Unterschiedliche Erinnerungskulturen: Zwei Historiker wurden gestern mit dem FSU-Lehrpreis 2018 geehrt
(Stephan Laudien) – Wenn Studentinnen und Studenten aus Deutschland zu einer Exkursion nach Israel aufbrechen, dann denken sie unweigerlich an die deutschen Verbrechen gegen Juden im Holocaust. Trotz der „Last der Geschichte“ sind heute Begegnungen zwischen deutschen und israelischen Studierenden möglich. Für den Historiker Dr. Jacob Eder von der Universität Jena ein Anzeichen für „den beeindruckenden Versöhnungsprozess rund 70 Jahre nach der Shoah“.
Dieser Eindruck bestätigte sich für Dr. Jacob Eder und Dr. Tobias Freimüller, die sich beide intensiv mit der Nachgeschichte des Nationalsozialismus befasst haben, auch beim Seminar mit Exkursion „Erinnerungskultur in Israel. Totengedenken, Holocausterinnerung und ‚deutsche Spuren’“. Für das im Sommersemester 2017 angebotene Seminar erhalten sie nun den themenbezogenen Lehrpreis der Universität Jena. Verliehen wurde die mit 2.500 Euro dotierte Auszeichnung, die die Sparkassenstiftung Jena-Saale-Holzland zur Verfügung gestellt hat, beim feierlichen „Dies Legendi“ am 15. November 2018.
Ungewöhnlich sei bereits die thematische Ausrichtung des Seminars gewesen, sagt Tobias Freimüller. Sei es doch nicht nur um die Nachgeschichte der Shoah gegangen, sondern um die gesamte Geschichte des Landes Israel und seine Erinnerungskultur. Für die beteiligten Studierenden war besonders interessant, wie das Selbstbild Israels mit der Geschichte des Massenmords an den Juden Europas verknüpft ist: „In Israel finden wir das Bedürfnis, die eigene Vergangenheit als Geschichte eines modernen, wehrhaften und starken jüdischen Staates zu präsentieren.“ Für deutsche Studierende könne das irritierend sein und werde erst nachvollziehbar, wenn man sich mit der Geschichte Israels und Palästinas seit dem 19. Jahrhundert beschäftigt hat.
Die Exkursion der Jenaer Studierendengruppe führte an sehr unterschiedliche Orte. Besucht wurden das ehemalige Wohnhaus David Ben-Gurions in Tel Aviv, das Israel-Museum in Jerusalem und sogar ein „Jeckes“-Museum in Nordisrael, das der Geschichte der deutschen Einwanderer und Exilanten gewidmet ist. Wahrhaft „grenzüberschreitend“ im Sinne des diesjährigen Schwerpunktes des Lehrpreises war dann die Begegnung mit einer Seminargruppe der Hebräischen Universität, die ein thematisch verwandtes Seminar bei Dr. Ofer Ashkenazi absolvierte. Gemeinsam mit den israelischen Studierenden wurden Gedenkstätten und Mahnmale besucht, die an gefallene israelische Soldaten erinnern.
Berührungsängste konnte Dr. Eder dabei nicht feststellen: „Die Gespräche und Diskussionen vor Ort liefen vollkommen offen und ohne innere Barrieren ab. Das soll nicht heißen, dass es keine Meinungsverschiedenheiten gab, aber die Studierenden auf beiden Seiten haben alle Reibungspunkte offen angesprochen.“ Tobias Freimüller ergänzt: „Interessant war für uns zu sehen, dass eine kritische Zeitgeschichtsschreibung, wie wir sie in Deutschland heute kennen, in Israel zwar seit den 1980er Jahren ebenfalls begonnen wurde, inzwischen jedoch die Debatte über die Geschichte des eigenen Landes leider wieder schwieriger wird.“ Zwar werde in den Universitäten durchaus noch über den Konflikt mit den Palästinensern und seine Wurzeln nachgedacht und gesprochen, das finde jedoch in der öffentlich sichtbaren Erinnerungskultur immer weniger Raum.
Insgesamt nahmen 14 Studierende an dem Seminar und der Reise nach Israel teil. Finanziell unterstützt wurde die Exkursion von der Philosophischen Fakultät der Uni Jena, der Ernst-Abbe-Stiftung und dem Deutschen Akademischen Austauschdienst sowie vor allem dem Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts. Außerdem waren das Historische Institut und die Gesellschaft der Freunde und Förderer der Universität Jena unter den Geldgebern. In Israel profitierte die Jenaer Studierendengruppe zudem von der Gastfreundschaft des Richard Koebner Minerva Center der Hebräischen Universität.
Der diesjährige „Dies Legendi“ fand als öffentliche Veranstaltung in der Aula des Universitätshauptgebäudes statt. Dabei erhielt auch Daniel Löffelmann vom Institut für Bildung und Kultur einen Lehrpreis. Weitere Informationen erhält man unter: www.uni-jena.de/Dies_Legendi.
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