„Persönlichkeiten werden durch Krisen geformt“: FSU Professor Ralf Koerrenz veröffentlicht Buch zu Otto Friedrich Bollnow
Seit es die wissenschaftliche Pädagogik gibt, wird darüber diskutiert, welche Erziehung letztlich die richtige ist: Sollen Kinder aktiv geführt werden, um sie auf das Erwachsensein vorzubereiten? Oder soll man besser alles dafür tun, um ihnen die Möglichkeit zur freien Entfaltung zu geben? Egal wofür man sich entscheidet – geradlinig verläuft der Prozess des Erwachsenwerdens nie. Denn immer wieder gerät ein Kind auch in Ausnahmesituationen und Krisen. Möglicherweise ist es gerade das Verhalten der Erziehenden in solchen Zäsuren, das einen entscheidenden Einfluss auf das Lernen eines Kindes hat. Davon jedenfalls war Otto Friedrich Bollnow überzeugt.
Bollnow, der 1903 in Stettin geboren wurde und schließlich vor allem als Professor in Tübingen wirkte, hat sich vor allem in der Lehrerbildung engagiert und dabei eben genau diese Situationen besonders gewichtet. Er wollte seine angehenden Lehrerinnen und Lehrer für das Erkennen dieser Unsicherheiten bei Kindern sensibilisieren. Die Lehrer sollten lernen, damit besser umgehen zu können. „Von Bollnow geht damit vor allem ein Impuls aus, die reflexive Selbstwahrnehmung der Pädagogen mit Blick auf Situationen zu schulen, die jenseits des Unterrichts im engen Sinne liegen“, sagt der Pädagoge Prof. Dr. Dr. Ralf Koerrenz von der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Mit den Hintergründen dieser „unstetigen Form der Erziehung“ hat sich Koerrenz in seinem neuen Buch auseinandergesetzt, das sein kanadischer Kollege Prof. Dr. Norm Friesen ins Englische übersetzt und herausgegeben hat. Die beiden Experten arbeiten bereits seit Jahren im Rahmen des Jenaer Kollegs Globale Bildung zusammen. Mit dem neuen Werk „Existentialism and Education“ bringen Koerrenz und Friesen Bollnows Ideen nach Nordamerika, wo sie als eine Art Irritation zunehmend auf Interesse stoßen.
„Otto Friedrich Bollnow repräsentiert die Tradition hermeneutischer Pädagogik, die sich damit beschäftigt, wie man das Menschsein insgesamt aus pädagogischer Perspektive betrachten kann“, erklärt Ralf Koerrenz. „Bollnow verfolgte einen sowohl lebens- wie existenzphilosophischen Ansatz, um zu klären, welche Bedeutung die Eigenschaft, lernfähig zu sein, für das Verständnis des Menschseins hat.“ Dabei war Bollnow stark von einem der wohl wichtigsten deutschen Existenzphilosophen, Martin Heidegger, geprägt, bei dem er auch einige Zeit in Freiburg studierte. Aus Heideggers Existenzphilosophie stammte dann auch die Annahme, dass Ausnahmesituationen im Leben eines Menschen dessen Persönlichkeit enorm prägen können. „Bollnow sah darin die Herausforderung, Erziehung aus einer anderen Perspektive betrachten zu müssen“, sagt der Jenaer Pädagoge. „Dabei kommen auch Situationen in den Blick, die auf den ersten Blick überhaupt nicht pädagogisch relevant zu sein scheinen.“
Gerade für den nordamerikanischen Raum können solch eher philosophische Zugänge zur Pädagogik besonders anregend sein, da sich hier die Wissenschaftler im Bereich Erziehung, Schule und Bildung viel stärker mit empirischen Vermessungsmethoden und Technologien beschäftigen. Koerrenz ist deshalb sehr gespannt, wie das neue Buch aufgenommen wird. Die Zusammenarbeit mit Norm Friesen an einer verständlichen Übersetzung sei für beide Seiten sehr spannend gewesen. So mussten etwa für bestimmte Begriffe erst einmal adäquate englische Übertragungen gefunden werden. „Das Wort ,Erziehungswirklichkeit‘ beispielsweise, das für Bollnow eine große Rolle spielt, gibt es im Englischen gar nicht.“ Die sprachliche Übertragung war so auch zugleich eine Entdeckungsreise in der Sache selbst.
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