„Es wird definitiv schmerzvoll werden“: Ein parteiloser OB-Kandidat im Faktencheck (Teil 4/4)
In bislang drei Teilen hat Rainer Sauer auf Wunsch von JEZT-Leser „Klaus“ den freien Jenaer OB-Kandidaten und self-made Immobilien-Unternehmer Arne Petrich einem Faktencheck unterzogen, denn dieser möchte am 15. April 2018 Jenas neues Stadtoberhaupt werden.
Nun geht es um ein erstes Fazit dieser drei Teile. Dies hat die Radio Jena Redaktion übernommen, die bis in den April in dieser Sache auch weiter am Ball bleiben wird mit Radiosendungen und Expertenberichten zum Thema Bürgerstadt / Bürgerkommune.- LESEN SIE HIER TEIL 1 UND DORT TEIL 2 SOWIE DA TEIL 3 DES ARTIKELS!
Was noch zu sagen wäre
Ob die von Rainer Sauer in Teil 3 berichten Dinge bei des Wählers Entscheidung am 15. April 2018 pro oder kontra Arne Petrich eine Rolle spielen werden, ist nicht vorher zu sagen. Doch das ist ja gar nicht Mr. Jenapolis größtes Problem. Letztlich wird für ihn vor allem eines entscheidend sein: Kann er – ähnlich charismatisch wie etwa Emmanuel Macron – die Jenaer Bevölkerung fesseln, seine kleine Wählerbasis verbreitern und vor allem potentielle Nichtwähler dazu bewegen, ihn zu Tausenden mit ihrer Stimme zu unterstützen. Beim einstigen OB Dr. Peter Röhlinger waren es im Mittel 16.000 Wähler*, die diesem zum Wahlerfolg verhalfen, bei Dr. Albrecht Schröter im Durchschnitt seiner Amtszeiten rund 17.500 Wähler. Zum Vergleich: der von Arne Petrich unterstützte freie Kandidat Andreas Mehlich – seinerzeit gut vernetzt durch sein Amt als Stadtteilmanager von Winzerla und mit einem einprägsamen Wahlslogan ausgestattet („Mehlich, wähl ich!“) – bekam bei der OB-Wahl 2012 etwa 3.500 WählerInnenstimmen, die Stadträtin und unabhängige Bürgekandidatin Heike Seise im gleichen Jahr rund 1.200 – zusammen sind das 4.700 Stimmen. Dies zumindest zu überschreiten wird das Ziel von Mr. Jenapolis sein, um sein Gesicht wahren zu können. Um zu gewinnen und Jenas neuer Oberbürgermeister zu werden benötigt er jedoch mindestens das Vierfache davon und zwar insgesamt zwischen 16.000 und 17.500 Stimmen.
Erschwerend für ihn kommt hinzu, dass OB-Kandidat Petrich erklärt hat, einen reinen Internetwahlkampf zu führen und auf Flyer und Plakate komplett zu verzichten. Da dürfte er interessant sein, wie er Wähler im Rentenalter oder Internetverweigerer erreichen will. Wenn er schlau ist, dann bessert er genau hier nach und setzt doch frühzeitig auf Flyer- und später auf die für OB-Bewerber kostenlose Plakatwerbung. Doch damit nicht genug: Arne Petrich muss den etablierten Parteien viele Stammwähler abwerben, um auf zwischen 16.000 und 17.500 Stimmen zu kommen und den Wahlsieg einzufahren. Da wäre es taktisch von Vorteil, wenn er auf den jetzigen Amtsinhaber, Oberbürgermeister Dr. Albrecht Schröter, zugehen und diesem in einer großen Geste Versöhnung anbieten würde. – Am Ende ist Arne Petrich ganz allein für den Erfolg oder Misserfolg seiner Kampagne verantwortlich, muss entscheiden, was für sein großes Ziel am besten sein wird.
Wie Rainer Sauer bereits feststellen konnte, will der OB-Kandidat nicht nur Jena in einer Bürgerkommune / Bürgerstadt umbauen sondern er will auch das Selbstverständnis und dem Umgang mit dem Amt als erster Bürger unserer Stadt verändern, vertritt hier in „Mein Verständnis der Rolle eines Oberbürgermeisters“ ganz klare Positionen, erklärt: „Meine Kandidatur strebt die Wiederherstellung des Hausherren- Gedankens der Einwohner unseres Jena an, ich trete nicht an, um parteipolitischen Richtlinien oder Maßgaben zu folgen oder deren Stimme zu sein„.
§ 29 Abs. 1 Satz 1 Thüringer Kommunalordnung regelt, dass der Jenaer Oberbürgermeister das Oberhaupt der Stadt ist und zu seinen Kompetenzen und Pflichten gehört es, die Stadtverwaltung zu leiten und die Bediensteten zu führen – für die Leitung und das Handeln der städtischen Eigenbetriebe oder z.B. der Stadtwerke ist er allerdings nicht zuständig. Der OB erarbeitet mit den vom Stadtrat gewählten Dezernenten die besonders bedeutsamen Vorhaben der Stadt, holt sich hierzu später mehrheitlich ein Votum des Stadtrats ein. Er stellt auch den Haushaltsplan der Stadt Jena auf, der danach vom Stadtrat verabschiedet werden muss und ggf. von diesem nochmals geändert werden kann.
Der OB wird vereidigt und vertritt danach als Beamter unsere Stadt im Rechtsverkehr, trägt somit für das Handeln der Stadt Jena die Gesamtverantwortung und unterliegt damit automatisch den Regularien des Thüringer Beamtengesetzes. Wenn er Beschlüssen des Jenaer Stadtrats widerspricht, kann der Stadtrat dies in einer erneuten Beschlussfassung mehrheitlich zurückweisen, was für den Oberbürgermeister der Stadt Jena bindend ist. Beanstanden kann dieser Stadtratsbeschlüsse allein dann, wenn diese gegen geltendes Recht verstoßen. Liegt ein solcher Verstoß nicht vor, ist seine Beanstandung rechtsunwirksam; überprüft wird dies durch das Thüringer Landesverwaltungsamt. Zu den Pflichten des Stadtoberhauptes gehört es außerdem, vom Freistaat Thüringen ergangene Weisungen zu befolgen und auszuführen.
Eine Studie der Ruhr-Uni-Bochum unter der Leitung von Prof. Dr. Jörg Bogumil gibt Auskunft darüber, was sich die Bürgerinnen und Bürger von ihrem Oberbürgermeister wünschen. Es sind dies vor allem sieben Eigenschaften: 1.) Führungsqualitäten, 2.) Glaubwürdigkeit, 3.) persönliches Auftreten, 4.) Sachkenntnis, 5.) Transparenz, 6.) Umgang mit den Bürgern sowie 7.) die Bereitschaft, in wichtigen Fragen Konsens mit den im Stadtrat vertretenen Parteien zu erzielen. – Lassen Sie uns sehen, wie der unabhängige OB-Kandidat hier im Rückblick der ersten drei Teile des Artikels abschneidet.
Bereich 1: Führungsqualitäten
Mit seinen Ideen zum Thema Bürgerstadt und seiner Fähigkeit Prozesse anzuschieben, kann Mr. Jenapolis hier „punkten“. Eher ausgeglichen ist es zu bewerten, dass Arne Petrich vor fünf Jahren ankündigte, mit einer eigenen politischen Bewegung „Bürger macht Jena“ zur Statdratswahl 2014 anzutreten, dann diesen Plan aber wieder aufgeben musste. Während aber beispielweise Martina Flämmich-Winckler Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE im Jenaer Stadtrat und Mitglied im Ortsteilrat Neulobeda ist, Dr. Thomas Nitzsche stellv. Landesvorsitzender der Liberalen und Vorsitzender der FDP Jena-Saale-Holzland sowie den Kfz-Beirat leitet, Benjamin Koppe als Vorsitzender der CDU-Fraktion im Jenaer Stadtrat sitzt und zum CDU-Kreis-Chef gewählt wurde, Dennis Peisker das Dezernat Stadtentwicklung der Stadt Jena führt und einer von zwei Landesvorsitzenden der Bündnis-Grünen ist und der aktuelle Oberbürgermeister Dr. Albrecht Schröter auch stellv. Landesvorsitzender der SPD ist sowie in das Präsidium des Deutschen Städtetages berufen wurde, mangelt es Arne Petrich an solchen Vorzügen. Bisher ist er als echte Führungspersönlichkeit nicht in Erscheinung getreten, sagt „Moderation statt Diktion sollte die Bürgermeister-Aufgabe in einer bürgerlichen Gemeinschaft sein.“ – Ob das ausreichend ist, um Jenas Oberbürgermeister zu werden, muss der Wähler entscheiden.
Bereich 2: Glaubwürdigkeit
OB Kandidat Petrich hat gerne flotte Sprüche auf Lager, mit denen er manchmal etwas über das Ziel hinaus schießt. Bei polemischen Angriffen auf den Jenaer OB Dr. Albrecht Schröter bleiben oft Belege auf der Strecke oder Mr. Jenapolis unterlaufen ähnliche Fehler, wie er sie dem Amtsinhaber vorwirft – Beispiel: Datensicherheit im Internet. Seine Wahlprogramme, die er gelegentlich leicht verändert, bestechen zwar durch Ideen, es mangelt ihnen aber an konkreten Angaben, wie und wann er etwas für unsere Stadt erreichen will. Der Bewerber lässt verschiedene Fauxpas‘, die ihn in der Vergangenheit unterliefen, unerwähnt – ebenso die immensen Kosten seines Umbaukonzeptes. Außerdem enthält seine OB-Wahlkampfwebseite keinen Hinweis darauf, wie er den Schutz personenbezogener Daten seiner Website-Besuchen gewährleistet. Aufgrund der 2009 erlassenen EU-Cookie-Richtlinie hat Petrich jedoch die Pflicht, eine Zustimmung seiner Nutzer einzuholen, bevor diese die Seite nutzen. Dass er Cookies nutzt, ist eindeutig, da er einem WordPress-Blog mit dem sog. Jetpack betreibt.
Bereich 3: Persönliches Auftreten
In Jena und seinen vielen Ortsteilen, in Vereinen und Initiativen, ist Arne Petrich bisher selten in Erscheinung getreten. Auch bei vielen sportlichen, wissenschaftlichen oder kulturellen Events unserer Stadt ist der Kandidat nicht präsent oder in der Vergangenheit präsent gewesen. In der Landespolitik, Industrie, in Mittelstandsvereinigungen und Forschungseinrichtungen kenne man ihn kaum, heißt es. Wenn er in die Öffentlichkeit tritt, dann oft als scharfer Kritiker von OB und Verwaltung, doch auch mit der lokalen Presse steht er nicht immer auf gutem Fuß. Wird er dagegen z.B. beim Plagiieren ertappt, dann kann es durchaus passieren, dass Petrich sich – wie im Falle des Autors Wolfgang J. Koschnick – nicht entschuldigt sondern patzig wird. Dem Jenaer Stadtrat wirft er „Lustlosigkeit“ vor und sagt „Parteien vertreten nicht die Interessen der Wähler“, müsste aber später als Oberbürgermeister eng mit diesen zusammenarbeiten.
Bereich 4: Sachkenntnis
Der freie OB Kandidat Arne Petrich hat weder kommunal- noch verwaltungspolitische Erfahrung, will dennoch als Oberbürgermeister nach seinem Konzept „JENA UND REGION ZUSAMMEN DENKEN UND ENDLICH HANDELN“ eng mit dem Saale-Holzland-Kreis zusammenarbeiten, ohne Kontakte dorthin zu besitzen. Beim Thema tiefgreifender Sachkenntnis des Gemeinwesens einer kreisfreien Gebietskörperschaft mit all ihren Aufgaben und Mechanismen im eigenen und übertragenen Wirkungskreis sowie dem Haushaltsrecht, ist Arne Petrich unvorbereitet, müsste als kommender OB seine Stadt aber verantwortlich durch 2 Milliarden Euro Investitionen bis zum Jahre 2030 führen.
Bereich 5: Transparenz
Arne Petrich schaltet pünktlich zum Wahlkampf die Webseite seines Immobilien-Unternehmens JENAPLUS ab und hat, was transparentes Handeln betrifft, noch andere Schwächen, wie in Teil 3 des Artikels von Rainer Sauer beschrieben. Dass er sein Wahlprogramm im Laufe der Wochen verändert hat, teilt er seinen potentiellen Wählerinnen und Wählern nicht mit. Ebenso, dass Jena sich bereits auf dem Weg zu „seiner“ Bürgerstadt befindet, z.B. eine rege Bürgerbeteiligung hat, einen Bürgerhaushalt, die (mit dem Förderpreis Aktive Bürgerschaft ausgezeichnete) Bürgerstiftung, mehr als ein Dutzend sachkundige Bürgerbeiräte. Ganz unter den Tisch fallen lässt er wissenschaftliche Erkenntnisse, dass die von ihm gewollte Bürgerkommune, bei der sämtliche Entscheidungen durch die Bürger urdemokratisch getroffen werden, bei Großstädten wie Jena möglicherweise mangsls regelmäßiger flächendeckender Bürgerbeteiligung nicht funktionieren könnte.
Bereich 6: Umgang mit den Bürgern
Hier kann Arne Petrich durch seine Arbeit mit den Newsblogs Jenapolis, Sachsenplus, Eastsidenews, Mr. Jenapolis und JenaLeaks kräftig „punkten“. Wenngleich er auch nicht in regelmäßigem persönlichen Kontakt mit „den Bürgern“ steht, so sind seine Newsplattformen seit ihrer Gründung vor zehn Jahren bei den Menschen in Jena und Ostdeutschland äußert beliebt geworden, kommen Petrichs Aussagen nach, schon mal auf 1 Million Aufrufe im Monat. Hier erfährt man alles Wichtige plus so manche Hintergrundinformation und alles zum Thema Bürgerbeteiligung und Bürgerkommune. Die Kommentarfunktion erlaubt es zudem jedem User, frei von irgendwelchen Zwängen, sein Herz auszuschütten. Leider sind inzwischen Eastsidenews, Mr. Jenapolis, Sachsenplus und Jenaleaks abgeschaltet worden; bei Jenapolis hat der OB-Kandidat vor einiger Zeit tausende Artikel nebst Bürgerkommentaren ohne nähere Begründung gelöscht und seit einem Monat werden alle potentiellen Jenapolis-Leser ungefragt auf seine Wahlkampfseite weitergeleitet, womit der OB-Kandidat genau das betreibt, was er in der Begründung hierfür ausschließt: „Jenapolis.de leitet mindestens bis zur Wahl auf meine Seiten weiter, denn ich möchte ehrlich und fair bleiben und meine Medien nicht für den Wahlkampf nutzen.“ – Geht man so mit seinen Lesern, mit den Bürgern um?
NACHTRAG von Dienstag, 13.02.2018: Seit heute Mittag hat Arne Petrich den „…ehrlich und fair…“-Vermerk auf seiner Wahlkampfseite kommentarlos gelöscht; die Zwangs-Weiterleitung für alle Jenapolis-Leser bleibt jedoch bestehen. Dafür hat der freie OB-Kandidat unter der Rubrik „Redaktion“ nun einzelnen Jena-Nachrichten auf seine Wahlkampfseite aufgenommen.
Bereich 7: Die Bereitschaft, in wichtigen Fragen Konsens mit den im Stadtrat vertretenen Parteien zu erzielen
Ein schwieriges Gebiet für einen möglicherweise zukünftigen Jenaer Oberbürgermeister Arne Petrich, wie bereits weiter oben in „Bereich 3“ beschrieben. In seinem „Verständnis der Rolle eines Oberbürgermeisters„ kündigt er an, „Ein Oberbürgermeister ist kein Instrument politischer, wirtschaftlicher oder finanzieller Interessen“ sieht zudem die Rolle der Koalitionsparteien SPD, CDU und Bündnis’90/Grüne im Jenaer Stadtrat – vorsichtig ausgedrückt – kritisch. Hier will er keinen Konsens sondern „möchte unsere Stadt wieder aus der verordneten und politisch gewollten Lethargie herausführen.“ Was doppelt zu Buche schlägt: Arne Petrich hat bisher keine Partei im Jenaer Stadtrat auf seiner Seite, geschweige denn eine Mehrheit für seine Ziele und Vorhaben.
Zusammenfassung:
Es scheint für den Kandidaten äußerst schwierig, Wähler für sich zu gewinnen. Seine Webseite wird (trotz der Zwangsweiterleitung von Jenapolis-Lersern) wenig besucht, bei Facebook verweigern sich die anderen Kandidaten einer Diskussion, eine entsprechende Gruppenseite wurde deshalb schon ausgeblendet. Die von Arne Petrich initiierten Online-Petitionen „Stadion“, „Eichplatz“ und „Schwimmalle“ haben kaum messbare Mitwirkungsraten (= zw. 15 und 25 Unterzeichner pro Woche), während etwa die schriftliche Petition einer anderen Initiative zum Bau einer Schwimmhalle in Jena zu gleicher Zeit rund 1.600 Bürger unterschrieben. – Online-Wahlkampf ist eben nicht einfach.
Bei den genannten sieben Bürgerinnen- und Bürgerwünschen zur Rolle „ihres“ Oberbürgermeisters bleibt der selfmade-Immobilienunternehmer – zumindest aus Sicht der RADIOJENA / UNSER JENA JEZT online-Redaktion – weit hinter den eigenen Erwartungen zurück. Jedoch: Jenapolis war einmal das Versprechen auf bedingungslose Transparenz und Arne Petrich sieht sich in seiner Rolle „Mr. Jenapolis“ als Kämpfer für eine offenere, bessere Welt für alle Einwohner Jenas. Nun kann er zeigen, dass er ein Macher ist und in den nächsten Wochen „abliefern“.
* = Anm.: 1990 einigten sich die großen Parteien bei der OB-Wahl auf eine gemeinsame Unterstützung des FDP-Kandidaten Röhlinger, bei den Wahlen zum Oberbürgermeister 1994 und 2000 wurde Röhlinger wiedergewählt.
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Herr Sauer sie sind ein guter „Kettenhund“ ihres Herren, Dr. Albrecht Schtöter.