„Kann Glaube wirklich Berge versetzen?“ – Wie Maurice Wilson auf die Idee kam, er könnte als erster Mensch und ganz allein den Mount Everest bezwingen

25.02.18 • INTERESSANTES, JEZT AKTUELL, NEWSCONTAINER, STARTKeine Kommentare zu „Kann Glaube wirklich Berge versetzen?“ – Wie Maurice Wilson auf die Idee kam, er könnte als erster Mensch und ganz allein den Mount Everest bezwingen

Der Brite Maurice Wilson – Bildrechte: The London Gazette Public Image Library

(Torsten Wagner) – Der Brite Maurice Wilson schrieb heute vor genau 85 Jahren seinen Freunden: „Alles, was man braucht, um einen Berg zu besteigen, ist ein Zelt, ein Schlafsack, warme Kleidung, Nahrung und Glaube. Wahrer Glaube kann ganze Berge versetzen.“ Und er wählte  sich als höchstes Ziel den höchsten Berg der Erde: den Mount Everest wollte er besteigen.

Wilson war sich absolut sicher, dass er ihn als erster Mensch würde bezwingen können – ganz allein und so, wie es noch niemand gewagt hatte. „Ein Mann mit einem festen Glauben kann alles vollbringen“, schrieb er seinen Freunden. Der Brite hatte zwar noch niemals selbst einen Berg bestiegen, aber er verschlang alle Everest-Bücher, die er finden konnte und trainierte mit Wanderungen für die knapp 8.900 Höhenmeter. Grundtechniken, wie den Gebrauch von Steigeisen zu erlernen oder Gespräche mit „echten“ Bergsteigern, das sparte sich Wilson. Statt dessen hatte er eine geniale Idee: Maurice Wilson wollte einen Großteil des Everest ohne kräftezehrendes Klettern überwinden und gezielt mit einem Doppeldecker auf 8.000 Metern abstürzen, denn von dort aus sei es nur noch „ein gerader, kurzer Anstieg bis oben“, wie er schrieb. Das war am 25. Februar 1933.

Da er selbst nicht in der Lage war, ein Flugzeug steuern konnte, kaufte sich der Bergsteiger-Kandidat kurzerhand einen Doppeldecker, nannte ihn „Ever-Est“, nahm Flugunterricht und baute anfangs eine Bruchlandung nach der anderen. Nachdem er aber sicher starten und landen konnte, berichtete er der Londoner Presse über seine Ziele.  Daraufhin schrieb ihm das Luftfahrtministerium, dass man in Nepal nur mit Genehmigung der dortigen Regierung fliegen dürfe, doch Maurice Wilson wollte das nicht hören. Im Juni 1933 kam er mit der „Ever-Est“ in Britisch-Indien an, die dortige Presse feierte ihn und berichtete über seinen Idee, mit dem Flugzeug am Mount Everest abstürzen. Tags darauf wurde der Doppeldecker beschlagnahmt und Wilson musste die Idee vom freiwilligen Crash aufgegeben.

Maurice Wilson vor seinem Doppeldecker „Ever-Est“ – Bildrechte: The London Gazette

Den Herbst über führte ihn sein Weg näher zum Himalaya. Nach der inoffiziellen Einreise nach Nepal Anfang 1934 und verkleidet als taubstummer tibetanischer Priester – taubstumm, weil er kein Wort Tibetisch sprach – engagierte er Helfer, kaufte sich ein Pony und alle brachen zu seiner Everest-Expedition auf. Sie wanderten nachts, schlugen in der Morgendämmerung ihre Zelte auf, schliefen tagsüber versteckt. Als sie etwa ein Jahr nach Wilsons Brief an die Freunde in 4.500 Meter Höhe die tibetische Grenze überschritten, waren es nur noch wenige Dutzend Kilometer bis zum höchsten Berg der Erde. „Der Schädel brummt ein wenig“, notierte der Bergsteiger-Kandidat in sein „Flying thoughts“ benanntes Tagebuch und ignorierte die Folgen der Höhenkrankheit mit den Worten: „Zuviel Sonnenschein, denke ich.“ Doch das Wetter wechselte und kurz vor dem Mount Everest riß sich in einem Schneesturm das mit Vorräten beladene Pony los, panisch rannten die Männer hinterher. Erst nach gut einem Kilometer fingen sie es ein – Wilson war da bereits mit seinen Kräften völlig am Ende.

Am Rongpu-Kloster, dem letzten bewohnten Ort vor dem Gipfel, ließ Wilson am 14. April 1934 die Begleiter zurück, um alleine den Aufstieg zum Camp III in 6.400 Metern Höhe zu wagen, war zwar mit dicker Kleidung aber sonst nur mit einer Eisaxt ausgerüst. Als er nach neun Tagen ins Kloster zurückfand, konnte er kaum noch stehen und schlief 36 Stunden am Stück. Wieder aufgewacht schüttelte sich Maurice Wilson, verwarf nach dem Plan des Flugzeugabsturzes auch seine Idee der Alleinbesteigung und bat Scherpas, ihn mit Vorräten bis zum Camp III zu begleiten. Dort angekommen wollte er jedoch allein weiterklettern.

Am 12. Mai brachen sie auf und die Scherpas brachte ihn problemlos in drei Tagen zu Camp III. Von dort plante Wilson, sich anhand der von einer Expedition des Vorjahres zurückgelassenen Handseile zu Camp IV in 7.900 Metern Höhe emporarbeiten. Indes: er fand die Handseile nicht – Lawinen und Stürme hatten sie wohl längst fortgerissen. Über vier Tage versuchte Wilson alleine und unter Strapazen den Aufstieg, kehrte am 25. Mai 1934 aber entkräftet ins Camp III zurück. Angeschts des schlechten Wetters weigerten sich die Sherpas, mit ihm höher zu steigen. Mehrmals versuchten sie sogar, Wilson zum Aufgeben zu bringen. Er hörte nicht auf sie und betete lieber: „Glaube kann Berge versetzen – Oh Herr, hilf mir!“

Der Mount Everest 1935 mit dem Fundort (X) von Maurice Wilsons Überresten

Am Morgen des 29. Mai wurde der Schneefall weniger und Maurice Wilson zog los. 2.500 Höhenmeter waren es noch bis zum Gipfel – für einen Laien im Alleingang eine absolut unlösbare Aufgabe. Wilson hatte ausgerechnet, dass er es in fünf Tagen schaffen könnnte, nahm aber nur Proviant für sieben Tage mit, da er beim Abstieg „in einem Glücksrausch“ in Camp IV einkehren und fasten wollte. In sein Tagebuch notierte er: „Dies wird der letzte Versuch, und ich spüre, er wird erfolgreich.“ Dann verließ er Camp III. Seine Sherpas warteten mehr als sieben Tage auf ihn, dann packten sie und machten sich ohne Wilson auf den Heimweg.

Ein Jahr später sah Eric Shipton mit seiner Expedition im Schnee ein grünes Bündel, das er zunächst für Reste eines Zeltes hielt. Als er näher kam, entdeckte er aber den Körper eines Mannes, zusammengekauert im Schnee, daneben einen Rucksack mit einem Union Jack und einem Tagebuch. Es waren die Überreste von Maurice Wilson, der 2.400 Meter unter dem Gpfel lag – der Bergsteiger-Kandidat war über Camp III gerade 100 Meter hinausgekommen. Die letzten Eintragungen im Tagebuch besagten, dass er am 29. Mai 1934 nur eine kleine Strecke geschafft habe, aber am nächsten Tag bei besserem Wetter den finalen Aufstig wagen wollte. Am 30. Mai notierte Wilson, er habe „heute kaum Kraft, um aufzustehen“, einen Tag später schrieb er euphorisch: „Was für ein herrlicher Tag. Es geht wieder los!“ Danach fand sich nur noch unleserliches Gekritzel in seinem Tagebuch. Glaube an Gott, hatte er wohl bis zuletzt, allerdings war sein Wunsch, für ihn Berge zu versetzen, nicht erhört worden.





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