Die politische Entwicklung eines Menschen hat viele „Eltern“: Aktuelle Forschungsergebnisse belegen Beitrag von Geschwistern zur politischen Sozialisation
(Axel Burchardt) – Immer wieder ist von einer politisch wenig interessierten, wenn nicht gar apathischen Jugendgeneration die Rede. Andererseits setzen die „Fridays for Future“ viele junge Menschen in Bewegung. Es gibt offenbar kein einheitliches Bild, Unterschiede sind die Regel in der politischen Entwicklung junger Menschen.
„Wir versuchen, über die Momentaufnahmen, die Umfrageergebnisse bieten, hinauszugehen und zu verstehen, was hinter den verschiedenen Entwicklungspfaden auf dem Weg zum erwachsenen Bürger steckt, welche Prozesse in der politischen Sozialisation bedeutsam sind“, beschreibt der Psychologe Prof. Dr. Peter Noack von der Friedrich-Schiller-Universität das Forschungsinteresse seiner Arbeitsgruppe. Seit über einem Jahrzehnt führt er mit seinem Team umfangreiche Untersuchungen mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen durch. Die Ergebnisse sind nicht nur vor Wahlen wichtig, um die Entwicklung politischer Ideen bei jungen Menschen zu verstehen.
„Die wichtige Rolle der Eltern in der politischen Entwicklung junger Menschen haben wir in unseren Arbeiten immer wieder beobachtet“, so Noack. „Spannend war es aber, Einflüsse von Geschwistern jenseits der Sozialisation durch Väter und Mütter festzustellen“, fasst der Jenaer Professor für Pädagogische Psychologie die Ergebnisse einer aktuellen Studie zusammen. Dabei wurden ausgehend von einer Stichprobe von über 1.000 Thüringer Schülerinnen und Schülern 362 Geschwisterpaare in die Auswertungen einbezogen. Im Ergebnis zeigte sich nicht ganz unerwartet, dass eher das ältere Kind das jüngere Geschwisterkind in seinen Einstellungen beeinflusst. Vor allem jüngere Schwestern scheinen dazu zu tendieren, die Sichtweisen ihres älteren Geschwisters aufzunehmen.
Die Ergebnisse der Studie fügen dem Gesamtbild der politischen Sozialisation junger Menschen ein weiteres Mosaiksteinchen hinzu. Vorangegangene Forschungen der Arbeitsgruppe konnten bereits zu einem differenzierten Verständnis der elterlichen und schulischen Einflüsse beitragen. So zeigten sie beispielsweise für die Schule, dass die Erfahrungen der Schulkinder – das Diskussionsklima und die Beteiligungsmöglichkeiten – systematisch demokratische und tolerante Sichtweisen bei den Schülern fördern – und dies unabhängig vom jeweiligen Fachunterricht.
„Wir sehen diese ersten Ergebnisse zu Geschwistereinflüssen als Anstoß dazu, die Prozesse genauer zu beleuchten“, sagt Noack. So findet er die Vermutung naheliegend, dass Jugendliche vor allem dann für die Sichtweisen ihrer Geschwister offen sind, wenn sie eine gute Beziehung zueinander haben. Unter welchen Bedingungen wird aber die politische Einstellung von Geschwistern ein Standpunkt, von dem sich Jugendliche gezielt absetzen? Diese Thesen und Fragen skizzieren die weiteren Forschungen von Noacks Arbeitsgruppe, um mehr Licht in die Prozesse der politischen Sozialisation junger Menschen zu bringen.
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