„Plastinate gehören in unsere Mitte!“ – Anatom Gunther von Hagens wehrt sich gegen Vorwürfe, seine Art der Körperkonservierung verhöhne die Wissenschaft
(JEZT / STERN) – Die „Körperwelten“-Show von Plastinator Gunther von Hagens verhöhne die Wissenschaft, schrieb STERN-Autorin Silke Müller vor Kurzem, als der Berliner Senat von Hagens es verwehrte, seine „Körperwelten“ am Berliner Alexanderplatz ausstellen. Noch vor einem Dutzend Jahren war das anders und von Hagens stellte Monatelang im Postbahnhof am Berliner Ostbahnhof aus. Damals begeisterte die Ausstellung zehntausende Menschen für Anatomie und unvergängliche Körper. Nun wehrte sich der Mann, der 1965 bis 1968 an der FSU in Jena Medizin und Anatomie studierte, im STERN in einem Gastkommentar gegen die Vorwürfe.
Frau Müller würde in ihrem Kommentar hart mit ihm ins Gericht gehen, sagt der Anatom. Sie werfe ihm vor, er würde die Wissenschaft verhöhnen und nur „die Sensationslust bedienen“. Das führe aber, so von Hagens, zur Frage, wer denn eigentlich das Recht hat, den Menschen ihre Selbstbestimmung zu nehmen? Sowohl den Körperspendern als auch den besuchern der Ausstellung. „Niemand wird gezwungen, sich die Ausstellung anzusehen“, so Gunther von Hagens im STERN
Im Gegenteil, meint er in seinem Gastkommentar: Man wisse aus Umfragen, dass ein Besuch in den bisherigen „Körperwelten“-Ausstellungen stets eine bewusste Entscheidung der Besucher war. Eine Entscheidung für „diesen tiefen und einzigartigen Einblick in den menschlichen Körper. Eine Entscheidung aus Interesse an der Schöpfung und an der Natur, an den unglaublichen Geheimnissen des Körpers und an seinen faszinierenden Details“, schreibt von Hagens. Und weiter (Zitat):
„Um diese Eindrücke zu erlangen, reicht es nicht aus, eindimensionale Zeichnungen schematisch dargestellter Körper zu betrachten. Das reizt nicht, das begeistert nicht, das ist nicht authentisch. Wirklich fassbar sind nur Körper, die auch gelebt haben, in lebensnahen Posen. (…) Das hat nichts Voyeuristisches, wie mir Silke Müller vorzuwerfen scheint, sondern bildet vielmehr die Realität des Lebens ab. Wir machen die Anatomie erlebbar und demokratisieren sie. Dass sich dagegen Widerstand aus dem Elfenbeinturm regt, ist nachvollziehbar. Ich plädiere nur für einen fairen Umgang miteinander.“
Es stimme, so der Anatom: Er und sein Team mache durch die Plastination von Organen „Körper unvergänglich – und viele Menschen reizt das.“ Fast 1.500 Verstorbene und 13.000 Lebende hatten und hätten den Wunsch, sich einmal plastinieren zu lassen. Und es werden immer mehr. Hiervon profitierten vor allem die Besucher seiner Ausstellungen; dies sei längst durch wissenschaftlich gestützte Umfragen belegt, denn nach dem Besuch der Körperwelten rauchen die Besucher weniger, trinken zurückhaltender und treiben mehr Sport: „Und alle, die es nicht interessiert, besuchen die Ausstellung nicht.“
Wenn der Bezirk Mitte von Berlin dies nun verhindern wolle, sei das nicht nur ein tiefer – und nach von Hagens Meinung unzulässiger – Einschnitt in die Wissenschaftsfreiheit. Nein, so der Anatom und Ausstellungschef, dies sei auch eine vertane Chance, den Menschen das Wunder des Lebens näher zu bringen und damit den Respekt vor dem eigenen Körper und vor den Mitmenschen zu stärken. Sein Abschluss-Statement: „Die Körper gehören nicht abgeschoben an den Rand der Gesellschaft oder der Stadt, nur weil sie plastiniert wurden – sie gehören zu uns, in unsere Mitte!“
Über Gunther von Hagens: Am 10. Januar 1945 in Alt-Skalden bei Kalisch im Wartheland als Gunther Gerhard Liebchen geboren studierte er in unserer Stadt ab 1965 an der Friedrich-Schiller-Universität Medizin. Nachdem er aber 1968 gegen die gewaltsame Niederschlagung des Prager Frühlings demonstriert und zudem einen Fluchtversuch unternommen hatte, wurde von Hagens inhaftiert und 1970 als politischer Gefangener von der Bundesrepublik freigekauft.
1975 studierte er in Heidelberg zu Ende und promovierte mit einer Dissertation zum Thema „Die Wirkung der intravenösen Narkotika“. 2009 kehrte er für einen Vortrag zum Thema „Plastination und Körperwelten: Spannungsfeld zwischen Ethik, Aufklärung und Wissenschaft“ an die Saalestadt als den Ort seines Studiums und seiner ersten Ausbildung zurück. Gunther von Hagens (er nahm nach der Heirat den Nachnamen seiner ersten Ehefrau Cornelia an) wollte nach eigenem Verständnis, so sagte es Prof. Dr. Dr. Christoph Redies, Anatom von der FSU, „die Anatomie demokratisieren und dafür einen Tabubruch (begehen), indem er Körper öffentlich ausstellt“.
Aber gerade dieses Zur-Schau-Stellen fasziniert und faszinierte weltweit die Massen; knapp 30 Millionen Besucher haben nach Angaben der Veranstalter bisher von Hagens Körperwelten-Ausstellungen gesehen.Die sehr kontroversen Diskussionen über die ausgestellten Körper, ihre Herkunft, ihre Präsentation als Kunstobjekte, das mögliche Überschreiten ethischer Normen und vieles mehr, beschäftigte aus religiösen wie ethischen Gründen oft Öffentlichkeit und Medien.
2006 erwarb von Hagens in Guben die Gebäude einer ehemaligen Fabrik und begründete dort die Firma „Plastinate GmbH“. Hier wurden seit November 2006 von zeitweise bis zu Zweihundert Beschäftigten Plastinate hergestellt, in einer hierzu passenden Ausstellung („Plastinarium“) wurden die Geschichte der Anatomie und Plastination sowie eine Schauwerkstatt vorgestellt. Nachdem bei ihm jedoch eine schwere Erkrankung (idiopathisches „Parkinson-Syndrom“) festgestellt worden war, schloss er Ende 2008 die Firma und öffnete im Mai 2010 auf den Firmengelände ein „Anatomisches Kompetenzzentrum“.
Danach zog er sich weitestgehend aus der Öffentlichkeit zurück, denn „die Diagnose hat mich in einen Zustand existentieller Ratlosigkeit versetzt“, wie er seinerzeit der Süddeutschen Zeitung berichtete. Im gleichen Interview verriet Gunther von Hagens auch, dass er, nachdem ihm sein Krankeitsbild bekannt gegeben worden sei, zeitweilig in eine tiefe Depression gefallen war, aus der er sich nur langsam wieder habe befreien können.
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