Die überformte Diktaturerinnerung: Historiker der FSU Jena koordiniert neuen Forschungsverbund zur DDR-Geschichte
(Stephan Laudien) – Das Bild der zweiten deutschen Diktatur in Medien und Öffentlichkeit und die Erinnerungen der Menschen aus der DDR gehen weit auseinander. In der Öffentlichkeit wird der Diktaturcharakter der DDR betont, im privaten Raum die damaligen Alltagserfahrungen zunehmend verharmlost. Ein Forschungsverbund aus Thüringen soll nun diesen Zwiespalt untersuchen. Das Bundesforschungsministerium hat das Vorhaben zur Förderung ausgewählt und beabsichtigt dafür gut vier Millionen Euro bereitzustellen, die Forschung beginnt 2019.
„Unser Ziel ist es, eine Erfahrungsgeschichte der späten DDR und der Transformationszeit zu schreiben“, sagt Prof. Dr. Jörg Ganzenmüller von der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU). Der Historiker koordiniert den Forschungsverbund Diktaturerfahrung und Transformation. Biografische Verarbeitungen und gesellschaftliche Repräsentationen in Ostdeutschland seit den 1970er Jahren. Bei dem Projekt kooperieren die Universitäten Jena und Erfurt, die Stiftung Ettersberg und die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora.
Jörg Ganzenmüller konstatiert, dass viele Menschen die Erfahrungen der Transformationszeit nach der Friedlichen Revolution als Krise wahrgenommen haben. Diese Umbruchserfahrung präge den heutigen Blick auf die DDR, die Kritik an den damaligen Verhältnissen wurde zunehmend von einer Kritik am Einigungsprozess abgelöst. Deshalb nehmen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Zeit von 1970 bis 2010 in den Blick.
Ein wichtiges Mittel der Arbeit sollen Zeitzeugen-Interviews sein, anknüpfend an die Arbeiten Lutz Niethammers, die 1991 als Die volkseigene Erfahrung publiziert wurden. Niethammers Team war in der DDR-Provinz unterwegs und befragte die Menschen nach ihren Erfahrungen. Seitdem hat es kein so groß angelegtes Oral-History-Projekt mehr gegeben. Nun soll es wieder biographische Interviews geben: mit ehemaligen Funktionären genauso wie Angepassten und Widerständlern. Die Wissenschaftler streben dabei eine große gesellschaftliche und generationelle Breite an.
In einem zweiten Schritt wollen die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen des Forschungsverbundes die gesellschaftlichen Repräsentationen vor allem Denkmale, Fotografien, Literatur und Kunstwerke analysieren. Dabei soll die Frage geklärt werden, welches öffentliche Bild von der DDR seit dem Mauerfall gepflegt wird und wie historische Urteile über die DDR entstehen.
Die Forschung zu diesen Fragen werde keineswegs im akademischen Studierstübchen laufen, sagt Prof. Ganzenmüller: „Wir wollen die Ergebnisse unserer Forschung kontinuierlich in die Öffentlichkeit bringen.“ Heißt konkret, während der vier Jahre Projektarbeit soll es Vorträge, Lesungen, Ausstellungen und öffentliche Diskussionen geben. Es sei ein erklärtes Ziel, mit vielen Menschen ins Gespräch zu kommen, sagt Jörg Ganzenmüller. Der Historiker, der an der Universität Jena lehrt und zugleich Vorstandsvorsitzender der Stiftung Ettersberg ist, sieht den Part der Wissensvermittlung als eine gemeinsame Aufgabe mit den beiden beteiligten Stiftungen an. An Expertise mangele es dafür nicht.
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