Streit um neuen Akrützel-Chef eskaliert: „Stura vs. Stura“ und was die Pressefreiheit damit zu tun hat
(red) – Das Sprichwort „wes Brot ich ess, des Lied ich sing“, ist allgemein bekannt und drückt aus, man müsse Interessen, Standpunkt oder Ansichten desjenigen vertreten, von dem man wirtschaftlich abhängig ist. Der Niederländer bringt das noch treffender auf den Punkt, wenn er sagt „wiens brood men eet, diens woord men spreekt“ (= „wessen Brot man isst, dessen Wort man spricht„). Genau um diesen Punkt geht es derzeit in Jena beim Streit um den designierten Chefredakteur der Zeitung Akrützel, der vor 39 Jahren gegründeten Studentenzeitschrift, die zu den auflagenstärksten und ältesten Studierendenzeitungen in Deutschland gehören soll.
Das was beim Akrützel schon immer eine reine Formsache war (= die Redaktion wählt aus ihren Reihen einen neuen Chefredakteur und der Studierendenrat der FSU / Stura bestätigt den Kandidaten) wurde in diesem Sommer zum ersten Mal verletzt. Es geht um Julian Hoffmann, Student der Politikwissenschaften, der das uneingeschränkte Vertrauen der Redaktion genießt und doch am 18.09.2018 überraschend bei einer Stura-Sitzung gescheitert ist und dies „krachend“: Sechs Mitglieder stimmten gegen ihn, zwei enthielten sich der Stimme, keiner war für ihn.
Die Gründe hierfür könnten darin liegen, dass Hoffmann im Mai während einer Stura-Sitzung eine unangekündigte Tonaufnahme gemacht hatte, über die er heute sagt, dass dies ein großer Fehler gewesen sei und: „Ich habe mich sofort dafür schriftlich und mündlich entschuldigt.“ Aber, so vermutet es die Akrützel-Redaktion, auch etwas ganz Anderes könnte in die Ablehnung mit eingeflossen sein. So bestehe der Verdacht, dass dem Stura Hoffmanns teilweise kritische Berichterstattung über den Stura nicht zusage. Ärger habe es u.a. über einen Kommentar des 22-Jährigen zu einem Imagevideo für den Stura gegeben, dessen Qualität der Student der Politikwissenschaften mit den Worten „Unprofessionell und ohne jegliche Kreativität.“ angezweifelt hatte.
Was war danach geschehen: Julian Hoffmann sollte am 01.10.2018 Chefredakteur und damit Nachfolger von Charlotte Wolff werden. Dafür ließ es sich für zwei Semester beurlauben. Doch obwohl Hoffmann der einzige Bewerber war, ließ ihn der Studierendenrat der FSU als Akrützel-Herausgeber durchfallen. Und, konsequent wie eine solche Entscheidung nun mal ist, schrieb der Stura zugleich die Stelle abermals aus mit Fristende am 17.10.2018. Und erneut heißt der einzige Kandidat Julian Hoffmann. Wird der Jenaer Stura nun „wes Brot ich ess, des Lied ich sing“ durchsetzen und damit die Pressefreiheit beschädigen?
Akrützel-Mitbegründer Bernd Zeller, heute ein anerkannter Zeichner und Satiriker ist, plauderte gegenüber dem Akrützel sozusagen aus dem Nähkästchen und erklärte: „Die Gründung einer unabhängigen Studentenzeitung war zur Wendezeit eine zentrale Forderung, wegen Demokratie, wem das noch was sagt.“ Das Akrützel gebe es nicht, „damit der Stura ein paar Leuten, die was mit Medien machen wollen, die Selbstverwirklichung bezahlt, sondern weil ein Kommunikationsmedium ein Ausdruck und Garant des Pluralismus ist“, so Zeller in dem Gespräch.
Ärgerlich scheint im Zusammenhang auch, dass sich der Stura der FSU mit dem Stura der Ernst-Abbe-Hochschule (EAH) offenbar nicht auf ein einvernehmliches Verfahren einigen kann. Mit den Worten „Der/die Chefredakteur*In des Akrützels ist ein Arbeitnehmer des Studierendenrates der FSU Jena. Aus rechtlichen Gründen kann eine Wahl ausschließlich durch den Studierendenrat der FSU Jena erfolgen“ versucht der Stura-Vorstand der FSU die Situation zu erklären, dass man den Stura der EAH nicht an der Entscheidung beteiligen möchte – dies obwohl mehr als ein Drittel des Akrützel-Etats von 10.200 Euro von der EAH aufgebracht werden.
Gestern Abend tagte der Stura der FSU Jena erneut zum Thema, ein weiteres Mal verweigerte man Julian Hoffmann das Vertrauen und verhinderte seine Arbeit als Chefredakteur. Heißt: die Redaktion arbeitet weiter ohne Chefverantwortlichen und die Studierendenzeitung Akrützel steht damit wohl an einem Scheideweg.
Hintergrund: Akrützel gibt es seit mehr als 25 Jahren. Die Akrützel-Redaktion besteht aus etwa 20 Studenten, die ehrenamtlich arbeiten, sowie einem hauptamtlichen Chefredakteur. Das Akrützel erscheint jeden zweiten Donnerstag in der Vorlesungszeit in einer Auflage von 4500 Exemplaren.
Die Druckkosten der Zeitung werden von den Studierendenräten der beiden Jenaer Hochschulen als ihren Herausgebern finanziert. Die Redaktion kann durch ein Statut inhaltlich unabhängig von ihren Herausgebern arbeiten.
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