Rainer Sauer „Mein Vierteljahrhundert in Jena“ – Teil 6: „Ich esse meinen Döner nicht. Nein, meinen Döner ess‘ ich nicht!“

01.04.16 • INTERESSANTES, JEZT AKTUELL, POLITIK & URBANES LEBEN, START, UNSER JENAKeine Kommentare zu Rainer Sauer „Mein Vierteljahrhundert in Jena“ – Teil 6: „Ich esse meinen Döner nicht. Nein, meinen Döner ess‘ ich nicht!“

JEZT - Demo in Jena im Juni 2005 - Foto © MediaPool Jena

Demo in Jena im Juni 2005 – Foto © MediaPool Jena

JEZT - Mein Vierteljahrhundert in Jena TeaserMein Vierteljahrhundert in Jena beinhaltet natürlich auch die Zeit, in der unsere Stadt noch stramm-rechte Strukturen aufwies, wie sie diese Woche im ersten Teil der ARD-Dreiteilers zu den grauenhaften Taten des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ – begangen und gebilligt von Jenaern – in einer Art Zeitreise wieder in den Fokus gerückt worden ist. Und dank des überzeugenden und fernsehpreisverdächtigen Spiels des Schaupielerensembles um Anna-Maria Mühe konnte man versuchen nachzuvollziehen, wie es dazu kam, dass sich ein Professorensohn und ein Liebespärchen in den 1990er Jahren in Jena derart radikalisieren konnten.

Es war kein gemütlicher Fernsehabend für mich und er brachte mir die Erinnerung zurück an 1995, als ich Personalratsmitglied der Stadt Jena war und wir uns mit „rechten Untrieben“ in der städtischen Jugendwerkstatt zu befassen hatten. Dort war sich ein junges Mädchen, gerade einmal 20 Jahre alt, in der Pflanzerbrigade mit nationalsozialistischen Äußerungen hervorgetreten: Beate Zschäpe?

JEZT - Rainer Sauer auf der Bühne des Theaterhauses Jena im Juni 2005 - Foto © MediaPool JenaZehn Jahre später, am 11. Juni 2005, stand ich auf der Bühne des Theaterhauses bei „Jena steht auf gegen Rechts“. Es war die, im lokalen Radio live übertragene, Gegenveranstaltung zu Ralf Wohllebens erstem „Fest der Völker“ in unserer Stadt, das (wie man erst sechseinhalb Jahre später erfuhr) inmitten der Mordserie des „NSU“ stattfand: Zwei Tage zuvor – am 09. Juni 2005 – hatten der Professorensohn und sein Helfer in Nürnberg den Dönerladenbesitzer İsmail Yaşar erschossen und vier Tage später, am 15. Juni 2005, ermordeten sie in München den Schlüsseldienst-Mitinhaber Theodoros Boulgarides. Die Polizei nannte die Mordserie „Döner-Morde“ und ich mein Programm an 11. Juni 2005 „Ich esse meinen Döner nicht. Nein, meinen Döner ess‘ ich nicht!“. – Wie es zu meinem Wortspiel kam war kein Zufall, jedoch: vom „NSU“ ahnte ich nichts.

Heute, da Jena von vielen  als Lichtstadt, Leuchtturm und Vorzeigeort des Ostens dargestellt wird, als Schmelztiegel der Forschung mit ach so vielen klugen Menschen, als „die freundlichste Studentenstadt im Osten“, in der es sich gut und „bene“ leben lässt, vergisst man allzu schnell, wie es einst hier bei uns auch zuging. Zum Beispiel 1996, als meine Frau bei der Altbausanierung den fleißigen Fließenlegern etwas vom Saalbahnhof zum Mittagessen holen wollte …beim dortigen Döner-Imbiss… und man sagte ihr: „Sie wollen uns wohl vergiften.“ – Wie bitte? – „Ein Deutscher isst sowas nicht, so lange es Thüringer Bratwürste gibt.“ Ich fragte interessiert nach, was man denn so in der Freizeit mache und bekam „Volkstanz“ und „ehrliche Mucke hören“ zur Antwort. Damals schrieb ich mein „Döner“-Programm fürs literaische Kabarett.

JEZT - Aufkleber Bratwurst statt Döner - Abbildung © MediaPool JenaZu gleicher Zeit hängten die späteren Mörder und Sparkassenplünderer aus unserer Stadt einen Puppentorso mit gelbem Judenstern an einer Autobahnbrücke bei Bucha auf, organisierten sich TNT für Rohrbomben und im Dezember 1996 folgte die Provokation von des Trios in Buchenwald. Nur wenige Monate danach musste man sich in unserer Straße die „ehrliche Mucke“ von rechten Bands mit anhören, lautstark beschallt aus Fenstern von Zimmern, in denen die Rechskriegsflagge an der Wand prangte. Nur zwei Häuser weiter wohnten Punks und oft gab es Schlägereien zwischen beiden Lagern.

Genau so war Jena Mitte der 1990er-Jahre: eine gespaltene Stadt, in der die einen Position bezogen und die anderen sich wie die drei Affen verhielten, sprich: nicht darüber redeten, einfach weghörten oder die Augen verschlossen. Letzteres kann man verstehen, weil viele damals als Verlierer der Wende erst einmal mit sich selbst zu tun hatten; darunter 16.000 stolze Zeissianer, denen man ihren Job gestohlen hatte. Andererseits strömten neue Menschen aus dem Westen in unsere Stadt, darunter auch Ausländer, die zum „Aufschwung Ost“ beitragen wollten. Ob als fliegende Zigarettenhändler mit einseitigem „Golden American“-Angebot oder eben als Betreiber eines Asia- oder Döner-Imbisses.

AFP PLakat Schwarz-Rot Gold ist bunt genugMir selbst passierte es 1994, dass mir eine Rektorin ins Gesicht sagte, „Wir wollen das Experiment mal wagen, Ihre Tochter als Westkind in die Klasse zu integrieren. Leicht wird das nicht.“ – Für mich war meine Fassungslosigkeit über so viel „Integrationswille“ Grund, später in Lobeda Vorsitzender eines Schulfördervereins zu werden. Mitten in diesem Vakuum zwischen Umorientierung, Perspektivlosigkeit und Ellenbogengesellschaft, zwischen neuen Freiheiten, sozialem Brennstoff und Wegsehen, entwickelte sich Jena mit zu einer Brutstätte der rechten Szene und – das darf man niemals vergessen – ein ganzer Stadtteil Jenas wurde von den Rechten einfach so zur „national-befreiten Zone“ erklärt.

Man sagt unserer Stadt ja oft nach, dass man hier alles besser und gründlicher machen würde als sonstwo. Ist es daher Zufall oder ursächlicher Zusammenhang, dass – obwohl es damals auch Lichtenhagen, Hoyerswerda oder Solingen gab, sowie verschiedene bundesweit Opfer von rechtsextremer Gewalt – genau aus Jena die schlimmste rechtsradikale Terrorgruppe Deutschlands kam, nebst vielen ihrer Unterstützer? Wenn man sich darüber hinaus anhört, was 2016 die neuen rechten Hetzer der Alternative für Deutschland lautstark zu skandieren haben,  welche Ängste leichtfertig-dumpf und absichtlich von Jenaern dieser Gruppierung unters „Volk“ gebracht werden (dies alles in einer der sichersten Städte Deutschlands) und wer den neuen Hetzern zujubelt, weiß man, dass sich die rechtsradikale Historie Jenas nicht „einfach so“ erledigen kann und wird. Nicht ohne Grund wählte der bereits erwähnte Professorensohn aus unserer Stadt einen ganz besonderen Satz der Trickfilmfigur Paulchen Panther als Drohung für das Ende des ebenso zynisch wie menschenverachtenden „NSU“-Bekennervideos: „Heute ist nicht alle Tage. Ich komm’ wieder, keine Frage.“

In diesem Sinne

Ihr

Rainer Sauer





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