Nehmen Sie das Thema Sicherheit: Die nationalen Regierungen ergehen sich in schön klingenden Verkündungen, aber echte Fortschritte bei einer gemeinsamen Einwanderungs- und Asylpolitik, dem Anti-Terrorkampf oder der europäischen Grenzsicherung gibt es nicht. Trotzdem wird weiter so getan, als ob. Es gibt auch in wichtigen Fragen keine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Außer Ursula von der Leyen und Matteo Renzi scheint niemand zu erkennen, was uns durch einen failed state Libyen direkt vor unserer Haustür drohen würde. Die EU scheitert an großen strategischen Fragen – aber genau dafür gibt es die Union eigentlich. Und nicht, um Duschköpfe oder Glühbirnen zu vereinheitlichen.
Die Bundesregierung ist nach dem Brexit-Referendum gespalten, die SPD drückt mit Reformvorschlägen aufs Tempo, die Union will abwarten. Welcher Weg ist der richtige?
Das Chaos in der Bundesregierung ist erschreckend. Finanzminister Schäuble pocht auf die Einhaltung des Stabilitätspaktes, Wirtschaftsminister Gabriel fordert üppige Subventionsprogramme gegen Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa – das passt hinten und vorne nicht zusammen. Und der Streit zwischen Union und SPD um den Beginn der Verhandlungen ist einfach lächerlich, wirklich entscheidend ist doch, was hinten rauskommt, also das Ergebnis. Deswegen müssen die Briten jetzt einen Fahrplan vorlegen und bis Mai 2019 muss der Brexit dann vollzogen sein. Dann sind die nächsten Europawahlen, und ich halte es nach dem Votum nicht für vorstellbar, dass die Briten daran noch einmal teilnehmen.
Welche Rolle sehen Sie für Angela Merkel in der EU-Krise?
Angela Merkel sollte sich zurückhalten. Dass sie jetzt von manchen zur Retterin der EU stilisiert wird, ist absurd – der Brexit geht auch auf ihr Konto.
Wie meinen Sie das?
Merkel und auch Wolfgang Schäuble haben den Populisten in Großbritannien Futter gegeben. Die Kanzlerin hat in der Flüchtlingskrise im Alleingang alle Regeln außer Kraft gesetzt. Das hat bei uns den Populisten einen Schub gegeben, aber eben auch ihren britischen Gesinnungsgenossen. Und der Finanzminister hat Griechenland so lange im Euro gehalten, bis Großbritannien verloren war, weil Ukip und Co. die Ängste der Briten, für die Stabilität des Euro in Haftung genommen zu werden, für sich nutzen konnten.
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