„Was passierte über Jahrhunderte im Himalaya?“ – Altersforscher aus Jena helfen bei der Aufklärung des „Skelettsee“-Rätsels

22.08.19 • INTERESSANTES, JEZT AKTUELL, KULTUR & BILDUNG, NEWSCONTAINER, START, UNSER JENA, WISSENSCHAFT, MEDIZIN & TECHNIKKommentare deaktiviert für „Was passierte über Jahrhunderte im Himalaya?“ – Altersforscher aus Jena helfen bei der Aufklärung des „Skelettsee“-Rätsels

Der Skelettsee in Nepal („Roopkund Lake). – Foto: Atish Waghwase

(red + Content des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte) – Der Roopkund Lake im indischen Teil des Himalaya liegt auf 5029 Metern Höhe und ist ein nicht sehr großes Gewässer, könnte auch als ein größerer Teich durchgehen. International bekannt geworden ist er aber unter dem eindrucksvollen Beinamen „Skeleton Lake“ / „Skelettsee“. Das liegt bezeichnenderweise daran, dass im Seewasser und seiner Uferumgebung die Knochen Hunderter menschlicher Skelette zu finden sind. Wie so viele Menschen in dem unbesiedelten Gebiet zu Tode kamen und auf welche Weise, gibt Forschern seit Jahrzehnten Rätsel auf, die nun mit Hilfe des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena gelöst werden könnten.

Bei einem Patrouillengang an der Grenze zu Nepal fanden britische Soldaten im Jahre 1942 am Grund des eisigen Roopkund-Sees unzählige Gebeine und auch an der Uferböschung lagen Knochenreste verstreut. Einige der Leichenreste waren, wohl aufgrund des permanent kalten Klimas, erstaunlich gut erhalten und er waren noch Haar- und Gewebereste, sogar Lederkleidung und Schmuck erkennbar, die die Soldaten berichteten – ein Grusel-Fund, der seither die Wissenschaftler beschäftigt.

Wissenschaftler um die Harvard-Forscherin Éadaoin Harney fanden laut einer aktuellen Studie, die in „Nature Communications“ erschienen ist, heraus, dass kein einzelnes Ereignis, wie etwa ein katastrophaler Lawinenabgang, als Erklärung infrage kommt, sondern dass über Jahrhunderte mehrere Ereignisse zu der relativ großen Zahl an Toten in der Höhenlage im nördlichen Distrikt Chamoli führten. Überraschender Weise stellte sich außerdem heraus, dass nicht nur Asiaten sondern auch Europäer unter den Opfern sind, was annehmen lässt, dass die Historie des „Skelettsees“ wohl komplexer, als bislang angenommen.

Knochenfunde am Ufer des Roopkund Lake. – Foto: Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte

Es gibt viele unterschiedliche Annahmen, wer diese Menschen waren, was sie zum Roopkund-See führte und warum sie hier starben“, so Niraj Rai vom Birbal Sahni Institute for Palaeosciences im indischen Lucknow. Waren es Soldaten? Dagegen spricht die relativ hohe Zahl eindeutig weiblicher Individuen und das völlige Fehlen von Waffen. Handelte es sich um Händler und Kaufleute? Auch eher unwahrscheinlich, auf solch gefährlichen Routen würde man ebenfalls keine Frauen erwarten. Bis zum heutigen Tage werden in dieser Region alle zwölf Jahre Wallfahrten zu Ehren der Hindu-Göttin Nanda Devi abgehalten, auch der Roopkund-See ist ein Ziel der Reisen.

Einer lokalen Sage zufolge, waren einst ein König und seine Gemahlin dort als Pilger unterwegs. Deren unangemessenes Verhalten habe die Berggöttin erzürnt – mit tödlichen Folgen für das gesamte Gefolge. Inzwischen haben Wanderer und Wallfahrer die Fundstelle am Roopkund-See stark beeinträchtigt, die Knochen liegen auf dem Areal verstreut herum und sind nicht bestattet worden. „Zwar sind manche Skelette teils mit Geröll bedeckt, doch wurde dies wahrscheinlich durch Bergrutsche ausgelöst“, erläutert Harney.

Dem Rätsel um die Knochen am und im See ist das Wissenschaftler-Team aus den USA, Indien und Deutschland mit modernsten Methoden zu Leibe gerückt. Die groß angelegte Studie unter maßgeblicher Beteiligung der Abteilung für Archäologie des Jenaer Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte hat gezeigt, dass die geheimnisvollen Skelette des Roopkund-Sees im indischen Himalaya-Gebirge, von denen man bislang annahm, dass sie von einem einzigen katastrophalen Ereignis herrühren, zu genetisch sehr unterschiedlichen Gruppen gehörten, die in unterschiedlichen Perioden starben, von denen wenigstens zwei rund 1000 Jahre auseinanderliegen. An der Studie waren insgesamt 28 Forschende beteiligt.

Ayushi Nayak bei der Aufbereitung von Proben im Stabilen Isotopen Labor am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte. – Screenshot aus: „Sampling and Pretreatment of Tooth Enamel“ Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte

Mithilfe der Radiokarbon-Datierung konnte man das Knochenalter bestimmen. Demnach verstarben die Menschen nicht, wie bisher angenommen, zur selben Zeit, sondern die beiden größten Gruppen erreichten den „Skeleton Lake“ in einem zeitlichen Abstand von knapp 1000 Jahren. So trafen die Angehörigen der indischen Gruppe bereits im 7. bis 10. Jahrhundert n. Chr dort ein, während die beiden anderen Gruppen, bei denen es sich sehr wahrscheinlich um Reisende handelte, erst im 17. bis 20. Jahrhundert an den Roopkund-See gelangten. „Diese Ergebnisse demonstrieren die Stärke der Radiokarbonmethode, da bislang angenommen wurde, dass sämtliche Skelette auf ein einziges Ereignis zurückzuführen sind“, sagt Senior-Koautor Douglas J. Kennett von der University of California in Santa Barbara/USA.

Ayushi Nayak vom Jenaer Max-Planck-Institut fasst zusammen, dass es sich um nicht miteinander verwandte Männer und Frauen aus dem vom damaligen Osmanischen Reich kontrollierten Gebiet handelt. Auch die Rekonstruktion der Ernährungsgewohnheiten mithilfe einer Isotopenmethode untermauere, dass die Verstorbenen zu kulturell unterschiedlichen Gruppen gehörten. Weiter heißt es, dass man sich die Frage stelle, wie Migranten aus dem östlichen Mittelmeerraum, mit einem sehr untypischen Abstammungsprofil für diese Region, an diesem Ort gelangten. „Was die Menschen letztendlich nach Nepal führte und wie sie zu Tode kamen, bleibt bislang unklar“, ergänzt Niraj Rai.





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