„Macht Fernsehen dumm?“ – oder: Wie beeinflusst Medienkonsum die Lernfähigkeit und Wahrnehmung

27.09.19 • JEZT AKTUELL, KULTUR & BILDUNG, NEWSCONTAINER, START, UNSER JENA, WISSENSCHAFT, MEDIZIN & TECHNIKKommentare deaktiviert für „Macht Fernsehen dumm?“ – oder: Wie beeinflusst Medienkonsum die Lernfähigkeit und Wahrnehmung

Foto © Proxima Studio (FotoliaLicense#289188054)

(vdG/UKJ) – Es klingt nach einer Art bezahlten „Klassenfahrt“: Fünf Tage lang sind die Studienteilnehmer gemeinsam durchgehend in einem Hostel in Jena untergebracht. Bei freier Kost und Logis können sie acht Stunden täglich TV, Netflix oder YouTube schauen oder aber Freizeitbeschäftigungen nachgehen, die nicht vor einem Bildschirm stattfinden. Beide Teilnehmergruppen absolvieren in diesen Tagen einen Kurs im 10-Finger-Schreiben auf der Tastatur, das dürfen die Probanden vorher nicht können.

Doch spätestens bei der Beschreibung der Vor- und Nachuntersuchungen wird klar, dass es sich nicht um einen Ferienaufenthalt, sondern um eine wissenschaftliche Studie handelt: Jeweils in der Woche vor und nach diesen fünf Tagen absolvieren die Teilnehmer einen Test zu ihrer sensorischen Wahrnehmung und eine MRT-Untersuchung. „Wir wollen herausfinden, ob der exzessive und rein passive Konsum visueller Medien zu einer Veränderung der Hirnstruktur und -funktion führt und ob Auswirkungen auf motorisches Lernen und Wahrnehmung nachweisbar sind“, so Dr. Matthias Nürnberger zum Ziel der Studie.

Mit seinem Studienprojekt ist der Assistenzarzt an der Klinik für Neurologie in das Clinician-Scientist-Programm des Interdisziplinären Zentrums für Klinische Forschung des Universitätsklinikums Jena aufgenommen worden. Das Zentrum fördert damit gezielt junge Ärztinnen und Ärzte, die parallel zur klinischen Facharztqualifikation ein eigenständiges Forschungsprojekt realisieren wollen. Kern des dreijährigen Programms ist eine flexibel gestaltbare Forschungszeit mit der Freistellung von klinischer Tätigkeit. Dazu kommen ein strukturiertes Qualifizierungsprogramm und ein Mentoringkonzept.

In ähnlicher Weise fördert das Zentrum Naturwissenschaftler in der medizinischen Forschung und bietet auch Unterstützung für fortgeschrittene klinische und naturwissenschaftliche Projekte an. In diese Programme wurden sieben Nachwuchswissenschaftler und zwölf Nachwuchswissenschaftlerinnen aufgenommen. „Wir haben die Förderlinien im IZKF mit denen in extern finanzierten Projekten am UKJ abgestimmt und können nun sowohl für den ärztlichen als auch für den naturwissenschaftlichen Nachwuchs am UKJ Förderformate für alle Karrierestufen von der Promotion bis zur Habilitation anbieten“, so der Vorsitzende des IZKF, Prof. Dr. Otto Witte.

Matthias Nürnberger hat das strenge wissenschaftliche Begutachtungsverfahren, in dem über die Förderung entschieden wird, erfolgreich durchlaufen. Denn seine Studie wird die Auswirkungen des Fernsehkonsums nicht nur rückblickend, sondern prospektiv und unter kontrollierten Bedingungen untersuchen. Dass der passive Medienkonsum – in den Industrieländern im Schnitt fast drei Stunden täglich – negative Folgen für Gesundheit und kognitive Entwicklung hat, ist allgemeiner Konsens. „Dieser beruht jedoch auf beinahe ausschließlich retrospektiven Analysen, die den Fernsehkonsum mit Veränderungen schulischer Leistungen, des sozialen Status, der Kognition, Emotion oder Gesundheit in Verbindung bringen“, sagt Matthias Nürnberger. „Die Gründe dieser negativen Effekte sind ungeklärt.“

Er vermutet, dass neurophysiologische Aspekte eine Rolle spielen und zu Veränderungen der Hirnstruktur sowie -funktion führen, die dann bei der MRT-Untersuchung erkennbar werden. Weitere Fragestellungen sind, ob diese Mechanismen reversibel sind und welche Relevanz sie beim alternden Menschen haben. Denn die Wahrnehmung und das motorische Lernvermögen sind mit Blick auf die alternde Gesellschaft als Zielgrößen der Studie gewählt. Vor allem Ältere, deren Wahrnehmung und Motorik schon altersbedingt eingeschränkt sind, verbringen viel Zeit vor dem Fernseher. „Das wäre zum Beispiel hinsichtlich der Sturzprophylaxe kritisch zu sehen, wenn sich unsere Hypothese von den negativen Auswirkungen eines massiven TV-Konsums bestätigt“, so Matthias Nürnberger.





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