„Beeindruckend“ – Ein Kommentar von Tim Schwarz zu zwei Nebenklage-Plädoyers im „NSU“-Prozess

22.11.17 • INTERESSANTES, JEZT AKTUELL, NEWSCONTAINER, POLITIK & URBANES LEBEN, START, UNSER JENAKeine Kommentare zu „Beeindruckend“ – Ein Kommentar von Tim Schwarz zu zwei Nebenklage-Plädoyers im „NSU“-Prozess

Die vielen Gesichter der Beate Z – Grafik © Ulli Hartmann

Nach einer menschlich zu verachtenden aber juristisch zulässigen Verzögerungstaktik der Anwälte des im Münchner „NSU“-Prozess angeklagten „NSU“-Helfers André Em#ng#r durch immer wieder neue Befangenheitsanträge gegen das Gericht, läuft seit letzter Woche der Prozess wieder relativ normal mit den Plädoyers der Nebenklageanwälte.

Gestern stand Nebenklage-Anwalt Mehmet Daimagüler im Fokus und er forderte eine lebenslange Freiheitsstrafe für die letzte Überlebende des „NSU“-Terrortrios Beate Zschäpe. Daimagüler sagte außerdem, seine Mandanten würden Zschäpes Entschuldigung nicht annehmen. Wörtlich sagte er: „Ich erkläre im Auftrag meiner Mandanten: Wir nehmen ihre Entschuldigung nicht an, wir verzeihen ihnen nicht den Mord und auch nicht ihre Lügen, die sie hier aufgetischt haben. Sie haben aus ihrem Herzen eine Mördergrube gemacht, damit müssen sie leben.“ Zschäpe sei „ein vollwertiges Mitglied des Nationalsozialistischen Untergrunds“ gewesen, habe nichts getan, um den Tod oder die Verletzungen anderer Menschen durch ihre inzwischen verstorbenen Freunde Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zu unterbinden, so der Anwalt.

Mit den Worten „Was haben Sie denn für Deutschland getan?“ richtete sich Mehmet Daimagüler direkt an die Hauptangeklagte. Dann beschrieb er ausführlich das Leben der Tochter eines iranischstämmigen Geschäftsmannes aus Köln, die bei einem Bombenanschlag des „NSU“ schwerst verletzt worden war, aber trotzdem die Kraft und Energie aufgebracht hatte, ihr Abitur zu machen und anschließend auch das Medizinstudium erfolgreich absolviert habe. „Heute geht diese Frau, dieses Opfer des NSU, Tag für Tag in ein Krankenhaus und rettet Menschenleben“, so Rechtsanwalt Daimagüler zu Beate Zschäpe. Ihre Angaben, die Entschuldigung und schriftlichen Aussagen, die sie im Prozess gemacht habe, dürften seinen Worten nach keinesfalls strafmildernd bewertet werden: „Sie sind unbedeutend“.

Mehmet Daimagüler hatte sein Plädoyer vor dem OLG München bereits an den vorherigen Verhandlungstagen begonnen, jedoch immer wieder unterbrochen durch Zwischenrufe der Alt-Verteidiger von Beate Zschäpe. In sein Plädoyer mit einbezogen hatte Daimagüler den geständigen Waffenbeschaffer Carsten Sch#ltz#, der als einziger aller Angeklagten des Prozess vor dem OLG München voll geständig war. Für ihn beantragte Daimagüler eine Bewährungsstrafe und verlas dazu ein Statement der Tochter des in Nürnberg erschossenen Ismail Yasar, in dem Yasars Tochter die Entschuldigung von Carsten Sch#ltz# annahm.

Dann trat Elif Kubasik vor, die Witwe des Mordopfers Mehmet Kubasik († 2006 im Alter von 39 Jahren), und richtete nach mehr als viereinhalb Jahren Verhandlung im Rahmen der Plädoyers erstmals ihre Worte direkt an die Hauptangeklagte Beate Zschäpe (heute 42): „Mehmet und ich haben uns sehr geliebt. Er war sehr liebevoll. Er war sehr besorgt um seine Familie, er war vernarrt in seine Kinder und hatte ein sehr gutes Verhältnis zu seiner Tochter Gamze. Jeder mochte ihn.“

Dann sprach sie zum Gericht: „Besonders schwer ist es für mich, den Anblick dieser Frau auszuhalten. Ekelhaft, einfach ekelhaft war ihre Aussage. Es ist alles Lüge, was sie sagte. Sogar die Form, wie sie sich entschuldigt hat, war verletzend. Es war so, als würde sie uns beleidigen. Ich hatte das Gefühl, sie macht sich lustig über uns.“ Anschließend wandte sie sich wieder direkt an die Angeklagten und sprach: „Ich muss noch etwas sagen: Die, die diese Taten begangen haben, sollen nicht denken, dass wir dieses Land verlassen werden. Ich lebe in diesem Land und ich gehöre zu diesem Land. Ich habe zwei Kinder in diesem Land zur Welt gebracht. Mein Enkel Mehmet ist hier zur Welt gekommen. Wir sind ein Teil dieses Landes und wir werden hier weiterleben.“

Schließlich wandte sie sich nochmals an das Gericht und erklärte: „Ich will, dass die Angeklagten hier verurteilt werden. Dass sie ihre gerechten Strafen bekommen.“ Doch sie sprach auch in Richtung der Anklagebehörde, als sie sagte: „Für mich ist so wichtig: Was wusste der Staat? Vieles davon blieb unbeantwortet. Frau Merkel hat ihr Versprechen von 2012 nicht gehalten.“ Dann nahm Elif Kubasik wieder neben ihren Anwälten Platz.

Die Bundeskanzlerin hatte seinerzeit zu ihr gesagt: „Es wird alles getan, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken.“





Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

« »


JENAhoch2 | Omnichannel-Media für Stadt und Region