Björn Höcke und die Folgen: Wenn aus Glaube Politik wird, und die Politik zum Glauben

28.10.19 • AUS DER REGION, JEZT AKTUELL, KULTUR & BILDUNG, NEWSCONTAINER, POLITIK & URBANES LEBEN, START, UNSER JENA, UNSER JENA & DIE REGIONKommentare deaktiviert für Björn Höcke und die Folgen: Wenn aus Glaube Politik wird, und die Politik zum Glauben

(Ein Kommentar von Wolfgang Wolf) – Richard von Weizsäcker erklärte 1985 in seiner ebenso zeitlosen wie treffenden Rede zum Ende des Zweiten Weltkriegs, wir Deutschen hätten allen Grund, den 8. Mai 1945 als das Ende eines falschen Wegs deutscher Geschichte zu erkennen. Erst der Zusammenbruch des Nazi-Staats habe den Keim der Hoffnung auf eine bessere Zukunft in sich getragen, doch wer diese Erfahrung vergesse, der verliere den Glauben und werde erneut anfällig für politische Führerfiguren.

Weizäcker sagte über das Dritten Reich und die Faschisten (Zitat): „Die Ausführung des Verbrechens lag in der Hand weniger. Vor den Augen der Öffentlichkeit wurde es abgeschirmt. Aber jeder Deutsche konnte miterleben, was jüdische Mitbürger erleiden mußten, von kalter Gleichgültigkeit über versteckte Intoleranz bis zu offenem Haß. Wer konnte arglos bleiben nach den Bränden der Synagogen, den Plünderungen, der Stigmatisierung mit dem Judenstern, dem Rechtsentzug, der unaufhörlichen Schändung der menschlichen Würde?“

Weiter beschrieb der damalige Bundespräsident (Zitat): „Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren. Das jüdische Volk erinnert sich und wird sich immer erinnern. Wir suchen als Menschen Versöhnung.“ Und er erinnerte an Artikel 1 unserer Verfassung, in dem es heißt:

Die Jenaer Stolpersteine erinnern an die deportierten Juden. Foto © Stadt Jena Kudernatsch

„Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“

Heute leben wir in Zeiten, in denen viele Bürger denken, die Massenmorde des letzten Jarhunderts an unseren Mitmenschen – verübt im Glaube an eine vermeintliche Berechtigung zur Vernichtung unwerten Lebens oder die „Endlösung“ für zuvor diffamierte („Kauft nicht bei Juden“) Nachbarn – seinen zeitlich weit entfernt. Es sind heute wieder Zeiten, in denen es bei nicht wenigen Deutschen gut ankommt, gegen Mitmenschen anderer Kultur zu hetzten. Zeiten, in denen politisch rechts stehende Führerfiguren Wählern den deutschen Himmel auf Erden versprechen, sofern man ihnen folge, in altbekannter Weise von bevorstehender neuer deutscher Größe sprechen.

Der infame Anschlag des Neonazis Stefan B., der in Halle ein Blutbad unter jüdischen Mitbürgern anrichten wollte, dabei zwei Menschen tötete und andere verletzte, hat seinen Kern auch in der Politik der Partei Alternative für Deutschland und ihrem sog. Flügel. Dieser vom Thüringer AfD-Vorsitzenden Björn Höcke geleitete und offen rechtsextreme Flügel der Partei „…ist nicht rechtsextrem, Björn Höcke ist nicht rechtsextrem“, behauptete Alexander Gauland am gestrigen Wahlsonntag ins ARD-Mikrofon.

Foto © Junge Alternative Thüringen JA/Facebook

Gauland sprach von eben jenem Björn Höcke, der per Gerichtsentscheid im Schutz der freien Meinungsäußerung als „Faschist“ bezeichnet werden darf, der in seinem Buch „Nie zweimal in denselben Fluß“ (erschienen 2018 bei Manuscriptum) rechte Politik romantisiert und zum Religionsersatz erhebt, Argumente verwässert, hetzt und dabei Fakten verschweigt oder auch schon mal sagt (Zitat aus einer Rede in Sachsen) „Wir Deutschen sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat.“ – gemeint war das Holocaust-Mahnmal in Berlin. Höcke sprach in der gleichen Rede von einer (Zitate) „dämlichen Bewältigungspolitik“ der Nazi-Zeit und forderte eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“.

In seinem Buch wiederum meint Björn Höche verklärend (Zitat) „Die Lichtseiten der Geschichte bilden den Kern der Identität (Anm.: des deutschen Volkes), ohne die ebenso vorhandenen Schattenseiten zu leugnen.“ Der Holocaust selbst bleibt im Buch unerwähnt. Das Ende des Dritten Reichs? Laut Höcke habe der Nationalsozialismus versucht, (Zitate) „mit brachialen Mitteln und Methoden die Krisen der Moderne in den Griff zu bekommen“. Am Ende seien „Trümmerfelder“ verblieben, auf denen sich der „zersetzende Materialismus (…) ungezügelter ausbreiten konnte“.

Obwohl er selbst einer ist und gerade an der Spitze seiner AfD von rund einem Viertel der Thüringerinnen und Thüringern für eine zweite Parlamentszeit in den Landtag gewählt wurde, fallen ihm in seinem Buch viele Verunglimpfungen für den Typus des Berufspolitikers ein (Zitate: „Autoaggressive , „Hysteriker“, „Psychopathen“, „Realitätsverweigerer“, „Schizophrene“, „Schweinchen-Schlau-Figuren der heutigen Parteiendemokratie“). Darf man fragen, weshalb er dies so sieht? Weil Höcke, wie er sagt, (Zitat) „der kalten funktionalen Welt eine Seele einhauchen (will), indem wir wieder beginnen, die faszinierenden Dinge hinter den Dingen zu entdecken“.

AfD-Kachel im Bundestagswahlkampf 2017 – Bildrechte: AfD Facebook

Der Halle-Attentäter Stefan B., der laut einer AfD-Pressemitteilung von Jörg Meuthen (Zitat) „ein augenscheinlich rechtsextremistischer, antisemitischer Spinner“ ist, baute seinen Hass auf jüdische Bürger und Ausländer, wie er dem Haftrichter gegenüber aussagte, auf Verschwörungstheorien auf. Höcke sei hier, so Bayerns Innenminister Joachim Herrmann „einer dieser geistigen Brandstifter, wenn es darum geht, wieder mehr Antisemitismus in unserem Land zu verbreiten.“

Zwar ist die erste Strophe des Deutschlandlieds zu singen seit deren Missbrauch durch die Nationalsozialisten verpönt, Björn Höcke jedoch stört es nicht, wenn sie auf Veranstaltungen gesungen wird, an denen er teilnimmt. Ihm und der AfD gehe es nämlich nicht nur darum, unser Gemeinwesen gut zu organisieren, sondern es gehe (Zitat aus dem Buch) „auch um die Wiederverzauberung der Welt.“ Weshalb? „Weil ich will, dass Magdeburg und dass Deutschland nicht nur eine tausendjährige Vergangenheit haben. Ich will, dass sie noch eine tausendjährige Zukunft haben.“, wie Thüringens AfD-Parteichef vor nicht allzu langer Zeit sagte.

Bei Björn Höcke, laut Einschätzung der New York Times die (Zitat) berüchtigtste Figur der Partei, wird aus rechtem Glauben Politik und seine Politik zur Glaubensfrage wie Höckes Abschlusszitat zeigt, mt dem er die Bemühungen, mit dem Flügel stärkeren Einfluss auf die Alternative für Deutschland zu bekommen, aufzeigt: „Ich weise dieser Partei einen langen und entbehrungsreichen Weg. Aber es ist der einzige Weg, der zu einem vollständigen Sieg führt. Und dieses Land braucht einen vollständigen Sieg der AfD und deshalb will ich diesen Weg – und nur diesen Weg – mit euch gehen, liebe Freunde!“





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