„Neue Perspektiven durch gespiegelte Systeme“: Physiker der FSU erweitern Möglichkeiten der Materialforschung
Um physikalische Erkenntnisse und Theorien auszudrücken, bedient sich die Wissenschaft der Mathematik. Die ganze Welt lässt sich durch Gleichungen beschreiben – da sind sich alle Physiker einig. Seit mehr als hundert Jahren nutzt man dafür sogenannte hermitesche Gleichungen – benannt nach Charles Hermite. Der französische Physiker hatte eine bestimmte Eigenschaft definiert, die für alle stabilen Systeme mit messbarer Energie gelten. 1998 jedoch veröffentlichte der US-amerikanische Physiker Carl Bender eine Theorie, die diese Denkweise revolutionär verändert hat.
Bender behauptete, dass auch Systeme ohne diese hermitesche Eigenschaft messbare Energien aufweisen können, wenn sie eine zusätzliche Symmetrie haben, nämlich wenn sie in Raum und Zeit gespiegelt sind. Diese Systeme nennt man PT-symmetrisch – P für Parity (Parität), T für Time (Zeit). Seit einigen Jahren versuchen Wissenschaftler weltweit, diese PT-symmetrischen Systeme zu ergründen und auf alle Bereiche der Physik anzuwenden. Physiker der Friedrich-Schiller-Universität Jena sind dem Verständnis der Bedeutung dieser Systeme ein großes Stück näher gekommen. Sie haben herausgefunden, dass auch in PT-symmetrischen Systemen sogenannte topologische Oberflächenzustände existieren können und darüber im Fachmagazin „Nature Materials“ berichtet.
„Mathematiker beschreiben und klassifizieren Körper in der Regel ziemlich abstrakt“, erklärt Prof. Dr. Alexander Szameit den Begriff Topologie. „Konzentriert man sich dabei auf die geometrische Beschaffenheit und die Oberflächenstruktur, dann ergeben sich mitunter überraschende Übereinstimmungen: So ist eine CD etwa das Gleiche wie eine Tasse mit Henkel – denn beide haben ein Loch. Dieses Gebiet der Mathematik nennt man Topologie.“ Auch Physiker bedienen sich dieser Art der Beschreibung. So lassen sich bestimmte physikalische Eigenschaften eines Systems mit Hilfe topologischer Prinzipien auf völlig neue Art beeinflussen. Innerhalb der Optik beispielsweise können sie so Licht absolut störungsfrei um Ecken und Kanten leiten. Ob diese Methode allerdings nicht nur für hermitesche, sondern auch für PT-symmetrische Systeme genutzt werden kann, war bisher umstritten.
Doch Szameits Kollege und Doktorand an der Universität Jena, Steffen Weimann, hat nun erstmals ein System entwickelt und auf experimentellem Wege umgesetzt, in welchem solch ein topologischer Ansatz auch für PT-symmetrische Systeme funktioniert. „Diese Systeme erweitern unser Verständnis grundlegender Theorien und eröffnen somit ganz neue Perspektiven für die Leitung von Licht“, sagt Steffen Weimann. Auf lange Sicht ließen sich durch diese neuen Erkenntnisse in der Grundlagenforschung ganz neue Materialien entwickeln. Da Alexander Szameit den Sprung von der Juniorprofessur an der Universität Jena auf den Lehrstuhl für Experimentelle Festkörperoptik an der Universität Rostock geschafft hat, wird er mit seinem Kollegen Steffen Weimann die gemeinsame Arbeit am neuen Standort fortsetzen.
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