„Die besondere Schwere der Unschuld!“ – Heute fällt nach mehr als fünf Jahren das Urteil gegen Beate Zschäpe

11.07.18 • INTERESSANTES, JEZT AKTUELL, NEWSCONTAINER, START, UNSER JENAKommentare deaktiviert für „Die besondere Schwere der Unschuld!“ – Heute fällt nach mehr als fünf Jahren das Urteil gegen Beate Zschäpe

Die vielen Gesichter der Beate Z – Grafik © Ulli Hartmann

(Ein Kommentar von Rainer Sauer)

Im Gedenken an:

Enver Şimşek (gestorben am 11. September 2000 in Nürnberg im Alter von 38 Jahren)
Abdurrahim Özüdoğru (ermordet am 13. Juni 2001 in Nürnberg / 31 Jahre)
Süleyman Taşköprü (ermordet am 27. Juni 2001 in Hamburg / 49 Jahre)
Habil Kılıç (ermordet am 29. August 2001 in München / 38 Jahre)
Mehmet Turgut (ermordet am 25. Februar 2004 in Rostock / 25 Jahre)
Ismail Yaşar (ermordet am 9. Juni 2005 in Nürnberg / 50 Jahre)
Theodoros Boulgarides (ermordet am 15. Juni 2005 in München / 41 Jahre)
Mehmet Kubaşık (ermordet am 4. April 2006 in Dortmund / 39 Jahre)
Halit Yozgat (ermordet am 6. April 2006 in Kassel / 21 Jahre)
Michèle Kiesewetter (ermordet am 25. April 2007 in Heilbronn / 22 Jahre)

Seit mehr als fünf Jahren begleitet Radio Jena, begleitet JEZT mit verschiedensten Mitarbeitern, als Beobachter den Prozess gegen Beate Zschäpe sowie Helfer und Unterstützer der rechten Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“. Jeden Prozesstag haben wir dokumentiert, wie man HIER und DA und DORT noch einmal nachlesen kann.

Am Ende der Beweisaufnahme stellte sich der „NSU“ als Terrorzelle von drei Personen dar, die knapp vierzehn Jahre lang im Untergrund agieren konnte, weil sie nicht von der Außenwelt isoliert waren sondern Helfer hatten, von denen die wesentlichsten vor dem Oberlandesgericht in München angeklagt sind – Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt verstarben am 04.11.2011 durch erweiterten Suizid. Schnell hatte sich die Bundesanwaltschaft auf ein Terrortrio festgelegt und ist dabei bis zuletzt geblieben – eine Sichtweise, die weder plausibel erscheint noch schlüssig ist, wie jüngst noch einmal die TV-Berichte „Die Todesliste des NSU“ (von ZDF.info) oder „Das Terrornetz – Zschäpes Helfer vor Gericht“ (in der ARD) belegt haben.

Heute wird der 6. Strafsenat am OVG München das Urteil gegen die fünf Angeklagten verkünden, die alle aus Jena stammen. Was verhandelt wurde findet sich in rund 600 Aktenordnern wieder, auf unfassbaren 280.000 Seiten Ermittlungsakten, wurde in 437 Verhandlungstagen durch Befragung von mehr als 800 Zeugen und Sachverständige gewichtet. Ein Mammutprozess, der den Staat über 60 Millionen Euro gekostet haben soll – knapp 150.000 Euro pro Prozesstag.

Beate Zschaepe 2014 im Münchner „NSU“ Prozess – Foto © MediaPool Jena

Die 43-jährige Hauptangeklagte Beate Zschäpe, die sich am 08.11.2011 in Jena der Polizei stelle und dabei sagte, sie habe dies „nicht getan um nicht zu reden“, schwieg vor Gericht 436 Tage lang mit einer Ausnahme: im September 2016 sprach einer ihrer fünf Anwälte und verlas Zschäpes Worte. Damals erklärte sie, es sei richtig, dass sie knapp 14 Jahre lang mit den beiden Mördern, Bankräubern und Attentätern Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt eng zusammengelebt habe, jedoch hätte sie von den Taten immer nur nachträglich erfahren. Nach jedem Mord an einem Migranten oder der Polizistin in Heilbronn sei sie schockiert gewesen und habe ihr Leben im Alkohol betäubt. Von ihren mörderischen Lebensgefährten habe sie sich nicht getrennt und zwar aus Liebe und aus Angst, ihre familiäre Lebensgemeinschaft zu verlieren.

Beate Zschäpe entschuldigte sich im Herbst 2016 bei den Hinterbliebenen der Mordopfer, inszenierte sich aber gleichwohl im weitesten Sinne als ein weiteres Opfer des „NSU“, ließ über den Anwalt erklären, sie habe durchaus unter Böhnhardt und Mundlos gelitten, sei geschlagen und eingeschüchtert worden. Nochmals betonte sie damals, sie habe bewusst die Entscheidung getroffen, sich bei der Polizei zu stellen und dies sei „eine Art Befreiung“ für sie gewesen. Eine „Befreiung“ nach einer (O-Ton Zschäpe) „viertägigen Irrfahrt“ durch Deutschland, auf der sie das Bekennervideo des „NSU“ – durch das die Taten des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ erst bekannt wurden –  breitflächig öffentlich verteilte.

Eine plausible und über ihre enge Beziehung zu Böhnhardt und Mundlos hinausgehende Erklärung dafür, weshalb sie ihre „Befreiung“ nicht schon viel früher vornahm, etwa durch einen anonymen Anruf bei der Polizei, um dadurch viele Morde und viel Leid zu verhindern, blieb sie im Herbst 2016 ebenso schuldig, wie in ihrem Schlusswort am 437 Verhandlungstag vor dem OLG auch. Ebenso erwähnte Beate Zschäpe nicht, weshalb sie NICHT EINE Frage der Opferangehörigen an sich beantwortete.

So blieben quälende Ungewissheiten für die Angehörigen ungeklärt, stehen weiterhin Fragen offen, weshalb ausgerechnet diese zehn Menschen sterben mussten: die Tochter und der Sohn? Der Vater, Ehemann, der Bruder? Weshalb gab es gleich zwei Bombenanschläge in Köln, weshalb fanden drei der zehn Morde in Nürnberg, zwei in München statt? Was rückte Hamburg und Rostock als Orte von „NSU“-Hinrichtungen in den Fokus? Weshalb wussten Böhnhardt und Mundlos bei ihrem Mord in Dortmund, dass an diesem Tag die Videoüberwachung des Kiosk nicht funktionierte? Hatten sie lokale Helfer? – Nach Schilderung der Hauptangeklagten sei über solche Dinge innerhalb des Trios über einem Jahrzehnt lang niemals gesprochen worden. Die letzte Überlebende des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ sagte lediglich, sie bedauere den Verlust der Opfer-Familien und habe Mitgefühl, fügte an, ihre Entschuldigung und ihre Worte seien ein „aufrichtiges Bedauern“. – Aufrichtig?

Umso erstaunlicher ihre letzten Worte vor Gericht: „Ich hatte und habe keine Erkenntnisse darüber, warum gerade diese Menschen ausgewählt wurden. Ich möchte nur noch eines: einen Abschluss finden und irgendwann ein Leben ohne Ängste führen können“, so Zschäpe. In Richtung der Mutter des von Böhnhardt und Mundlos mit Kopfschüssen hingerichteten Halit Yozgat sagte Beate Zschäpe, sie sei „ein mitfühlender Mensch“, habe den Schmerz der Mutter „sehen und spüren können“, es belaste sie „bis heute. Ich bin entsetzt und erschüttert.“

Nochmals: Zschäpe hätte mit Sicherheit Antworten auf viele Fragen geben können, doch berief sie sich stets darauf, im Vorfeld von Gewalttaten von nichts gewusst zu haben. Den Abschluss, den sie finden möchte, das Leben ohne Ängste, hat sie damit für die Angehörigen der Getöteten und die bei den Anschlägen des „NSU“ verletzten Menschen unmöglich gemacht, angesichts der Vermutungen, dass es „NSU“-Helfershelfer in den jeweiligen Städten gab, die Anschlagziele und Mordopfer empfahlen und trotzdem bis heute unbehelligt bleiben. Doch dafür wird Beate Zschäpe nicht verurteilt werden.

Urlaubsfoto von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos – Veröffentlichung durch das BKA und die Bundesanwaltschaft

Die Bundesanwaltschaft sieht sie als Mittäterin an allen „NSU“-Verbrechen und fordert eine lebenslange Haft mit Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und Anordnung von Sicherungsverwahrung. Zschäpe konterte dies in ihrem Schlusswort vor Gericht mit dem Satz an den Strafsenat: „Bitte verurteilen Sie mich nicht stellvertretend für etwas, was ich weder gewollt noch getan habe.“ Genau darum geht es. Ist sie Mittäterin, weil sie sich nicht aus dem Einfluss von Böhnhardt und Mundlos lösen konnte? Besteht eine schwere Schuld darin, weil sie Kenntnis von den Taten der beiden hatte, ahnte, dass diese nach dem ersten Mord, dem ersten Bankraub, weitere Taten begehen werden und diese nicht verhinderte?

Zehn Morde waren es am Ende, mehrere Sprengstoffanschläge und eine Beute aus Raubzügen bei Geldinstituten vom Oktober 1999 bis zum November 2011 in einer Gesamthöhe von etwa 700.000 Euro. Geld, das Beate Zschäpe verwaltete, die in einer Art „Arbeitsteilung“, wie es die Bundesanwaltschaft darlegte, auch für die Aufrechterhaltung der Fassade ihrer „Familie“ in Chemnitz, Zwickau und bei den vielen Urlauben auf Fehmarn Sorge trug. So könnte heute das Urteil gegen Beate Zschäpe auf „Beihilfe zum Mord in mehreren Fällen“ lauten, in Verbindung mit der von ihr zugegebenen Brandexplosion im Zwickauer Unterschlupf des „NSU“, bei dem eine betagte Seniorin nur mit Glück lebend aus ihrer Wohnung befreit werden konnte.

Beate Zschäpe am 08.11.2011 bei der erkennungsdienstlichen Behandlung nach ihrer Festnahme in Jena – Bildquelle: LKA Thüringen / Kripo Jena

Die höchste Strafe, die ein Gericht in Deutschland hierfür verhängen kann ist eine lebenslange Freiheitsstrafe. Eine solche Strafe ist im strengen Wortsinn jedoch nicht „lebenslang“ sondern der Verurteilte muss mit Blick auf die Menschenwürde eine konkrete Chance haben, nach frühestens 15 Jahren freizukommen. Ein zu „lebenslang“ Verurteilter kommt aber nur frei, wenn man ihn dann als nicht mehr gefährlich ansieht. Dafür wird ein Gutachter hinzugezogen und das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung berücksichtigt. Anders ist es bei einer vom Gericht festgestellten „Besonderen Schwere der Schuld“. Hier scheidet die vorzeitige Entlassung auf Bewährung nach 15 Jahren in der Regel aus.

Damit ein Gericht im Urteil die besondere Schwere der Schuld feststellen kann, müssen die Richter hierzu Tat und Persönlichkeit des Täters – hier also von Beate Zschäpe – würdigen, also: Hätte sie Mordtaten, Anschläge, Raubzüge verhindern können? Wird eine besonders schwere Schuld festgestellt, muss die Strafvollstreckungskammer nach 15 Jahren die weitere Mindesthaftdauer festlegen. Dann kommen der oder die Verurteilte erst in Freiheit, wenn er/sie nicht mehr als gefährlich gilt.





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