„Tanzende“ Elektronen „schlendern“ um den Atomkern: Jenaer Physiker berechneten die Verzögerung der emittierten Elektronen
Atome setzen Elektronen frei, wenn ein Material mit Licht ausreichend hoher Frequenz bestrahlt wird. Bisher gingen Forscher davon aus, dass die Bewegung dieser Photoelektronen durch die Materialeigenschaften bestimmt ist. Physiker aus Bielefeld zeigen in einer gemeinsamen Studie mit internationalen Fachkollegen – darunter auch aus Jena -, dass es auch auf das Zusammenspiel der Elektronen im Inneren des Atoms ankommt: „Tanzende“ Elektronen umkreisen dabei den Atomkern und brauchen länger als andere Elektronen, die geradeaus herausschießen. Dieser Verzögerungseffekt ist jetzt erstmals in einem Festkörper nachgewiesen worden. Ihre Ergebnisse haben die Forscher im Wissenschaftsmagazin „Science“ veröffentlicht.
Albert Einstein erhielt seinen Nobelpreis für die Erklärung des photoelektrischen Effekts: Licht überträgt Energie auf Elektronen in Form von Energiepaketen, den sogenannten Lichtquanten oder Photonen. Bei ausreichend hoher Energie des Lichtquants kann das Elektron das Material verlassen, was als „Photoeffekt“ bezeichnet wird. Bei niedrigen Photonenenergien, d. h. Frequenzen im sichtbaren oder ultravioletten Bereich, bildet dieser Effekt zum Beispiel die Grundlage für die Stromerzeugung durch Solarzellen. Er ist in vielen weiteren technischen Anwendungen von grundlegender Bedeutung. Für ihre aktuelle Studie zur Elektronen-Emission in Festkörpern haben die Forscher eine Art Wettrennen zwischen Elektronen mit unterschiedlichen Startbedingungen durchgeführt. Das Team um die Bielefelder Physiker Prof. Dr. Walter Pfeiffer und Prof. Dr. Ulrich Heinzmann nutzte dafür die zeitaufgelöste Laserspektroskopie. Dabei werden ultrakurze Lichtimpulse auf einen Halbleiterkristall geschossen. Dies startet das „Elektronen-Wettrennen“. Mit einem sehr intensiven zweiten Lichtimpuls wird die Zeit genommen und bestimmt, in welcher Reihenfolge die ausgelösten Elektronen das Material verlassen.
Diese Laserexperimente brachten ein unerwartetes Ergebnis: „Eigentlich schnellere Elektronen kommen als letzte an“, sagt Pfeiffer. „Das liegt daran, dass sie sich zunächst noch in einer Umlaufbahn um den Atomkern befinden, bevor sie sich auf den Weg zur Materialoberfläche machen und austreten. Elektronen, die um den Atomkern herum tanzen, verlieren somit das Rennen.“ Andere Elektronen fliegen laut Pfeiffer geradeaus aus dem Atom. „Das ist vergleichbar mit einer Rakete, die geradeaus ins All geschossen wird und nicht erst die Erde umkreist.“ Weil das eigentlich langsamere Elektron den direkten Weg nimmt, gewinnt es das Rennen. Der Jenaer Physiker Prof. Dr. Stephan Fritzsche (Theoretisch-Physikalisches Institut der Uni Jena und Helmholtz-Institut Jena) hat bei der Modellierung dieser Experimente seine Expertise zur detaillierten Berechnungen der Phasen und Zeitverzögerungen der emittierten Elektronen mit verschiedenen Bahndrehimpulsen eingebracht. „Diese Berechnungen zeigten eine Verzögerung der Elektronen mit hohen Drehimpulsen, obwohl diese schwächer gebunden sind und auf Kreisbahnen um den Kern verlaufen“, erläutert Fritzsche. Erst die Kombination dieser Berechnungen mit Simulationen zum Verhalten der Elektronen im Festkörper und an dessen Oberfläche ergab eine konsistente theoretische Vorhersage, die sich mit dem Experiment vergleichen ließ.
Nach ihren nun veröffentlichten Beobachtungen, so das Fazit der Forscher, müssen bisherige theoretische Annahmen zur Beschreibung des Photoeffektes geändert werden. Demnach sei in neuen theoretischen Modellen der Photoemission aus Festkörpern zu berücksichtigen, wie die Elektronen im Atom, das die Photoelektronen ausstößt, zusammenspielen.
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