Wissenschaftshistoriker der Friedrich-Schiller-Universität Jena erklären Ernst Haeckels Ökologie-Definition
(Ute Schönfelder) – „Unter Oecologie verstehen wir die gesammte Wissenschaft von den Beziehungen des Organismus zur umgebenden Aussenwelt, wohin wir im weiteren Sinne alle ,Existenz-Bedingungen‘ rechnen können. Diese sind theils organischer, theils anorganischer Natur; sowohl diese als jene sind, wie wir vorher gezeigt haben, von der grössten Bedeutung für die Form der Organismen, weil sie dieselbe zwingen, sich ihnen anzupassen.“ So definiert der Evolutionsbiologe Ernst Haeckel in seinem 1866 erschienenen Werk „Generelle Morphologie der Organismen“ den Begriff Ökologie – und zwar als erster überhaupt. Wie aktuell seine ursprüngliche Einordnung ist, das haben Biologiedidaktiker der Friedrich-Schiller-Universität Jena nun genauer herausgearbeitet – auf Einladung des renommierten Fachjournals „Trends in Ecology & Evolution“.
„Ökologie ist derzeit sowohl gesellschaftlich als auch wissenschaftlich ein äußerst wichtiges und aktuelles Thema. Jeder spricht darüber“, sagt Dr. Elizabeth Watts aus der Arbeitsgruppe Biologiedidaktik der Universität Jena. „Deshalb haben wir uns einmal mit der Frage beschäftigt, was ihr Erfinder eigentlich genau damit meinte. Dabei haben wir festgestellt, dass Haeckel eine sehr moderne – um nicht zu sagen vorausschauende – Vorstellung davon hatte.“ Für ihn sei Ökologie nicht das gewesen, was Biologen lange Zeit vor allem während des 20. Jahrhunderts darunter verstanden haben. Vielmehr habe er mit seiner Definition bereits dort gestanden, wo sich sie ökologische Forschung in den vergangenen zehn bis 20 Jahren erst hinbewegt habe.
Haeckel pflegte in seinen Betrachtungen zur Ökologie einen ganzheitlichen biologischen Ansatz, wie er heute inzwischen üblich ist. Er nahm Darwins Ansatz auf, dass man das Zusammenspiel von Organismen mit ihrer Umwelt und anderen Organismen beachten müsse, um deren Entwicklung zu verstehen. Deshalb ordnete der deutsche Naturforscher die Ökologie als Teil der Physiologie ein und machte sie so zur evolutionären Wissenschaft. Moderne, noch sehr junge Wissenschaftsfelder, wie etwa die ökologische evolutionäre Entwicklungsbiologie (kurz: Eco-Evo-Devo) folgen dem gleichen Ansatz.
Dem Autorenteam ist dabei wichtig, die Rolle Haeckels als Vordenker des Begriffs und der damit verbundenen Disziplin hervorzuheben. Denn vielen ihrer Kollegen ist das gar nicht bewusst. „Haeckels wissenschaftliche Werke liegen bis heute kaum in anderen Sprachen vor, nur seine eher weltanschaulich geprägten Bücher sind beispielsweise ins Englische übersetzt worden“, sagt Mitautor PD Dr. Georgy Levit. Lange Zeit sei das kein Problem gewesen, da Deutsch durchaus den Status einer internationalen Sprache in der Wissenschaft hatte. Doch das änderte sich nach dem Zweiten Weltkrieg – mit erheblichen Folgen für die internationale Haeckel-Rezeption. „Wenn wir heute in internationalen Fachjournalen Artikel zu Haeckel veröffentlichen, dann müssen wir im Vorfeld einzelne Sätze und Passagen aus seinen Werken übersetzen. Manchmal diskutieren wir tagelang, bis wir die richtige englische Formulierung gefunden haben, die das ausdrückt, was der Autor sagen wollte“, ergänzt Watts.
Neben dem Sprachproblem hat auch Haeckels Image dazu geführt, dass seine wissenschaftliche Arbeit wenig Beachtung fand. „Sein wissenschaftlicher Ruf hat durch Betrugsvorwürfe und seine Anschauungen zur Rassentheorie erheblich gelitten“, sagt Uwe Hoßfeld, der sich an der Universität Jena seit Jahrzehnten mit dem berühmten Biologen beschäftigt. „Diese Kritik können und wollen wir nicht wegdiskutieren – sie sind ein Teil unserer Auseinandersetzung mit dem Evolutionsbiologen. Allerdings schmälert das nicht seine Leistungen für die Forschung.“ Die Jenaer Gruppe will deshalb mit ihrer Arbeit zeigen, dass Ernst Haeckel die Entwicklung der modernen Wissenschaft stark geprägt hat. So entsteht derzeit eine ganze Reihe von Aufsätzen, die sowohl seine internationale Wirkung belegen als auch seinen Einfluss auf einzelne Wissenschaften beschreiben. Elizabeth Watts sieht dabei erste Erfolge: In ihrem Heimatland, den USA, sei bereits eine Debatte um Haeckel und seine wissenschaftlichen Leistungen entstanden.
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