Trauer um eine große Wissenschaftlerin: Die FSU gedenkt ihrer am Montag verstorbenen Professorin Dr. Amélie Mummendey
(FSU) – Die Friedrich-Schiller-Universität Jena trauert um Prof. Dr. Amélie Mummendey. Sie verstarb am 17. Dezember 2018 nach kurzer schwerer Krankheit im Alter von 74 Jahren in Jena. Mit ihr hat uns eine Wissenschaftlerin verlassen, die weltweit höchstes Ansehen genoss. In ihren zahlreichen Ehrenämtern machte sie sich in herausragender Weise um die Wissenschaft und insbesondere um die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses verdient.
Geboren in Bonn, studierte sie an der dortigen Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Psychologie. Sie wurde 1970 an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz promoviert und habilitierte sich 1974 an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster, wo sie 1980 auf die Professur für Sozialpsychologie berufen wurde.
Amélie Mummendey hat erst in Münster (1980-1996) und dann in Jena (1997-2011) Arbeitsgruppen zum Thema Beziehungen zwischen sozialen Gruppen aufgebaut und geleitet. Sie hat viele ihrer Studierenden, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für dieses Thema begeistert. Sie führte insbesondere die Arbeitsgruppe in Jena zu einem weltweit anerkannten Zentrum für Gruppenforschung. Amélie Mummendey untersuchte, wie Menschen sich unter gemeinsamen Vorstellungen und Idealen zu einer Gruppe vereinigen und von anderen Gruppen unterscheiden, wie ein Dissens zwischen den beteiligten Gruppen zu Konflikten und zu gegenseitiger Ergänzung führen können. Sie interessierte sich im Besonderen dafür, unter welchen Bedingungen Unterschiede zwischen Gruppen für die Beteiligten relevant werden und wann diese Unterschiede toleriert und wertgeschätzt oder abgelehnt und bekämpft werden. Soziale Diskriminierung und die Frage, wann und warum Gruppenmitglieder sich ausdrücklich negativ anderen Gruppen gegenüber verhalten sowie wie dies vermieden werden kann, war eines ihrer wesentlichen Forschungsanliegen. Damit stellte sie sich den großen Fragen, sowohl ihrer Wissenschaft als auch des gesellschaftlichen Zusammenlebens.
Dabei versuchte sie spezifische Alltagsbeobachtungen auf allgemeinere Prinzipien zurückzuführen sowie Erklärungen zu formulieren, durch die diese Beobachtungen umfassend verständlich gemacht werden können. Ihr Herangehen zeichnete sich insbesondere durch kritisches Infragestellen bestehender Annahmen („könnte es nicht auch ganz anders sein“) und kritische empirische Prüfungen ihrer Überlegungen aus. Sie wurde nicht müde, auch die Relevanz von grundlegenden theoretischen Modellen, der eigenen und der von anderen, zu hinterfragen. Dabei schenkte sie immer auch kleinsten Details ihrer Forschung Aufmerksamkeit, ohne jemals den Blick für die größeren Zusammenhänge zu verlieren. Amélie Mummendey hatte eine breite Perspektive, die weit über die Sozialpsychologie und Psychologie hinaus in andere Disziplinen reichte. Amélie Mummendey begeisterte und motivierte ihre Mitarbeitenden durch hohe eigene Motivation, ihr universelles Interesse und eigene Unermüdlichkeit.
Ihre Studierenden, ihre Kolleginnen und Kollegen fanden immer ein offenes Ohr und grundlegende intellektuelle Unterstützung bei ihr. Amélie Mummendey nahm in Diskussionen ihre Person und ihre theoretische Position zurück und förderte Sachorientierung sowie theoretischen und methodischen Pluralismus. Es zählte die Qualität der Argumente und die Qualität von Studien, nicht die Frage, wer diese in die Forschung einbrachte. Sie förderte generell den Blick auf die Qualität, im Gegensatz zu Quantität von Forschung und Veröffentlichung.
Amélie Mummendey erhielt die höchsten wissenschaftlichen Auszeichnungen ihrer internationalen Fach-Community und war eine ihrer einflussreichsten Vertreterinnen. Mit den jährlichen Jena Workshops on Intergroup Relations hat sie ein ganz eigenes Tagungsformat von weltweiter Berühmtheit geschaffen und zugleich eine Brücke zwischen europäischer und amerikanischer Sozialpsychologie geschlagen. Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie hat ihr 2016 den Preis für große Verdienste um die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses verliehen. Tatsächlich hinterlässt Amélie Mummendey eine ungewöhnlich große Zahl von Schülerinnen und Schülern, die mittlerweile selbst wichtige Professuren im In- und Ausland innehaben. Der Geist und der Inhalt von Amélie Mummendeys Forschung werden hier weitergetragen.
Höchste Anerkennung hat Amélie Mummendey auch durch ihr ehramtliches Engagement im Dienste der Wissenschaft erhalten. Durch ihre langjährige Expertise war sie eine überaus gefragte und sehr geschätzte Ratgeberin für wissenschaftliche Einrichtungen und Organisationen. So war sie Mitglied des Universitätsrates der Friedrich-Schiller-Universität Jena und des Hochschulrates der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Vorsitzende des Stiftungsrats der Einstein-Stiftung Berlin, Mitglied des Senats der Leibniz-Gemeinschaft, Mitglied des Wissenschaftsrats und Vorsitzende der wissenschaftlichen Kommission des Wissenschaftsrates, Mitglied des Science Advisory Board der Europäischen Wissenschaftsstiftung, Mitglied im Nominierungsausschuss für das Gottfried Wilhelm Leibniz-Programm der DFG sowie Mitglied im Evaluationsbeirat der Alexander von Humboldt-Stiftung.
Im Jahre 2015 wurde Amélie Mummendey das Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Sie war Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina und der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt.
Ihre ganz besondere Leidenschaft galt der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Amélie Mummendey war Sprecherin eines sehr erfolgreichen Internationalen Graduiertenkollegs der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Sie gründete die Jenaer Graduierten-Akademie, welche sie als erste Prorektorin der Friedrich-Schiller-Universität Jena leitete. Des Weiteren war sie Gründungsmitglied und stellvertretende Vorsitzende des Universitätsverbandes zur Qualifizierung des wissenschaftlichen Nachwuchses in Deutschland (UniWiND), Mitglied des Steering Committee des EUA Council for Doctoral Education, der Auswahl- und Evaluationskommission der International Max Planck Research Schools und des wissenschaftlichen Beirats des Bundesberichts Wissenschaftlicher Nachwuchs (BuWiN).
Mit tiefem Dank und großem Respekt gedenken wir Amélie Mummendey als einer hochgeschätzten Forscherin, akademische Lehrerin und Wegbereiterin zahlreicher wissenschaftlicher Karrieren. Ihre bedingungslose Orientierung an der Qualität wissenschaftlicher Arbeit sowie ihre stets gelebte kritische Distanz zu den Ergebnissen eigener Forschung sind uns Verpflichtung und Ansporn für die Zukunft.
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