„Es wird definitiv schmerzvoll werden“: Ein parteiloser OB-Kandidat im Faktencheck (Teil 3/4)
Auf Wunsch von JEZT-Leser „Klaus“ unterziehe ist seit Donnerstag den freien OB-Kandidaten und self-made Immobilien-Unternehmer Arne Petrich einem Faktencheck. Der will am 15. April 2018 Jenas neues Stadtoberhaupt werden, hat dazu ein mehr als 20-seitiges Wahlprogramm veröffentlicht und führt auf seiner Internetseite (O-Ton Petrich / immer kursiv dargestellt) „…ein Tagebuch darüber (…), was es heute bedeutet zu kandidieren.“ – LESEN SIE HIER TEIL 1 UND DORT TEIL 2 DES ARTIKELS!
Arne Petrich als Oberbürgermeister
Arne Petrich kann etwas, das ist unbestritten. Der 50-Jährige ist Familenvater, self-made Immobilien-Unternehmer, hat sich eine eigene Firma aufgebaut: JENAPLUS. Am Leutragraben 2 – 4 ist deren Büro und das ist eine gute Adresse in Jena. Ärzte und Rechtsanwälte residieren hier, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, Internetfirmen und eben Immobilienmakler. Außerdem hat Petrich im vergangenen Jahrzehnt gleich mehrere erfolgreiche Internetblogs aus der Taufe gehoben und betrieben, die teilweise mehr als eine Million Aufrufe pro Monat erreichten, darunter Jenapolis, Eastsidenews, Sachsenplus, Mr. Jenapolis und JenaLeaks – anfangs über Werbung finanziert, später unabhängig betrieben. Das ist nicht einfach und, glauben Sie mir, ich weiß wovon ich rede.
Der OB-Kandidat brachte das Nachrichtenmagazin SPIEGEL dazu, über ihn zu schreiben, im ZDF Länderspiegel war er präsent, ebenso im Fernsehen des Mitteldeutschen Rundfunks. Damit hat er sich in der Szene der Sozialunternehmer als Social Entrepreneur einen Namen gemacht und gezeigt, dass er Prozesse anstoßen, Menschen zum Diskutieren über brennende gesellschafts-, sozial- und kommunalpolitsche Themen bringen kann, in der Lage ist, Firmen und Projekte erfolgreich zu führen. Wie erfolgreich, kann der OB-Bewerber selbst am besten berichten. Zu sagen, ob dies ausreicht, als Oberbürgermeister eine Großstadt zu führen steht mir nicht zu und ist auch nicht meine Aufgabe als Journalist. Ich kann nur berichten, dass auch Transparenz und Glaubwürdigkeit nach einer Studie der Ruhr-Uni-Bochum wichtige Eigenschaften sind, die Bürgerinnen und Bürger von einem Oberbürgermeister erwarten.
Arne Petrich selbst wünscht sich sieht seine Rolle so: „Ein Oberbürgermeister ist kein Instrument politischer, wirtschaftlicher oder finanzieller Interessen. (…) Er hat zuständige Fachbereiche zu kontrollieren und zu leiten, damit die Wünsche der Bürgerschaft schnellstmöglich und mit hoher Effektivität umgesetzt werden. Er hat in seiner Außenwirkung die Interessen seiner Wähler zu vertreten, die ihm die Vollmacht zu dieser Vertretung erteilt haben.“ Diese Sicht der Dinge steht jedoch nicht ganz im Einklang mit den Pflichten eines Oberbürgermeisters nach § 29 der Thüringer Kommunalordnung (ThürKO), wonach ein OB die Beschlüsse des Stadtrats vollzieht, die Stadt „zum Wohle aller Einwohner“ führt und nicht nur im Sinne seiner Wähler. Besonders fatal: Würde sich ein Jenaer OB Arne Petrich hier der Stadtratsmehrheit verweigern, täte er nichts anderes, als das, was er dem aktuellen Stadtoberhaupt vorwirft – oder wie er es ausdrückt: „Oberbürgermeister Schröter. Über viele Jahre hat er sein eigenes System geschaffen. (…) Dabei interessieren ihn schon lange keine Beschlüsse mehr im Stadtrat, die er eigentlich umsetzen muss.“
Laut ThürKO gehört es ebenso zur Aufgabe des Jenaer Oberbürgermeisters, seine Verwaltung zu leiten und die Bediensteten zu führen. Dies gilt jedoch nicht für die Leitung der städtischen Eigenbetriebe (JenaKultur, Jenarbeit, Kommunale Immobilien Jena, Kommunalservice Jena), denn diese obliegt laut der Thüringer Eigenbetriebsverordnung dem jeweiligen Leiter des Eigenbetriebs, der jedoch den Oberbürgermeister in verschiedenen Szenarien unverzüglich zu unterrichten hat. Berufen wird ein Werkleiter vom Stadtrat; der OB kann jedoch mit ihm jährlich eine sog. Zielvereinbarung abschließen. Zurück zur Verwaltung: Der Oberbürgermeister erteilt den Beschäftigten der Verwaltung fachliche Weisungen, die dem Verwaltungsrecht unterliegen. Die Ausnahme hiervon bilden die Verwaltungsmitarbeiter, die eigene Behörden leiten (Bauordnungsamt, Wasserbehörde etc.).
Der OB hat zudem das abschließende Recht den städtischen Haushalt aufzustellen (s.o.), der danach vom Stadtrat verabschiedet werden muss und ggf. von diesem nochmals gegen den Willen des Oberbürgermeisters der Stadt Jena – wer auch immer dies sein sollte – geändert werden kann. Damit relativiert sich des Kandidaten Sichtweise: „Ein Oberbürgermeister ist kein Instrument politischer, wirtschaftlicher oder finanzieller Interessen.“
Zudem vertritt der Oberbürgermeister die Stadt Jena im Rechtsverkehr, trägt somit für das Handeln der Stadt die Gesamtverantwortung (vgl. § 31 Abs. 1 ThürKO). Als Mitglied des Jenaer Stadtrats kann der OB einem Ratsbeschluss widersprechen, sofern er befürchtet, dass dieser das „Wohl der Bürger“ gefährdet. Sein Widerspruch hat allerdings keine bindende sondern nur aufschiebende Wirkung. Das heißt: Bestätigt der Stadtrat seinen Beschluss in einer erneuten Beschlussfassung mehrheitlich, dann ist er für den Oberbürgermeister der Stadt Jena bindend. Beanstanden kann ein Oberbürgermeister einen Stadtratsbeschluss allein dann, wenn dieser gegen geltendes Recht verstößt. Liegt ein solcher Verstoß nicht vor, wäre eine Beanstandung rechtsunwirksam. Überprüft wird dies durch die Kommunalaufsichtsbehörde des Freistaats (= Thüringer Landesverwaltungsamt). Zu den Pflichten des Jenaer Stadtoberhauptes gehört es auch, vom Freistaat Thüringen ergangene Weisungen zu befolgen und auszuführen.
Ich hoffe, Sie verzeihen mir meinen kleinen Exkurs durch das Kommunal- und Verwaltungsrecht, aber als Dipl.-Verwaltungswirt (FH), der seit 1991 für die Stadt Jena arbeitet, schien es mir angebracht, Ihnen an dieser Stelle etwas hierüber zu berichten. Dass Arne Petrich eine tiefgreifende Sachkenntnis des Gemeinwesens einer 110.000 Einwohner zählenden kreisfreien Gebietskörperschaft mit all ihren Aufgaben und Mechanismen im eigenen und übertragenen Wirkungskreis besitzt, wäre schön, darf man aber nicht als Kernkompetenz erwarten*, wenn der Kandidat die Auffassung hat, die „ideologisierten Ratsvertretung widerspricht in Struktur und Handeln der Kernaufgabe einer urbanen Verwaltung und Bürger-Repräsentanz“, „Parteien vertreten nicht die Interessen der Wähler“ oder „die bisher dominierenden Strukturen zu so vielen Belangen unserer Stadt sprechen nicht nur Bände, sondern würden für den objektiv Betrachtenden eine Lexika der Unfähigkeit und Unwilligkeit füllen.“
Jedenfalls sagt self-made Immobilien-Unternehmer Petrich „Ich möchte die verstummte Stimme ALLER Bürger Jena´s (Anm.: sīc erat scriptum) wieder erklingen lassen.“ und ergänzt an anderer Stelle: „Ich möchte vor allem eins sein: Ihr Partner für Jena für eine bezahlbare und moderne Stadt! Nur damit kommen wir von der Konzern-Stadt zur Bürgerkommune.“ An seinen Ansprüchen kann die Kandidatur also wohl nicht scheitern, doch könnten einige Merkwürdigkeiten in seinem Wahlkampf, den Blick des Wählers von den gehobenen Zielen des Bewerbers ablenken. Wenn ich diese hier gleich aufzeige oder bereits in Teil 1 des Faktenchecks aufgezeigt habe (stets unterlegt mit Fakten-Links, um sie vor einem eventuellen FakeNews-Vorwurf zu schützen – ganz so wollte es Arne Petrich einst von mir) so mache ich dies vor allem im Vertrauen darauf, dass Arne Petrich gesagt hat: „Ich wünsche mir für den Wahlkampf ein faires und offenes Miteinander.“ – Die Wahrheit zu berichten, halte ich durchaus für fair und offen.
So umfassend und visionär sich Arne Petrich als freier OB-Kandidat den Wählern präsentiert, scheinen kaum Zweifel an seiner Rolle als Gutmensch und Kümmerer der Jenaerinnen und Jenaer zu bestehen. Jedoch hat der Kandidat während des OB-Wahlkampfs die Internetpräsenz seines Immobilien-Unternehmens JENAPLUS aus dem Netz entfernt** und pflegt (wie auch im SPIEGEL– und ZDF-Länderspiegelbericht) das Berufsbild des selbständigen Internet-Bloggers und eines Kämpfer gegen hohe Mieten und für bezahlbaren Wohnraum. Ob Petrich dabei versehentlich oder mit Bedacht vergisst, dass noch vor gar nicht so langer Zeit seine eigene Firma in unserer Stadt Mietwohnungen für eine Kaltmiete von 8,50 Euro und mehr pro qm anbot?
Drei kleine Dinge trüben das Bild
Zum anderen wirft OB-Bewerber Petrich dem jetzigen Oberbürgermeister im Artikel „Fair und ehrlich ist was anderes Herr Oberbürgermeister Schröter!“ pressewirksam vor, dieser habe „für alle Dienststellen, Arbeitsstationen und Arbeitsplätze innerhalb der Stadtverwaltung, der Eigenbetriebe und angeschlossener Behörden“ den „Zugriff auf seine größte, faktenbezogene Kritikseite in Jena, auf meinen Blog“ sperren lassen und legt nach dem Dementi von Dr. Schröter nach: es sei merkwürdig, dass man im 21. Jahrhundert Probleme damit hätte, gesicherte Webseiten zu betreiben, die auf HTTPS setzten. Dieser Schuss kann aber ganz schnell nach hinten losgehen, denn Petrichs eigene HTTPS-Seite war vor genau einem Jahr so unsicher, dass sie innerhalb kürzester Zeit | gleich fünf Mal | von unterschiedlichen internationalen Hackern | geentert wurde, die Texte und Fotos veränderten und Einblick in die Daten nahmen. Dies ist auch der Grund, weshalb google hin und wieder die Jenapolis-Seite als unsicher sperrt (siehe Screenshot). Wohlgemerkt: google und nicht der Oberbürgermeister der Stadt Jena.
Nun können und sollen die kleinen Sünden der Vergangenheit nicht das Bild des erfolgreichen Social Entrepreneurs und Firmenchefs schmälern. Vielleicht sagt er ja auch: „Es wird, wenn ich OB bin, nicht wieder vorkommen.“ – Zeit hierzu ist noch genug bis zum 15. April und ich möchte das Thema auch nicht unnötig ausdehnen. Aber gerade weil die Integrität eines Kandidaten für das Amt als erster Bürger der Stadt außerhalb jeden Zweifels stehen sollte, möchte ich dennoch auf eine einzige weitere Sache eingehen. So ist es hin und wieder in den letzten Jahren vorgekommen, dass Arne Petrich mit einem Mausrutscher auf die „copy & paste“ kam und Texte von Dritten als eigenes Werk ausgab. Das wird nicht von allen Menschen als Pfiffigkeit angesehen – es gibt hier auch Stimmen, die von mangelnden Respekt vor der Leistung anderer reden. Dokumentiert wurde zu Lasten von Arne Petrich u.a. der Fall des Autors Wolfgang J. Koschnick, der von Thomas Aigner und der von Roland Tichy.
Koschnick schrieb uns damals, dass der heutige OB-Kandidat sogar erst auf seine zweite Bitte reagierte, das Plagiat aus dem Internet zu nehmen oder alle Zitate „ordentlich anzuführen“. Jedoch erfolgte Petrichs Reaktion nicht in einer Art und Weise, wie sich das der Urheber gewünscht hatte, denn Mr. Jenapolis schrieb ihm: „Ich möchte mich nicht mit Ihnen über die geistige Schöpfungshöhe streiten müssen.“ Petrichs Text ist längst gelöscht, liegt nur noch als Screenshot vor – Koschnicks Original dagegen findet man heute noch im Internet. Für die von Mr. Jenapolis ihres geistigen Eigentums (kurzfristig) Beraubten, gab es keine Worte der Entschuldigung und auch ich persönlich warte bis heute auf eine Entschuldigung des OB-Kandidaten, als er einst von mir über seinen Anwalt unberechtigt Geld verlangte. Und darauf, dass Jenapolis in zwei Fällen Gegendarstellungen meinerseits veröffentlicht.
Sei’s drum! Als Oberbürgermeister der Stadt Jena hat Arne Petrich solche Dinge nicht mehr nötig, denn in dieser Funktion wird er beschwichtigender Mittler zwischen den Fronten sein wollen und keiner, der wie Donald Trump Kritik zwar mit dem Füllhorn austeilen, aber selbst nicht ertragen kann,
LESEN SIE AM SONNTAG TEIL 4 DES ARTIKELS.
Ein letztes Mal: Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ihr Rainer Sauer
* = Jenas freier OB-KAndidat hat der in der Vergangenheit weder kommunal- noch verwaltungspolitische Erfahrung gesammelt, weder im Stadtrat, noch dessen Ausschüssen, Beiräten oder Ortsteilräten bedeutsam mitgearbeitet, kaum kommunalen Gremien begleitete oder unterstützt
** = Anm.: Wer möchte kann sich AN DIESER STELLE oder HIER, DA und DORT im WayBackMachine-Internetarchiv die JENAPLUS Seite noch einmal ansehen.
Ein Kommentar
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Ja Herr Sauer, sie sind ein typischer Bewohner Jenas.