Offener Brief zur Wagenburg: „Sehr geehrte Stadträte, machen Sie den Wagenbürgern keine falschen Hoffnungen“

20.12.18 • JEZT AKTUELL, KULTUR & BILDUNG, NEWSCONTAINER, POLITIK & URBANES LEBEN, START, UNSER JENAKommentare deaktiviert für Offener Brief zur Wagenburg: „Sehr geehrte Stadträte, machen Sie den Wagenbürgern keine falschen Hoffnungen“

Wagenburg / Wagenplatz der Rad-Aue in Löbstedt. – Foto © MediaPool Jena

(red) – In Jena wächst in der Bevölkerung Unmut über die Stadtratsentscheidung, zehn Wagenbürgern durch einen B-Plan die Möglichkeit zu eröffnen, in Löbstedt inmitten eines Landschaftsschutzgebietes eine Bleibemöglichkeit zu schaffen. Neben der Sinnhaftigkeit der Priviligierung einer absoluten Minderheit der Jenaer Bevölkerung macht sich der Ärger in Leserbriefen an die Ostthüringer Zeitung und die Thüringische Landeszeitung sowie Radio Jena auch über das nach Thüringer Kommunalordnung vorgeschriebene, hier jedoch versäumte, Einbinden des Ortsteilrats Löbstedt durch die Einreicher (= DIE LINKE., SPD und Bündnis’90/Grüne) Luft.

Darüber hinaus muss Jenas Oberbürgermeister Dr. Thomas Nitzsche den Stadtratsbeschluss generell beanstanden, wie er gestern gegenüber der Presse sagte. Denn der am vorigen Donnerstag beschlossene Ratsantrag beauftragt ihn, im Nachhinein die Rechtmäßigkeit „fliegender Bauten“ auf dem seit Monaten illegal genutzten Wagenburg-Standort zu prüfen. „Wenn von vornherein klar ist, dass dieser Bebauungsplan gar nicht zustande kommen kann“, erklärte Nitzsche gestern, dann müsse er beanstandet werden. Und: das Stadtoberhaupt berief für Dienstag, den 08. Januar 2019, eine Sondersitzung des Stadtrates ein, die dem Rat Gelegenheit geben solle, sich zu korrigieren.

Es folgt der offene Brief eines Ortschaftsratsmitglied aus Löbstedt:


Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Stadträte,

mich haben eine Reihe wütender Löbstedter und Jenaer angerufen. Offensichtlich ist beabsichtigt, mit aller Macht ein Weiterbestehen der Wagenburg zu erreichen. Recht und Gesetz scheinen bei alternativen Wohnformen keine Rolle mehr zu spielen. Es wird nach immer neuen Schlupflöchern gesucht. Diesmal also ein B-Plan für fliegende Bauten zum Wohnen im Landschaftsschutzgebiet. Das ist unvereinbar mit §75 ThürBO. Diese Feststellung wird durch das Landesverwaltungsamt unterstützt. Weshalb also ein offensichtlich gesetzwidriger Stadtratsbeschluss? Sie sollten Stadträte für alle Bürger sein. Das gesamte Vorgehen der Stadtratsmehrheit ist eine Beleidigung für die nicht-alternativen und gesetztreuen Bürger.

Bei Bürgern und Firmen in Jena (die schon Millionen Euro Steuern an die Stadt gezahlt haben) werden Recht und Gesetz durchgesetzt. Warum eigentlich nicht auch bei den Wagenbürgern?

Bei der Einladung der CDU-Fraktion waren 50% der Anwesenden Wagenbürger, 25% Sympathisanten und der Rest interessierte Bürger. Das verfälscht natürlich Ihre Wahrnehmung der Akzeptanz der Wagenburg in Löbstedt. Fakt ist: Der Ortsteilrat Löbstedt hat sich gegen die Wagenburg ausgesprochen. Einzelne Stadträte behaupten allerdings gegenteiliges. Wir Bürger hatten seinerzeit eine Unterschriftensammlung gegen die Wagenburg begonnen, nach den Aussagen des neuen OB wieder beendet. Wir können gern einen eigenen Einwohnerantrag in die Wege leiten, um den Stadtrat zu bewegen, noch einmal umzudenken.

Wie ökologisch ist die Wagenburg … im Landschaftsschutzgebiet mit nicht genehmigungsfähigen Feuerstätten, in den ersten Monaten völlig ohne Toiletten? Ist sie eine sozio-kulturelle Bereicherung Löbstedts? Bisher gab es noch nicht eine einzige Einladung zu Kulturveranstaltungen an die Löbstedter und die Beteiligung an der 800-Jahrfeier unseres Ortsteils war 1 (in Worten ein) Blechkuchen sowie das Verteilen politischer Flugblätter.

Auffälligerweise stehen in der Lokalzeitung immer dann pro-Wagenburg Artikel und Leserbriefe, wenn es ernst wird mit einer Räumung. Dann kommt die Macht der Medien ins Spiel. Bedenken sollte man, dass die Wagenbürger 0,009 bis 0,018 Prozent der Bevölkerung repräsentieren (10 bis 20 Menschen, genaue Bewohnerzahlen sind ja unbekannt) – zugegebenermaßen eine extrem lautstarke Gruppe – aber diese Gruppe hat den / die Steuerzahler mindestens 15.000 Euro für die Alternativ-Standortsuche gekostet.

Abschließend noch eine Information: ich bin Jenenser, habe mit 19 meine erste Wohnung besetzt, bin also alternativen Wohnformen sehr zugetan. Freunde von mir haben alternative Wohnprojekte gegründet, andere Freunde sind beim Mietsyndikat. Doch die Wagenburg steht für mich so extrem neben Recht und Ordnung, das sie eine Zumutung für alle alternativen Wohnformen ist. Vorschläge für Alternativ-Standorte durch mich wurden durch die Wagenbürger nicht zur Kenntnis genommen.

Offenbar ist einigen Stadträten nicht klar, welche Auswirkungen Stadtratsbeschlüsse haben können. Halten Sie sich bitte an Recht und Gesetz! Sie sind Vorbild für die Bürger der Stadt! Machen Sie den Wagenbürgern keine falschen Hoffnungen.

Ich zitiere abschließend Prof. Schäfer aus Göttingen der bereits 2000 feststellte: „Jena floriert, nicht wegen, sondern trotz der Stadtverwaltung.“

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Matthias Bachmann

Unternehmer und Einwohner in Löbstedt
Mitglied des Ortsteilrats


Hinweis: HIER findet man den Offenen Brief von Dr. Matthias Bachmann als PDF-Datei.





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