„Freistaat 4.0 statt Bezirke 2.0“ – Ein Gastbeitrag von Thomas L. Kemmerich in der OTZ

09.05.16 • JEZT AKTUELL, POLITIK & URBANES LEBEN, START, UNSER JENA & DIE REGIONKeine Kommentare zu „Freistaat 4.0 statt Bezirke 2.0“ – Ein Gastbeitrag von Thomas L. Kemmerich in der OTZ

FDP Landesvorsitzender Thomas L. Kemmerich - Foto © OTZ Tino Zippel - Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der Mediengruppe Thüringen

FDP Landesvorsitzender Thomas L. Kemmerich – Foto © OTZ Tino Zippel – Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der Mediengruppe Thüringen

Gastbeitrag für die Ostthüringer Zeitung vom 3. Mai 2016: Der Thüringer FDP-Landesvorsitzende Thomas L. Kemmerich erklärt den liberalen Ansatz für eine faire, bürgernahe und selbstbestimmte Kommunal- und Verwaltungsstruktur ­in Thüringen.

Thüringen braucht fast alles – aber keine Gebietsreform. Die Freien Demokraten sind der Überzeugung, dass keine neue Gebietsreform, sondern allein eine dynamische Kommunal- und Verwaltungsreform die strukturelle Zukunft Thüringens nachhaltig gestalten kann. Die Einsparpotenziale liegen in erster Linie in einer Verwaltungsreform: Die Bündelung der Aufgaben macht eine effektive Aufgabenerfüllung möglich und strafft gleichzeitig den Verwaltungsapparat. Thüringen ist nicht zu groß, so dass man viele Aufgaben, die bisher von den Kreisen und kreisfreien Städten erledigt werden, in einer Struktur zusammenführen könnte. Die zentralen Aufgaben muss man sich genau anschauen.

Update für Thüringen - Logo Kommunal- und Verwaltungsreform - Grafik © Freie Demokraten

Kommunale Freiheit stärken

Die FDP fordert für den Freistaat einerseits eine effektive Landesverwaltung, andererseits sollen die Entscheidungen möglichst nah bei dem Bürger vor Ort bleiben. Nur wenn es gelingt, die politischen Entscheidungen im Sinne der regionalen Identität vor Ort zu belassen und zugleich die Verwaltungsstrukturen effizienter und großräumiger zu gestalten, kann eine belastbare Struktur entstehen.

Die kommunale Selbstverwaltung ist für die FDP ein nicht verhandelbares Gut. Eine zentralistische Gebietsreform vom Erfurter Reißbrett aus ist kontraproduktiv. Thüringer Gemeinden sollen eigenständig über kommunale Strukturen entscheiden und diese ohne Zustimmung des Innenministers und der Landesregierung beschließen können. Damit wird der Begriff der Kommunalen Selbstverwaltung wortwörtlich genommen und kommunale Freiheit sowie Vielfalt gelebt. Die Menschen sollen in ihrer Gemeinde darüber entscheiden können, in welcher Gebietskörperschaft sie leben und von welcher sie sich verwalten lassen wollen. Geplante Zwangsehen auf Gebietsebene werden abgelehnt.

FDP Freistaat 4.0 DisplayTeaser

 

Digitalisierung als Chance für moderne Verwaltung

Für die Thüringer Freien Demokraten ist das estnische Modell beispielgebend für eine erfolgreiche Digitalisierungsstrategie der öffentlichen Verwaltung. Warum sollte es nicht wie in Estland möglich sein, online Pässe zu beantragen, die Steuererklärung abzugeben, ein Gewerbe anzumelden oder sogar online Parkgebühren zu bezahlen? Bürokratieabbau und eine papierschlanke Verwaltung müssen das Ziel in der Zukunft sein. Es müssen so viele Verwaltungsdienstleistungen wie möglich komplett online angeboten werden.

Was muss wo entschieden werden?

Die Politik muss sich fragen, welche Aufgaben Verwaltungen zu leisten haben und wie sie diese leisten soll. Verwaltungen in Thüringen werden nicht nur vom Bürger finanziert, sondern sind auch sein Dienstleister. Sich als solcher zu verstehen und trotzdem effizient die Anliegen der Bürger rasch zu prüfen, zu bearbeiten und zu bescheiden, ist kein Widerspruch: Es ist die Aufgabe der Verwaltungen. In Thüringen sind das allein 123 Aufgaben, die vom Land auf die Kreise und kreisfreien Städte übertragen worden sind.

Derzeit erledigen die Kommunen, also Städte, Gemeinden und Kreise, neben originären Aufgaben der kommunalen Selbstverwaltung, diese 123 Aufgaben (dazu zählen unter anderen Lotteriewesen, Umwelthygiene, Ernährungssicherstellung, Gefahrstoffverordnung, Jagdbehörde und Heilpraktikerwesen) für den Freistaat mit und müssen hierfür entsprechend teure Kapazitäten bereitstellen, die die Kommunen belasten. Darunter sind teilweise völlig irrsinnige Dinge, die in kleineren Städten oder Kreisen nicht zu lösen sind.

Die Lösung heißt jedenfalls nicht, zwei Halblahme zusammenzuführen und dann am Ende einen ganz Lahmen zu haben. Eine vom Bürger akzeptierte und genutzte Verwaltung könnte heute für ihn unabhängig vom Wohnort nur einen Mausklick entfernt sein.

FDP Alternativlos

Verwaltung reformieren. Kommunen entlasten

Bei einer Vielzahl der Verwaltungsaufgaben handelt es sich um Angelegenheiten, bei denen überhaupt keine Mitbestimmung durch die Vertreter der örtlichen Selbstverwaltung angezeigt ist. Vor allem, weil sie unter Gleichheitsgesichtspunkten für alle Bürger gleich zu vollziehen sind.

Diese Aufgaben aus der Kommunalverwaltung herauszulösen, beim Land zu bündeln, den Verwaltungsvollzug schlank zu organisieren und die Kommunen und Kreise zu entlasten, birgt das eigentliche finanzielle Einsparpotenzial – für beide Seiten. Denn Verwaltungsaufgaben teilen sich bereits heute in Entscheidungen, die individuelle Sach- und Vor-Ort-Kenntnisse verlangen (wie Bauanträge), und nah am Bürger belassen werden sollten, sowie in Entscheidungen, die einen binären Entscheidungshorizont besitzen (etwa Kfz-Angelegenheiten, Einwohnermeldeamt, Gewerbeanmeldung), also nach Aktenlage getroffen werden.

Auch Aufgaben, die hochspezifisches Fachwissen erfordern (Veterinärmedizin, Umweltamt, Gesundheitsamt), sind durch Kommunen und Kreise oft kaum abzusichern. Gerade binäre Entscheidungslagen oder nötiges hochspezifisches Fachwissen bieten erhebliche Möglichkeiten, die Thüringer Verwaltungen raumgreifend zu organisieren, weiter zu spezialisieren und Einsparungen sowie Effizienzgewinne zu realisieren. Für uns Freidemokraten ist nicht wirklich entscheidend, wo eine Verwaltungsentscheidung getroffen wird, sondern ob die Anträge fehlerfrei, rasch und im Interesse des Bürgers bearbeitet werden.

Deswegen hat die so geplante Gebietsreform auch keinen Nutzen für die Stadt Gera, weil es die Probleme der Stadt in keinster Weise lösen kann. Die fiktive Grenze von 100 000 Einwohnern wirkt willkürlich. Bevor also die Landespolitik blindlings eine Reform startet, die zurecht den Widerstand der Bürger auf den Plan ruft, sollte die Politik zuerst der Thüringer Verwaltung ein Update verpassen. Dass es geht, haben andere Länder gezeigt. Nur wer offen ist für Veränderung, kann die Zukunft selbst gestalten. Wir Freien Demokraten wollen dabei unseren Beitrag leisten.

JEZT - OTZ Gastbeitrag von Thomas L. Kemmerich vom 03. Mai 2016 - Abbildung © MediaPool Jena - Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der Mediengruppe Thüringen

Biographisches zu Thomas L. Kemmerich

Thomas Karl Leonard Kemmerich, geboren am 20. Februar 1965 in Aachen, war von 2009 bis 2014 Mitglied des Thüringer Landtags. Seit Mai 2015 ist er Beisitzer im FDP-Bundesvorstand und seit November 2015 Landesvorsitzender der FDP Thüringen. Seit Ende 2006 ist Kemmerich Thüringer Landesvorsitzender der FDP-nahen Vereinigung Liberaler Mittelstand, der er seit November 2011 auch als Bundesvorsitzender vorsteht.

Kemmerich studierte Rechtswissenschaften in Bonn und schloss 1989 mit dem Ersten Staatsexamen ab. Parallel absolvierte er eine kaufmännische Lehre im Groß- und Einzelhandel, die er 1987 abschloss.

Mit der Wende kam Kemmerich 1989 nach Erfurt und gründete sein erstes Unternehmen im Januar 1990. Seit 2000 ist er Vorstandsvorsitzender der Friseur Masson AG (heute masson®Friseure). Der Erfurter Stadtrat ist verheiratet und Vater von sechs Kindern.

Hinweis: Artikel veröffentlicht in der OTZ vom 03. Mai 2016. Wiedergabe und Foto ganz oben veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der Mediengruppe Thüringen.





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