Das Ende im Münchner „NSU“-Prozess: Die Verhandlungstage Nr. 433 bis 437
Zusammengefasst und kommentiert aus Pressemeldungen:
19.06. bis 21.06.2018: Der 433. bis 435. Verhandlungstag
Rechtsanwältin Anja Sturm setzte am 433. Tag im Münchner „NSU“-Prozess ihren Teil des Plädoyers der drei Altverteidiger der Hauptangeklagten Beate Zschäpe fort. Sturm nannte zahlreiche Zeugenaussagen um zu belegen, dass Zschäpe in der rechten Szene nicht sonderlich aufgefallen sei und auch nicht den bewaffneten Kampf befürwortet haben soll. Letzteres hatte der Mitangeklagte Holger Gerlach gegenüber der Polizei behauptet. Für die Verteidigerin ist auch nicht zu erkennen, dass Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos vor dem Gang in den Untergrund ein verschworenes „Trio“ gebildet hätten. Außerdem sei unklar, wie eng die drei in der Illegalität zusammengelebt hätten.
Tag 434 im „NSU“-Prozess ist der dritte Tag des Plädoyers von Zschäpes Altverteidigerin Anja Sturm. Sie bestritt, wie zuvor schon die beiden anderen Altverteidiger Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl, dass ihre Mandantin einer Terrorgruppe angehört haben soll. „Frau Zschäpe war Mitglied einer Wohngemeinschaft, nicht Mitglied einer terroristischen Vereinigung“, sagte Sturm. Für sie sei auch nicht zu erkennen, dass Zschäpe an den Taten von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos beteiligt war. Dass die Angeklagte mit falschem Namen auftrat und Nachbarn über Identität und Aktivitäten der beiden Uwes täuschte, hält Sturm für „sozialadäquate Alltagshandlungen“. Die Handlungen von Zschäpe hätten allein zur Aufrechterhaltung der Anonymität gedient, nicht zur Begehung von Straftaten, so Anja Sturm.
Der 21. Juni 2018 markiert als 435. Verhandlungstag das Ende der Plädoyers, die knapp ein Jahr zuvor begonnen hatten. Anja Sturm schloss ihres ab und sagte, sie sehe schon formell keine Voraussetzungen für eine Sicherungsverwahrung ihrer Mandantin. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl kündigte daraufhin an, am 436. Verhandlungstag nochmals kurz in die Beweisaufnahme einzutreten und zwar zu einem von Beate Zschäpes Alt-Verteidigern Heer, Stahl und Sturm beantragte Punkt. Hierbei soll ein Sachverständiger erneut zum Brand in der Zwickauer Wohnung gehört werden. Erst danach erhalten die Angeklagten Carsten Sch#ltz#, André Em#ng#r, Holger Gerlach, Ralf Wohlleben und Beate Zschäpe die Gelegenheit, ihre letzten Worte vorzutragen.
26.06.2018: Der 436. Verhandlungstag
Beate Zschäpes Verteidiger Heer und Sturm können sich mit ihrem Versuch nicht durchsetzen, noch einen weiteren Gutachter zum Brandschutz im Haus Frühlingsstraße 26 in Zwickau laden zu lassen. Dort hatte Zschäpe am 4. November 2011 in der Wohnung, in der sie jahrelang mit den verstorbenen „NSU“-Mitgliedern Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos lebte, zehn Liter Benzin verschüttet und angezündet. Der Vorsitzende Richter hält es für ausreichend, dass er hierzu noch einmal einen Brandsachverständigen des LKA Bayern zu Wort kommen lassen wird. Es ist Christian Setzensack, der bereits im Januar 2014 in der Hauptverhandlung ausgesagt hatte. Dieser ergänzte, die Trennwand zur Wohnung der gebrechlichen Nachbarin Charlotte E. hätte am 04.11.2011 dem Feuer standgehalten. Die Flammen wären allerdings ohne das rasche Eingreifen der Feuerwehr über Dachrinne und Dachüberstand zweifellos in die zweite Haushälfte vorgedrungen, so der Sachverständige.
03.07.2018: Der 437. Verhandlungstag
Am 437. Verhandlungstag weisen die Richter zuerst die Beanstandung von Nebenklage-Anwalt Adnan Erdal gegen einen OVG-Beschluss vom Februar 2ß18 zurück, das Holzkreuz über der vorderen Tür im Saal A 101 nicht abzuhängen. Um 10.25 Uhr war es dann endlich soweit. Anders als im September 2016 (Anm.: als die Hauptangeklagte im „NSU“-Prozess lediglich eine Minimal-Erklärung abgegeben hatte – Tenor: Sie sei früher mal nationalistisch gewesen, das habe sich heute geändert, jetzt sei sie nicht mehr so. Was den Opfern geschah, tue ihr leid) gab Beate Zschäpe diesmal eine längere Erklärung ab, die sie von mehreren DinA4-Zetteln ablas. Hier einige Auszüge:
„Hoher Senat, ich möchte die Chance der letzten Worte nutzen. (…) Ich habe das Gefühl, dass mir jedes Wort falsch ausgelegt wird. Mir fehlt es an den körperlichen und seelischen Kräften, es fällt mir schwer, nach Jahren der Haft zu reden, ich habe Konzentrationsstörungen.“ Zschäpe erklärte zudem, sie könne nicht frei sprechen. Zwar sei vor Gericht ihr Selbstbewusstsein oft und viel zitiert, jedoch stets missverstanden worden Völlig falsch interpretiert worden sei ihr Selbstvertrauen, sagte Zschäpe, denn sie habe im Grunde keines. Ihre Selbststellung sei eine Befreiung für sie gewesen: „Bewusst traf ich die Entscheidung, mich zu stellen, es war eine Art Befreiung für mich. Ich entschuldige mich für das alles, das ich verursacht habe. Ich bedauere das Leid, dass Angehörige geliebte Menschen verloren haben, sie verdienen mein aufrichtiges Mitgefühl und Bedauern. (…) Ich hatte und habe keine Kenntnis darüber, warum gerade diese Menschen ausgewählt wurden. Vermutungen helfen keinem weiter. Ich möchte einen Abschluss finden.“
Die Hauptangeklagte und letzte Überlebende des „NSU“-Terrortrios wandte sich auch an Teile der Nebenkläger. „Auf die Frage der Mutter von Yozgat, ob ich ruhig schlafen kann: Ich bin ein mitfühlender Mensch und habe den Schmerz sehen und spüren können, es belastet mich bis heute. Ich bin entsetzt und erschüttert. Ich habe mit diesem Kapitel unwiederbringlich abgeschlossen“, erklärte Beate Zschäpe und fügte an, sie bedauere den Verlust der Familien und habe Mitgefühl. Ihre Entschuldigung und ihre Worte seien „aufrichtiges Bedauern“. Weiter sagte Zschäpe, dass sie seit frühester Jugend ihre Gefühle unterdrücke, was ihr jetzt negativ ausgelegt werde. Zum Thema des Rechtsradikalismus erklärte die 43-Jährige, die rechte Szene habe für sie „überhaupt keine Bedeutung mehr“. Sie habe sich hiervon distanziert und habe sich nur durch die Wendezeit von der Ideologie „mitreißen“ lassen. Sie akzeptiere wohl die rechte Gesinnung der Mitangeklagten, wäre aber nicht mehr daran beteiligt.
Ganz zum Schluss ihrer Erklärung appellierte Zschäpe direkt an den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl und sprach: „Bitte beurteilen Sie mich nicht stellvertretend für etwas, was ich weder gewollt noch getan habe.“ Das Gericht solle sich ebenso nicht vom „politischen Druck“ leiten lassen so die Hauptangeklagte. Kürzer fiel dagegen das Schlusswort von Ralf Wohlleben aus, der sich lediglich den Plädoyers seiner Verteidiger anschloss. Holger Gerlach entschuldigte sich für seine Taten, Carsten Sch#ltz# bekundete mit stockender Stimme seine Reue, André Em#ng#r verzichtete auf ein Schlusswort.
Anschließend verkündete der Vorsitzende Richter Manfred Götzl das Ende der Verhandlung und den Termin des Verkündung des Urteils: es ist für Mittwoch, den 11.07.2018, geplant.
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