Tim Schwarz beschreibt „Beate Zschäpe: Wie sie wurde, was sie heute ist“ (Teil 4)

31.07.17 • INTERESSANTES, JEZT AKTUELL, NEWSCONTAINER, START, UNSER JENAKeine Kommentare zu Tim Schwarz beschreibt „Beate Zschäpe: Wie sie wurde, was sie heute ist“ (Teil 4)

Die vielen Gesichter der Beate Z – Grafik © Ulli Hartmann

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Die Ausstellung „Die Opfer des NSU und die Aufarbeitung der Verbrechen“, die vor wenigen Wochen in Jena beim „Flutlicht-Festival“ gezeigt worden ist, wurde in den Jahren 2012 und 2013 von Birgit Mair im Auftrag des Instituts für sozialwissenschaftliche Forschung, Bildung und Beratung (ISFBB) e.V. erstell und geht auch 2017 wieder auf Tour durch die Lande – es gibt sie in mehrfacher Ausfertigung, so dass sie teilweise zeitgleich an verschiedenen Orten besucht werden kann. So ist sie in Wiesbaden ab dem 21. September 2017 zu sehen, in Schleswig ab 18. September, in Berlin ab dem 5. Oktober, in Göttingen ab 6. Oktober und in Bremen ab dem 10. Oktober 2017 sowie in Bartigheide ab 6. November und in Ludwigshafen ab dem 16. November 2017. HIER findet man weitere Infos zu „Die Opfer des NSU und die Aufarbeitung der Verbrechen“.

Um die Taten und die Opfer des „NSU“ und die Aufarbeitung der verübten Verbrechen geht es seit Mai 2013 im entsprechenden Prozess vor den 6. Strafkammer am Oberlandesgericht in München. Angeklagt sind André Em#ng#r, Holger Gerlach, Carsten Sch#ltz# und Ralf Wohlleben als Helfer bzw. Unterstützer der Terroristischen Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ sowie Beate Zschäpe als letztes überlebendes Mitglied des Terrortrios – ihre Freunde Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos verstarben im November 2011. Im Namen des „NSU“ wurden ermordet: Enver Şimşek († 11. September 2000 ), Abdurrahim Özüdoğru († 13. Juni 2001), Süleyman Taşköprü († 27. Juni 2001), Habil Kılıç († 29. August 2001), Mehmet Turgut († 25. Februar 2004), Ismail Yaşar († 9. Juni 2005), Theodoros Boulgarides († 15. Juni 2005), Mehmet Kubaşık († 4. April 2006), Halit Yozgat († 6. April 2006) und Michèle Kiesewetter († 25. April 2007). Es wurden zwei Dutzend Opfer teilweise sehr schwert verletzt bei drei Sprengstoffanschlägen des „NSU“, mehrere Personen u.a. durch Schusswunden bei den 16 Überfällen auf Geldinstitute und einen Supermarkt, die der „NSU“ zwischen 1998 und 2011 verübt hat. Unter den Taten sind neun rassistisch motivierte Morde an Geschäftsleuten oder Einzelhandelsmitarbeitern mit ausländischem Hintergrund.

Ihre Vita im Untergrund (II): Beate Zschäpe sprach selten vor Gericht, ließ Einlassungen überwiegend durch ihre Anwälte verlesen. Gemeinsamer Tenor: Mundlos und Böhnhardt waren für alle Taten allein verantwortlich, sie habe hiermit absolut nichts zu tun. Und doch wirft ihr die Bundesanwaltschaft Beate Zschäpe vor, bis zum Schluss hinter den Zielen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ – begründet hat dies Bundesanwältin Anette Greger u.a. damit, dass Zschäpe die letzte gemeinsame Wohnung in Zwickau „allein zum Zwecke der Beweisvernichtung“ in Brand gesetzt habe. Greger sagte auch, Zschäpe habe nach dem Tod ihrer beiden Freunde die Möglichkeit gehabt, einen Schlussstrich zu ziehen. Stattdessen sei es ihr darauf angekommen, die Opfer des „NSU“ zu „verhöhnen“, indem sie auf ihrer anschließenden Flucht quer durch Deutschland möglichst viele Exemplare der DVD mit dem Bekennervideo des „NSU“, mit „Bildern der Ermordeten in ihrem Blut“ mit der Post verschickt hatte. Dass Zschäpe hierzu angegeben hatte, sie habe angenommen, auf dem Video sei das Bekenntnis zu den Raubüberfällen des „NSU“, nannte die Oberstaatsanwältin „absurd“.

Bereits im Jahre 2002 wusste Zschäpe nach eigener Angabe von insgesamt vier Morden und einem Sprengstoffanschlag. Damals wohnte das Trio bereits mehr als ein Jahr in der Zwickauer Innenstadt in eine größere Wohnung im Erdgeschoss eines Eckhauses. Angemietet worden war sie von einem Helfer des „NSU“ mit Nachnamen Dienelt; Zschäpe hatte sich Nachbarn gegenüber als Lisa Dienelt und Schwester des Hauptmieters ausgegeben. Während die beiden Männer Überfälle und Morde verübten, war es Beate Zschäpe die auf Fragen neugieriger Nachbarn zu Böhnhardt und Mundlos antwortete, erklärte die beiden wären in der Computer- oder Handelsbranche immer lange unterwegs und durch regelmäßigen Kontakt mit Menschen aus dem Umfeld der Wohnung die bürgerliche Fassade wahren und dafür sorgen konnte, dass es keinerlei Verdacht gegenüber dem Trio gab. Sie machte Einkäufe, Behördengänge und schaute – drei Monate vor dem geplanten Doppelmord des „NSU“ in Heilbronn, bei dem die Polizistin Michèle Kiesewetter ihr Leben verlor und deren Kollege schwer verletzt wurde – sogar einmal bei der Polizei vorbei. Ein Routinebesuch aus Sicht der Polizeibeamten, denn in der Wohnung über der des „NSU“ in der Zwickauer Polenzstraße war es zu einem erheblichen Wasserschaden gekommen und die Mieter der geschädigten Wohnung sollten eine Aussage machen.

Als Polizisten an der Wohnungstür der geschädigten Erdgeschosswohnung klingelten, öffnete eine Frau, die erklärte, die heiße Susann Em#ng#r (dies ist der Name des im München mitangeklagten Helfers André Em#ng#r) und versorge hier nur die Katzen eines Bekannten. Die Beamten wollten sich daraufhin den Wasserschaden anschauen, aber die Frau ließ beide nicht die Wohnung betreten. Die beiden Zwickauer Beamten ahnten ganz offensichtlich nicht, vor welcher Wohnungstür sie damals standen: der „NSU“ hatte zu diesem Zeitpunkt bereits neun Menschen ermordet. Der Hauptmieter sei auf Montage, sagte die Frau, aber dessen Schwester sei bald zurück. Daher bestellten man die Schwester im Januar 2007 in die Zwickauer Polizeidirektion zur Vernehmung. Es kam jedoch nicht Lisa Dienelt sondern Susann Em#ng#r, was jedoch keinem der zu den mutwilligen Wasserschaden ermittelnden Polizeibeamten auffiel. Knapp 20 Minuten lang befragen sie die weibliche Zeugin, die sich im Gespräch aber in Widersprüche verstrickte und laut Protokoll mehrfach von „unserer Wohnung“ sprach, obwohl sie zuvor erklärt hatte, in der Polenzstraße gar nicht zu wohnen. Keiner der Beamten wurde misstrauisch, die Ermittler gehen jedoch inzwischen davon aus, dass die vernommene Zeugin in Wahrheit Beate Zschäpe war, denn das von ihr angegebene Geburtsdatum stimmte nicht und die Signatur auf dem Vernehmungsprotokoll weicht erheblich von der echten Unterschrift Susann Em#ng#rs ab. Noch verräterischer war die Telefonnummer, welche die Zeugin damals der Polizei für eventuelle Rückfragen nannte: diese konnte später einem Handy zugeordnet werden, das von Beate Zschäpe genutzt worden war.

Dieses Beispiel zeigt, wie sehr Beate Zschäpe in für den „NSU“ brenzligen Situationen ihr Trio schützte. Und ganz so unselbständig oder wenig selbstbewusst, wie Zschäpe sich nach eigener prozessualer Aussage innerhalb der Terrortrios darstellte, scheint sie in Wirklichkeit nicht gewesen zu sein – eine Einschätzung der Bundesanwaltschaft, die sich zudem auf verschiedenste Zeugenaussagen stützen kann. Der Vorfall vom Januar 2007 zeige eindrücklich – so das Plädoyer der Bundesanwaltschaft – Beate Zschäpes Einfluss darauf, wie die Taten des „NSU“ so viele Jahre lang unentdeckt bleiben konnten.

Fortsetzung folgt in Teil 5!

 





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