Liberalen-Chef Lindner im SPIEGEL-Interview: „Die FDP muss nicht um jeden Preis regieren“
Die Liberalen wollen in den Bundestag zurück, der Weg dahin bleibt aber noch mühsam. FDP-Chef Lindner spricht über die Rolle seiner Partei – und über Kandidaten zur Bundespräsidentenwahl. Die FDP dürfte am heutigen Sonntag nicht in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern einziehen. Alle Umfragen sahen sie dort zuletzt unter der Fünf-Prozent-Hürde. FDP-Chef Christian Lindner gibt sich denn auch verhalten: „Mecklenburg-Vorpommern ist ein schwieriges Pflaster für uns“, erklärt er im Interview mit SPIEGEL ONLINE.
Das langfristige Ziel der FDP sei die Rückkehr in den Bundestag im kommenden Herbst. Sollte das gelingen, will sich die Partei nicht um jeden Preis an einer Koalition beteiligen, sollte sie gefragt werden. „Wir sind bereit zur Verantwortung. Aber wenn man in der Regierung keine liberalen Akzente setzen kann, dann gehen wir lieber in die Opposition, um liberale Argumente vorzutragen“, so der FDP-Chef.
SPIEGEL ONLINE: Herr Lindner, die Bundes-FDP liegt in Umfragen zwischen fünf und sieben Prozent. Im Frühjahr hatten sie Erfolg in zwei westdeutschen Ländern, in Mecklenburg-Vorpommern werden Sie aller Voraussicht nach am Sonntag nicht reinkommen. Frustriert Sie das?
Lindner: Die FDP hat bei fünf Wahlen in Folge zugelegt. We hätte das 2013 für möglich gehalten? Mecklenburg-Vorpommern ist ein schwieriges Pflaster für uns. Aber dort können sich inzwischen 22 Prozent der Menschen vorstellen, FDP zu wählen. Um diese Menschen werben wir bis zur Schließung der Wahllokale, damit es im Landtag eine Stimme für Marktwirtschaft und Liberalität gibt.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben die FDP früh scharf gegen die AfD abgegrenzt. Hatten Sie Angst, Ihre Partei könnte nach dem Desaster bei der Bundestagswahl 2013 ebenfalls mit Rechtspopulismus liebäugeln?
Lindner: Nein, wir sind eine liberale Kraft, die auf den Einzelnen vertraut und Vielfalt liebt. Die AfD will für ein angeblich rassisch homogenes Volk sprechen, am besten mit einer Stimme – das ist autoritäre Politik im Stile Erdogans oder Putins. Die FDP ist der schärfste Kontrast dazu.
SPIEGEL ONLINE: Angesichts des Erfolgs der AfD und des Abschmelzens der großen Parteien könnte die FDP sehr schnell als Koalitionspartner in Frage kommen, sollte sie in den Bundestag einziehen. Sind Sie darauf vorbereitet?
Lindner: Ich denke über vieles nach, aber nicht über Koalitionen. Wir wollen mit unseren Projekten punkten. Weltbeste Bildung inklusive Reform des kleinteiligen Bildungsföderalismus. Eine marktwirtschaftliche Erneuerung, die die Bürokratie für Mittelstand und Handwerk abbaut, aber klare Regeln für Banken und Silicon-Valley-Unternehmen durchsetzt. Ein handlungsfähiger Staat, der aber nicht fortwährend in Bürgerrechte einschneidet.
SPIEGEL ONLINE: Und was ist mit der Steuerpolitik, mit der Sie in der schwarz-gelben Koalition an Angela Merkel gescheitert sind?
Lindner: Die bleibt ein Schwerpunkt. Denn gerade weil wir an der Union gescheitert sind, ist die Aufgabe noch dringlicher. Wir aktualisieren gerade unser steuerpolitisches Konzept. Ich halte eine jährliche Entlastung von bis zu 30 Milliarden bis zum Ende des Jahrzehnts für möglich – von 100 Milliarden, die der Staat zusätzlich einnimmt. Zehn Jahre hat es keine Entlastungen gegeben, stattdessen hat die Große Koalition die Sozialabgaben noch erhöht. Es ist völlig inakzeptabel, dass eine Familie aus der Mitte der Gesellschaft keine Chance hat, ein ähnliches Wohlstandsniveau zu erreichen wie ihre Eltern, weil der Staat so stark zugreift. Themen sind wichtiger als Koalitionstaktik.
SPIEGEL ONLINE: Also dann lieber Opposition?
Lindner: Wir sind bereit zur Verantwortung. Aber wenn man in der Regierung keine liberalen Akzente setzen kann, dann gehen wir lieber in die Opposition, um liberale Argumente vorzutragen. Die FDP wird nicht um jeden Preis regieren.
SPIEGEL ONLINE: Merkel hat in der schwarz-gelben Koalition ihre Steuersenkungspläne ausgebremst. Was haben Sie daraus gelernt?
Lindner: Dass wir keine natürlichen Verbündeten haben. Als Frau Merkel die Steuerreform abgeräumt hat, hätten wir sagen müssen: Frau Bundeskanzlerin, die Koalition ist beendet oder wir verhandeln neu. Stattdessen haben wir – auch ich – geschwiegen. Das hat uns viel Glaubwürdigkeit gekostet.
SPIEGEL ONLINE: Im Frühjahr steht in der Bundesversammlung die Wahl eines neuen Bundespräsidenten an. Ihre Partei stellt rund 30 Wahlmänner und -frauen. Welchen Kandidaten wünschen Sie sich?
Lindner: Eine Persönlichkeit, die dafür sorgt, dass Deutschland in diesen bewegten Zeiten die Fassung bewahrt und die unsere Liberalität – nicht im parteipolitischen Sinne – verkörpert.
SPIEGEL ONLINE: Muss es ein Politiker sein?
Lindner: Nein, aber es darf einer sein.
Lesen Sie hier das gesamte Interview!
« »Die geheimen Tagebücher von Wibke Mühsam« – Teil 19: Ich will der Gesellschaft einmal dem Schleier vor den Augen wegziehene… „Der grüne Daumen“: Schöne, ungestüme Kletterpflanze „Wilder Wein“ »