Im TLZ-Interview wirbt Thomas L. Kemmerich für eine Verwaltungs- statt einer Gebietsreform (Teil 1)
Thomas L. Kemmerich, Landesvorsitzender der FDP, hält eine Gebietsreform in Thüringen für überflüssig. Im Interview mit der Thüringischen Landeszeitung (TLZ) spricht er über Konzepte der Liberalen für eine Verwaltungsreform und blickt auf die Bundestagswahl im kommenden Jahr voraus. Lesen Sie hier Teil 1 des langen Interviews, das
Sie sind sicher ein heißer Verfechter der Gebietsreform?
In keiner Weise. Thüringen braucht fast alles, aber keine Gebietsreform. Insbesondere nicht in der geplanten Couleur der aktuellen Landesregierung.
Was braucht Thüringen?
Eine Verwaltungsstruktur, die der Modernität im Bereich E-Gouvernement-Bereich Rechnung trägt.
Überrascht Sie, dass viele Wirtschaftsvertreter sich positiv über eine Gebietsreform äußern?
Ja und Nein. Wir Liberalen stellen den Lebensentwurf eines Jeden in den Vordergrund. Dieses Leitbild haben wir auch bei der Gebietsreform. Die Menschen sollen in eigener Selbstbestimmung in ihrer Gemeinde darüber entscheiden können, in welcher Gebietskörperschaft sie leben und von welcher sie sich verwalten lassen wollen. Insofern lehnen wir geplante Zwangsheiraten auf Gebietsebene ab.
Aber es braucht doch Veränderungen?
Natürlich. Wir sehen, dass es im Verwaltungsapparat, der über alle Ebenen weit über 100 000 Menschen in Thüringen umfasst, so nicht weitergehen kann. Das ist ineffektiv und geht zu Lasten der Zukunftsfähigkeit der kommunalen Strukturen.
Sie stellen ja dennoch auf Freiwilligkeit ab. Die CDU hat das so ähnlich favorisiert. Ihr wird seit jeher vorgeworfen, damit einen Flickenteppich in Thüringen produziert zu haben.
Gehen wir mal weg von der Gebietsreform. Da kann alles so bleiben, wie es derzeit ist. Was wichtig ist, den Prozess machen derzeit viele Firmen auch durch, dass im Back-Office Synergien gefunden werden. Es braucht eine Aufgabenkritik. In Thüringen sind das allein 123 Aufgaben, die vom Land auf die Kreise und kreisfreien Städte übertragen worden sind. Darunter sind teilweise völlig irrsinnige Dinge, die in kleineren Städten oder Kreisen nicht zu lösen sind. Die Lösung heißt jedenfalls nicht, zwei Halblahme zusammenzuführen und dann am Ende einen ganz Lahmen zu haben.
Was muss passieren?
Thüringen ist so groß, dass man viele Aufgaben, die jetzt von Kreisen und kreisfreien Städten erledigt werden, in einer Struktur zusammenführen könnte. Die zentralen Aufgaben muss man sich genau anschauen. Die Umweltämter sind dafür ein Beispiel. Die hat die CDU-Regierung damals auf die Kommunen runtergebrochen, was ich bis heute für eine Fehlentscheidung halte. Aber genau diese Ämter gehören auf eine zentrale Ebene. Wer mit einem Umweltamt zu tun hat, der fährt gern dorthin, um sich die Kompetenz abzuholen. Das gilt auch für das Meldewesen. Bei Verwaltungen ziehen wir doch noch Nümmerchen und sitzen ineffektiv rum. Warum soll man denn ein Kfz nicht online ummelden können? Wenn man das alles auf modernes E-Gouvernement umstellt, können viele Aufgaben aus den unteren Ebenen weggezogen werden und es gibt mehr Möglichkeiten, vor Ort Entscheidungen zu treffen, die die Leute tatsächlich bewegen. In unseren Gemeinden verfallen die Wege und Straßen, der Mittelstand beschwert sich, dass es keine Vergaben mehr gibt.
Verwaltungsreform also unbedingt, aber Gebietsreform ist nicht notwendig?
Wir müssen nicht eine Kreisgrenze verschieben. Wenn das einer machen will, dann ist er dazu herzlich eingeladen. Aber es hat nichts mit der eigentlichen Reformnotwendigkeit in diesem Land zu tun. Deshalb war auch der Ansatz der CDU falsch, weil von ihr keine Verwaltungsreform angestoßen wurde. Eine Verwaltung hingegen reformiert sich nicht freiwillig, das geht nur mit sanftem Druck.
Kommunalminister Poppenhäger sagt immer, dass Verwaltungs-, Funktional- und Gebietsreform als Räder ineinander greifen müssen und dass das auch so geplant wird. Was muss denn nun als erstes passieren, wenn man es bis 2019 durchziehen will?
Als erstes muss die Aufgabenkritik aufs Reißbrett. Was Umweltministerin Anja Siegesmund zum Beispiel jetzt mit ihrer Megabehörde im Umweltbereich macht, ist hingegen genau der falsche Schritt. Hier werden drei Strukturen aufeinander gepappt und es wird nichts bewegt. Die zwölf Stellen, die da wegfallen sollen, sind ein Treppenwitz. Wahrscheinlich sind die gerade noch nicht einmal besetzt.
Wie viel Zeit braucht es für die Aufgabenkritik?
Ein Jahr geht sicher ins Land, denn es muss jede Verwaltung durchforstet werden. In Erfurt habe ich das in meiner Funktion als Stadtrat mal getan und gefragt, wie viele Leute das Thema Jagd- und Fischereischein betreuen. Das sind drei volle Stellen. Die drei Personen verteilen im Jahr etwas mehr als 700 dieser Scheine. Wenn ich das großzügig mal auf 250 Arbeitstage rechne, dann vergibt in Erfurt eine Person einen Schein am Tag. Das kann den ein oder anderen ausfüllen, zeigt aber die ganze Idiotie. Solche Dinge kann man auch online machen. Das wird in allen 22 anderen Kreisen ähnlich sein.
Dazu müsste man aber an einer Stelle ankommen, wo derlei Schreiben online auch ohne Unterschrift gültig sind.
Es funktioniert schon in Thüringen, aber völlig uneinheitlich.
Ist das eigentlich noch Kommunale Selbstverwaltung, wenn die Landesregierung von oben mit sanftem Druck Verwaltung in den Kommunen reformiert?
Wir müssen exakt die Aufgaben beleuchten. Die 123 sind keine der Daseinsvorsorge, sondern es handelt sich um Landesaufgaben, die delegiert wurden.
Noch mal zurück zum Fischereischein. Jetzt hat man dort drei Mitarbeiter identifiziert, die noch Zeit haben am Arbeitstag. Wie geht das weiter, was schlagen Sie vor?
Man nimmt sich aus den Kreisen diese Abteilung raus. Drei Stellen in Erfurt, vielleicht 60 in Thüringen. Wenn man das zentral organisiert, braucht man noch fünf Leute. Es werden also 55 Stellen frei, die gestrichen werden können. Damit entlasten wir langfristig die Personalhaushalte, die derzeit exorbitant steigen. Um sich langfristig aus diesen Fesseln zu befreien, braucht es Abbaupfade von 20 bis 25 Prozent beim Personal. Die Landesregierung hat den Pfad verlassen. Allerdings hatten ihn die Vorgängerregierungen auch immer nur auf dem Papier und nie ernsthaft verfolgt. Es ist nun mehr als geboten, den Prozess loszutreten. Besser heute, als gestern. Beim Verwaltungshandeln hat sich ja seit 25 Jahren auch nichts geändert. Teilweise wird dort gearbeitet wie in der Steinzeit. Viele Mitarbeiter fragen sich in den Verwaltungen, warum wir in Thüringen so rückständig sind. Man kann das alles in einer zentralen Dienstbehörde machen.
Also?
Wenn ich die Kreise auflöse und in eine Verwaltung zusammenführe, dann würde auch das funktionieren.
Heißt also, dass es die Landkreise in Ihrer Idee nur noch als emotionales Konstrukt gibt?
Exakt.
Irgendwie also doch Gebietsreform, nur ein wenig anders.
Die Kreisgrenzen bleiben ja als sinn- und identitätsstiftende Einrichtung bestehen, aber nicht als Verwaltungseinheit. Die Aufgaben der Daseinsvorsorge bleiben in Landkreis-Hand, der Rest wird in einem zentralen Thüringer Dienstleistungszimmer erledigt.
[FORTSETZUNG FOLGT]
Hinweis: Interview-Wiedergabe und Foto ganz oben veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der Mediengruppe Thüringen
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