„Wer zwei Mal hinschaut, der sieht besser“: Neurowissenschaftler der Universität Jena veröffentlichen Sonderausgabe des Fachjournals Cortex

30.07.16 • INFOS FÜR STUDIERENDE, JEZT AKTUELL, NEWSCONTAINER, START, UNSER JENA, WISSENSCHAFT, MEDIZIN & TECHNIKKeine Kommentare zu „Wer zwei Mal hinschaut, der sieht besser“: Neurowissenschaftler der Universität Jena veröffentlichen Sonderausgabe des Fachjournals Cortex

JEZT - In einem Labor am Institut für Psychologie der Universität Jena wird eine Probandin für ein Experiment vorbereitet - Foto © FSU Kasper

In einem Labor am Institut für Psychologie der Universität Jena wird eine Probandin für ein Experiment vorbereitet. Dabei werden der Testperson Fotos von Durchschnittsgesichtern gezeigt.- Foto © FSU Jan-Peter Kasper

Uni Hochschul KachelDer vielzitierte zweite Blick kommt häufig dann zum Einsatz, wenn Dinge genau überprüft und unter die Lupe genommen werden sollen. Neurologisch gesehen ist er meist der weniger aufwendige und effizientere. Davon sind Neurowissenschaftler überzeugt – spätestens seitdem sie das Phänomen der „Repetition Suppression“ (übersetzt etwa „unterdrückende Wiederholung“) kennen. „Betrachtet man zweimal die gleiche Sache, etwa ein Gesicht, dann ist die neuronale Aktivität während der Wiederholung messbar geringer als während des ersten Blicks“, erklärt Prof. Dr. Gyula Kovács von der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU). „Das Gehirn scheint hier Ressourcen schonen zu wollen und greift deshalb auf Erfahrungswerte zurück“, sagt der Neurowissenschaftler.

Eine jetzt erschienene Sonderausgabe „Repetition Suppression – an integrative view“ des Fachjournals Cortex, die Kovács gemeinsam mit seinem Jenaer FSU-Kollegen Prof. Dr. Stefan Schweinberger zusammengestellt hat, greift aktuelle Diskussionen in diesem Bereich auf. Die Publikation fasst die Inhalte einer Summer School von 2014 zusammen, während der sich internationale Experten und Jenaer Studenten intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt haben. „Dass wir die Sonderausgabe eines so renommierten Fachblattes herausgeben können, ist nicht selbstverständlich und zeigt, wie aktuell dieses Forschungsgebiet derzeit ist und die Inhalte unserer Tagung nach wie vor sind“, sagt Schweinberger.

Interessant ist das Phänomen der Repetition Suppression vor allem deshalb, weil es Wissenschaftlern genaue Informationen über die Funktionsweise des Gehirns vermittelt. So zeigt sich hier deutlich, dass es innerhalb kürzester Zeit durch äußere Einflüsse etwas lernt und sofort anwenden kann. „Wir finden hier also einen kurzfristigen plastischen Prozess im Hirn“, fasst Kovács zusammen. „Außerdem ist es ein Beispiel für sogenannte Top-Down-Prozesse im Gehirn – also Vorgänge, bei denen wir zunächst auf allgemeine Informationen zurückgreifen, um etwas Spezielles zu identifizieren.“ Prinzipiell lässt sich hier feststellen, dass visuelles Erkennen nicht auf einer Einbahnstraße verläuft. Sehen ist zwar ein serieller Ablauf: Man bekommt einen Impuls und am Ende erkennt man ein Bild. Gleichzeitig gleicht das Hirn aber auch das Gesehene mit seinem Erfahrungsschatz ab und nimmt es zudem in ihn auf. Diese kurz zuvor aufgenommene Information kann allerdings die Wahrnehmung späterer Bilder beeinflussen.

JEZT - A photo to look at twice - Image © Rebbecca Felgate

A photo to look at twice – Image © Rebbecca Felgate

Eine vieldiskutierte Theorie, die möglicherweise den erklärenden Rahmen für das Phänomen der „unterdrückenden Wiederholung“ bildet und aktuell – und damit auch in der Cortex-Sonderausgabe – kontrovers diskutiert wird, ist die des ,Predictive Coding‘. Sie setzt praktisch voraus, dass die Erfahrungswerte während des Sehens permanent genutzt werden und das Hirn Vorhersagen über alle Dinge macht, die ins Auge gefasst werden. Dieses vorgefertigte Bild wird dann mit den aktuell aufgenommenen Informationen abgeglichen und sozusagen um Details korrigiert bzw. erweitert, um das Bild zu vervollständigen. „Die Idee ist sehr reizvoll aber auch sehr provokant, da viel für aber auch einiges gegen sie spricht“, sagt der Jenaer Neurowissenschaftler Kovács, der selbst während seiner Forschungen Gegenargumente herausgearbeitet hat. Nicht zuletzt weil einer der Entwickler der Theorie, Prof. Dr. Karl Friston vom University College in London, anwesend war, wurde während der Summer School intensiv darüber gesprochen.

„Wir sind sehr froh darüber, dass es uns gelungen ist, einen solchen Expertenkreis in Jena und damit in der aktuellen Publikation zu versammeln“, sagt der Tagungsorganisator und Herausgeber Kovács. „Für uns ist das Ansporn, an dieser Stelle weiterzuarbeiten, Spezialisten und Studenten zusammenzubringen, und gleichzeitig Jena damit auf der Karte der kognitiven Neurowissenschaften noch stärker zu platzieren.“ Für das kommende Jahr plant er eine ähnliche weitere Summer School zu einem aktuellen neurowissenschaftlichen Thema.





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