„Steine, Kunst oder Kann das weg?“- Ein kurzes Resümee der Podiumsdiskussion vom Donnerstagabend

23.03.17 • JEZT AKTUELL, KULTUR & BILDUNG, NEWSCONTAINER, POLITIK & URBANES LEBEN, START, UNSER JENAKeine Kommentare zu „Steine, Kunst oder Kann das weg?“- Ein kurzes Resümee der Podiumsdiskussion vom Donnerstagabend

Beschmierte Figur aus der Serie der Moiren.. Foto © JenaKultur Häcker

Beschmierte Figur aus der Serie der Moiren. Foto © JenaKultur Häcker

JENA hat KULTUR KachelAm vergangenen Donnerstagabend, 16. März 2017, fand im historischen Ambiente des Stadtspeichers, Markt 16, eine Podiumsdiskussion zum Thema „Steine, Kunst oder Kann das weg?“ statt. Der etwas provokante Titel spielte auf eine zu konstatierende wachsende Respektlosigkeit gegenüber Kunst im öffentlichen Raum an, wie er sich in den zunehmenden Aufwendungen für die Beseitigung von Vandalismusschäden manifestiert.

Das Podium war mit ausgewiesenen Fachleuten besetzt: Olaf Müller aus Aachen, Susanne Knorr aus Erfurt, Dr. Jessica Beebone aus Frankfurt/M., Dr. Matthias Lerm aus Jena und Dr. Rosemarie Pahlke aus Dortmund, die freundlicherweise kurzfristig für die erkrankte Rose Pfister aus Bremen einsprang. Moderiert wurde das Gespräch durch JenaKultur-Werkleiter Jonas Zipf, der nach Vorstellung aller Beteiligten, allesamt in ihren Städten – direkt oder indirekt – mit Kunst im öffentlichen Raum befasst, das Jenaer Dilemma zu beschreiben versuchte, indem er darauf hinwies, dass man statt Kultur zu gestalten, immer mehr dazu verdammt sei, sie lediglich zu verwalten. Evelyn Halm, „Einzelkämpferin“ bei JenaKultur u.a. für die Belange der Kunst im öffentlichen Raum, illustrierte eingangs an einigen ausgewählten Jenaer Beispielen, etwa Burschenschaftsdenkmal oder auch Ernst-Abbe-Pavillon, wie dramatisch sich die Situation darstellt, da teilweise der Etat zur Beseitigung von Vandalismusschäden mehr als ein Viertel des jährlichen Gesamtbudgets ausmache. Tendenz steigend.

Der Sockel des beschmierten Burschenschaftsdenkmals - Foto © Stadt Jena Jenakultur

Der Sockel des beschmierten Burschenschaftsdenkmals – Foto © Stadt Jena Jenakultur

Überraschenderweise kamen aus Erfurt und Frankfurt am Main völlig andere Befunde. In Erfurt mag es an der klaren Zuständigkeitstrennung zwischen Kulturdirektion und Denkmalbereich liegen. Die Kulturdirektion hat lediglich alle diejenigen Objekte im Stadtraum in ihrer Verwaltungsträgerschaft, die nach 1953 entstanden sind. In Frankfurt am Main gibt es neben einer Stabsstelle für ein sauberes Frankfurt auch ein Antigraffittiprogramm. Hier werden gemeinsam mit Hausbesitzern Flächen für Besprayungen gesucht. Die Sprayer-Projekte werden dann von der Stadt begleitet und auf einer Website präsentiert. Womöglich ist so jugendlicher Gestaltungsenthusiasmus klug kanalisiert worden!? In Köln hingegen gipfelte die Missachtung in Affronts gegen den Dom. Nicht selten wird er als Urinal missbraucht. Und im Aachener Dom – auch er wie sein Pendant in Köln Weltkulturerbe! – wurden schon mehrmals Fenster eingeworfen. Besonders in der Karnevalszeit steigt die Gefährdungslage. Deshalb ist man in Aachen dazu übergegangen, Objekte im Stadtraum für diese Zeit einzuhausen, um sie zu schützen.

Mit einem Blick in die 60er des vorigen Jahrhunderts wurde ein sehr interessanter Argumentationsstrang eröffnet. In dieser Zeit entstand ein neuer Blick auf den urbanen Raum. Die Runde rekurrierte dabei auf Hilmar Hoffman (Kunst für alle) und Alexander Mitscherlich (Die Unwirtlichkeit unserer Städte. Anstiftung zum Unfrieden). Schließlich etablierte sich der Terminus Kunst im öffentlichen Raum oder auch Public Art, der besonders eine neue Wahrnehmung der Kunst nach sich zog. Hoffmann sprach von einer Demokratisierung der Kunst, die ihre Ablösung von Institutionen forderte. Insofern ergab sich spätestens hier ein neuer Aspekt in der Kunstrezeption. Neben den Denk- und Mahnmalen, also Objekten der Erinnerungskultur, entstanden nun Objekte, die entweder den urbanen Raum verschönern oder Sehstörungen schaffen sollten, die also stark auf Interaktion setzten. Das bedeutete für die Kunst auch in gewisser Weise einen – gewollten – Verlust von Autorität. Manche heutige Respektlosigkeit gründet wohl in letzter Konsequenz auch darauf, mutmaßte die Runde. Insofern muss eine Gesellschaft, die offen sein und bleiben will, ihre Vermittlungs- und Kommunikationsangebote immer neu denken. Bezüglich der Kunst im öffentlichen Raum geht es folglich zuallererst um das Klarmachen von Unterschiedlichkeit.

Müssen beispielsweise zu Denkmalen Barrieren eher verstärkt werden, so kann im anderen Fall ein „Benutztwerden“ der Kunst regelrecht erwünscht sein (etwa bei bespielbaren Plastiken oder auch Brunnen). Und wie kann man nun erfolgreich sensibilisieren? Dortmund hat hier einige Formate – wie etwa thematische Kunstspaziergänge – entwickelt, die sich unterdessen einer regelrechten Fangemeinschaft erfreuen. Neben solchen pädagogischen Angeboten für unterschiedlichste Zielgruppen, die neues Sehen ermöglichen, sollte Kunst im öffentlichen Raum konsequent gekennzeichnet und erklärt werden. Ihren Wert zu vermitteln, bezweckt auf Jena bezogen, auch eine neue Publikation, die die Kunst im Stadtraum komplex vorstellt und erläutert („…denn die Kunst ist eine Tochter der Freiheit“. Kunst im Stadtraum von Jena, Verlag Bussert & Stadeler; ISBN 978-3-942115-43-8, 19,90 Euro).

Und obendrein braucht es Diskurse etwa zu den Themen „Wie wollen wir in unseren Städten leben?“, wie jenakultur mitteilt. Insoweit wird die Reihe von Podiumsdiskussionen zu wichtigen virulenten kulturpolitischen Themen auch konsequent fortgesetzt: zum „Kirchentag auf dem Weg“ im Mai zum Thema Landflucht im Osten (Freitag, 26. Mai 2017, 11 Uhr im Volksbad Jena; Titel „Die Kirche im Dorf lassen?“) und im September 2017 zum Thema „Freiräume für die (Sozio-) Kultur“.





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