Wir sind nicht Papst, wir sind Menschen! – oder: „25 Jahre Deutsche Einheit“ (von Rainer Sauer)
Deutschland/Thüringen/Jena und die Geflüchteten: Das Top-Thema 2015 und mit Sicherheit auch noch in den nächsten Monaten und Jahren. Die Bundeskanzlerin hat Flüchtende aus Asien und Afrika mit einer unglaublichen humanitären Geste eingeladen, nach Deutschland zu kommen und „das helle Deutschland“ offenbart sich als extrem hilfsbereit, gerührt und bewegt.
So wäre es auch genau vor 25 Jahren gewesen, als man sich in unserem Land freute: unschuldig und ohne Hintergedanken. Aber dann, als die negativen Seiten der Wende im Osten der Bundesrepublik ankamen, wurde schnell vieles anders. Mitten in den angeblich so blühenden Landschaften taten sich mancherorts braune Sümpfe auf und aus ihnen stiegen Deutsche, die zwar auch an Bahnhöfen Spalier gestanden hätten, wenn die fern der Heimat nach Verfolgung und Vertreibung bei uns Gestrandeten angekommen wären. Aber wohl nicht, um ihnen Applaus zu spenden.
Wie seinerzeit beispielhaft in Rostock formieren sie sich auch heute wieder: tarngrüne Scharen, die ihr „Deutschland erwache“ grölen, teils mit Messerschnitt-Frisur, teils im Anzug. Immer neue Kameraden bringen sie mit: besorgte Bürger, denen die undeutschen Flüchtlinge Böses angetan haben…wie sie meinen und skandieren. Man kennt das: Wer die Lüge lebt, der hasst die Wahrheit!
In ihrer Nähe plagt mich die Weitsicht, dass einige von Ihnen den radikalen, totalen Messerschnitt nicht nur als ein Frisur-Statement verstehen, sondern auch als ihre Konsequenz für eine Säuberung der Gesellschaft. Einer Gesellschaft, die sich nach der Wende entwickelt hat. Plötzlich war Freiheit da, Geld und Ellenbogen. Dafür brach die Arbeit ebenso weg wie die Manieren. 1990 hätte niemand gewagt, auf einem Gehweg Rad zu fahren – ohne Rücksicht auf Verluste. Aber was kann man erwarten, wenn einem sich „die da oben“ als Selbstdarsteller, Selbstversorger, Selbstbelüger und „Wir-sind-selbst-das-Volk“-Vertreter darstellen.
Gerade im Moment wird man das Gefühl nicht los, dass führende (?) Regierungsvertreter, trotz des auf das Wohl des Deutschen Volkes geleisteten Eides, auf Sicht fliegen. Der Merkel-Satz, die Bundesrepublik werde „niemanden abweisen, der aus Not in unser Land kommt. Wir schaffen das!“ löste eine Völkerwanderung ungeahnten Maßes aus, auf die Deutschland so nicht vorbereitet war. Am 25. Jahrestag der Deutschen Einheit sprach sogar der Bundespräsident davon, dass unser Herz weit ist, „aber unsere Möglichkeiten sind endlich.“
Bis heute weiß man nicht, wie und wo die ankommenden Geflüchteten menschenwürdig aufgenommen und untergebracht werden sollen. Man versucht es in Häusern und Containern, Schullandheimen und Turnhallen, Fabrikhallen und leerstehenden Schlachthöfen. Improvisation ist das, auf hohem Niveau zwar, aber planlose Improvisation.
Das wiederum ruft die tarngrünen Scharen auf den Plan, die neben ihrer fast-verbotenen NPD nun auch seriösere Auffangbecken haben in der AfD, Pedgida, Thügida und wie sie alle heißen. Was tun? Keine Frage: Bekämpfen wir sie, wie es Kanzlerin und Vizekanzler, der Innenminister und der Thüringische Ministerpräsident fordern, denn: „Si vis pacem para bellum“ / „Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor.“
Aber nochmals gesagt: Mehr als eine Million Menschen werden dieses Jahr nach Deutschland marschieren, ohne dass man dies jetzt noch steuern kann. Und im Jahre 25 nach der Vereinigung haben sowohl Angela Merkel als auch Bodo Ramelow die Lage völlig unterschätzt. Und da beide „den“ Plan zum Handeln noch nicht parat haben, können nur die Menschen gemeinsam – sprich: Wir alle! – hadeln und zwar Deutsche ebenso wie Flüchtlinge. Nur deshalb hat sich in der Bundesrepublik eine beispiellose Welle der ehrenamtlichen Hilfsbereitschaft entwickelt, wie es sie vor einem Vierteljahrhundert nicht gegeben hätte. Und die wird ihre nachhaltige Wirkung auf unsere neuen Mitbürger nicht verfehlen.
Aber noch viel wichtiger: Während in der Politik Irrationalität der aktuelle Zeitgeist ist, arbeitet die Bevölkerung an einem Umbau der Gesellschaft. Wir sind nicht Papst – Wir sind Menschen! Wir vertrauen weniger auf Versprechen und Führungskraft sondern mehr auf uns selbst als zivilisierte Gesellschaft.
Unser Land ebenso wie unsere Stadt und die Region stehen jetzt vor der größten Herausforderung seit der Wende nach dem Ende der DDR. Wenn wir es richtig anstellen, dann packen wir das. Nicht wegen Frau Merkel sondern trotz der Bundeskanzlerin. Und wenn wir schlau sind, gestalten wir damit auch unsere Zukunft gleich mit. Denn es ist ein deutscher Glücksfall der Geschichte, dass einer wie Joachim Gauck heute Bundespräsident ist und diese Rede halten kann. Und ein Jenaer Journalist wie Roland Jahn Leiter der Stasiunterlagenbehörde.
In diesem Sinne
Ihr
Rainer Sauer, Jena
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