„Feuer im Kopf“: Wissenschaftlerteam um UKJ-Neurologen konnte molekulare Mechanismen einer Autoimmun-Hirnentzündung aufklären

06.09.18 • JEZT AKTUELL, NEWSCONTAINER, START, UNSER JENA, WISSENSCHAFT, MEDIZIN & TECHNIKKommentare deaktiviert für „Feuer im Kopf“: Wissenschaftlerteam um UKJ-Neurologen konnte molekulare Mechanismen einer Autoimmun-Hirnentzündung aufklären

Prof. Dr. Christian Geis und Dr. Holger Haselmann (r.) vom Uniklinikum Jena konnten mit einem deutsch-spanischen Wissenschaftlerteam die Mechanismen der AMPA-Rezeptor-Autoimmunenzephalitis aufklären. – Foto © FSU von der Gönna

(FSU/UKJ) – Unter dem Titel „Feuer im Kopf“ erschien die Autobiografie der kanadischen Journalistin Susannah Cahalan und der darauf basierende Film in Deutschland, im Original „Brain on fire“. Die Kritiker fanden den Film nicht überragend, aber er rückte eine erst seit einem guten Jahrzehnt bekannte Krankheit in das Licht der Öffentlichkeit: eine seltene, autoimmun-bedingte Gehirnentzündung. Ausgelöst durch bestimmte Tumore oder Virusinfektionen, werden Antikörper gegen Neurotransmitter-Rezeptoren im zentralen Nervensystem produziert. In Susannah Cahalans Fall gegen den NDMA-Rezeptor, was zu Verwirrtheit, Psychosen, Koma und Atemstörungen führt. Inzwischen kennt die Neurologie eine ganze Reihe verschiedener Unterformen dieser autoimmunen Gehirnentzündungen, bei denen das Immunsystem einen Rezeptor auf Nervenzellen attackiert.

Eine Forschergruppe aus Jena, Barcelona, Würzburg, und Leipzig konnte jetzt die Mechanismen der Autoimmunerkrankung aufklären, bei der der AMPA-Rezeptor zur Zielscheibe wird. Er zählt wie der NDMA-Rezeptor zu den Glutamatrezeptoren und steuert die Übertragung von Nervenimpulsen im Gehirn, ist also unerlässlich für Lern- und Gedächtnisprozesse. „Die betroffenen Patienten leiden an Krampfanfällen, Verwirrtheit, Gedächtnisstörungen und Wesensveränderung“, beschreibt Prof. Dr. Christian Geis, Neurologe am Universitätsklinikum Jena und Seniorautor der Arbeit, die Symptome der Erkrankung. Für ihre Untersuchungen setzten die Forschenden aus Patientenproben gewonnene Antikörper ein, die hochspezifisch gegen eine Untereinheit des AMPA-Rezeptors gerichtet sind, die besonders für die elektrischen Eigenschaften des Rezeptors von Bedeutung ist. Rezeptoren mit dieser Untereinheit sind vor allem in der Synapse, der Kontaktstelle zweier Nervenzellen, verbaut und für die schnelle Impulsweiterleitung zwischen den Nervenzellen unabdingbar.

Zunächst studierte das Wissenschaftsteam Nervenzellen in der Zellkultur. „Wir konnten Schritt für Schritt nachweisen, wie die Antikörper den Rückzug der AMPA-Rezeptoren mit dieser Untereinheit in die Zelle auslösen und eine Kette von Kompensationsmechanismen in Gang bringen, in deren Folge AMPA-Rezeptoren ohne die Untereinheit die Erregungsweiterleitung in der Synapse übernehmen“, so der Biologe Dr. Holger Haselmann. „Mit fatalen Folgen für die Funktion und Erregbarkeit der Synapse.“ Im nächsten Schritt induzierten die Forscher die Krankheit im Tiermodell und untersuchten die Nervenzellen im Gehirn von Mäusen, denen der Antikörper verabreicht wurde. Hier zeigten sich die gleichen Umorganisationsprozesse der AMPA-Rezeptoren wie in der Zellkultur.

Im Tiermodell wurden dann auch die Folgen dieser Umorganisation deutlich. Holger Haselmann: „In den erkrankten Mäusen war die Fähigkeit der Synapsen, sich an Aktivitätsanforderungen anzupassen, im Vergleich zu gesunden Mäusen verringert.“ Diese als synaptische Plastizität bezeichnete Eigenschaft ist eine Voraussetzung für Vernetzungsprozesse im Gehirn. In Verhaltenstests schließlich offenbarten die Tiere mit der Krankheit Einschränkungen bei kognitiven und Gedächtnisleistungen. Zum Vergleich: Patienten mit AMPA-Rezeptor-Autoimmunenzephalitis leiden unter Verwirrtheit und Problemen mit dem Kurzzeitgedächtnis. Die Wissenschaftler sind in den von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Sonderforschungsbereich ReceptorLight in Jena und Würzburg eingebunden, der die Funktion von Rezeptoren mittels High-End-Mikroskopie untersucht. So gelingt es mit höchstauflösender Fluoreszenzmikroskopie, die AMPA-Rezeptoren im Bereich der Synapse mit einer Auflösung von 40 Nanometern darzustellen.

„Diese hochmodernen Bildgebungstechniken erlauben es, klinisch relevante Fragen auf der Ebene der Moleküle zu bearbeiten und zu beantworten“, betont Christian Geis. „Hier konnten wir die zugrunde liegende Pathophysiologie einer seltenen Autoimmunerkrankung aufklären.“ Damit können die Wissenschaftler zu einer schnelleren Diagnose der Autoimmun-Gehirnentzündungen beitragen, deren Symptome mitunter schwierig einzuordnen sind und gelegentlich missinterpretiert werden. Der Verdacht darauf lässt sich durch Immuntests inzwischen schnell abklären. Und ist die Autoimmunerkrankung sicher erkannt, kann sie, wie auch im Fall von Susannah Callahan, zumeist erfolgreich behandelt werden.





Kommentarfunktion derzeit ist geschlossen.

« »


JENAhoch2 | Omnichannel-Media für Stadt und Region