Der 141. bis 145. Verhandlungstag im Münchner “NSU”-Prozess
Zusammengestellt von Annett Szabo-Bohr:
22.09.2014 = Der 141. Verhandlungstag
An diesem Verhandlungstag gab es Einblicke in die Gedankenwelt von Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. Gerade bei Mundlos und Böhnhardt versucht das Oberlandesgericht in München Klarheit in die „NSU“-Mordserie an neun Migranten zu bringen, die von den beiden Männern des „NSU“ aus purem Hass ermordet worden sein sollen. Hierzu sagte ein 37-jähriger Zeuge aus, der in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung gemeinsam mit Uwe Böhnhardt eine Art mentaler Verwahrlosung erlebte. Ebenso wie das Terror-Trio lebte Thomas B. in einem Jenaer Plattenbauviertel und hatte sich dort, in Winzerla, einer – nach eigener Aussage – „trinkenden“, „prügelnden“ und „autoknackenden“ Jugendgang angeschlossen, die in engem Kontakt zu einer ähnlichen Gruppe in Neu-Lobeda stand. „Wenn ich nachts nach Lobeda gegangen bin und sah ein Auto, das mir gefiel, habe ich es genommen – fertig“, sagte der Zeuge vor dem OLG München aus.
Kriminalität, Alkohol, Ausländer- und Linkenhass sowie Gewalt waren die bestimmenden Faktoren im Leben dieser Jugendlichen und sie standen am 141. Verhandlungstag vor allem anderen im Fokus. Einer der Kumpel von Thomas B. war damals Uwe Böhnhardt und die Zeit, Anfang der 1990er Jahre hat Böhnhardt, wie es scheint, auf fatale Weise geprägt – und er wiederum seine Freunde. So sagte der Zeuge aus, er habe damals in der Jugendclique „Angst vor Böhnhardt“ gehabt. Dieser sei zwar „ein ziemlich lustiger Typ“ gewesen, jedoch „gefährlich in seiner Art, wenn er wirklich sauer geworden ist“, wie Thomas B. aussagte. So habe Bönhardt immer dann, wenn ihm etwas nicht passte, „zugeschlagen“ und „rumgebrüllt“. Der Zeuge sagt, er selbst habe sich zuletzt von Böhnhardt mit der Zeit „ziemlich weit abgesondert“, weil dieser als rechter Skinhead auftrat. „Das mit Rechts“ sei ihm, so der Zeuge, aber nicht bedeutend gewesen, denn „Autos und Mopeds“ wären ihm damals wichtiger erschienen.
Eine weitere Figur aus der Jenaer Clique um Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe sei Enrico T. gewesen, sagte der Zeuge anschließend (= T. soll verdächtig sein, an der Beschaffung der Mordwaffe Ceska 83). Damals bereits sei ihm Enrico T. „merkwürdig“ vorgekommen, sagte Thomas B aus, denn bei ihm habe bei ihm Waffen „herumliegen“ sehen, „Revolver auf einem Tisch, zwei oder drei Stück“. das wollte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl etwas genauer wissen, allerdings wurde der Zeuge danach immer wortkarger. Ob er etwas über Enrico T. und dessen Umgang mit Kindes wisse, fragte Götzl später, denn T. hatte vor einiger Zeit gegenüber der Polizei im Fall des 1993 ermordeten Jungen Bernd Beckmann den Verdacht auf Uwe Böhnhardt gelenkt, war aber damals deshalb selbst ins Visier der Kriminalpolizei geraten. Doch dazu konnte oder wollte der Zeuge nichts sagen.
Er berichtete aber davon, dass er selbst nicht „hart genug“ für die Clique gewesen sei. Oft habe man ihn „zusammengedroschen ohne Ende“. Als er bei einem illegalen Autorennen im Alter von 15 Jahren einen Schädelbasisbruch und ein Hirntrauma erlitten, habe – dies sei 1992 gewesen, sagte der Zeuge – habe ihn die Polizei beschützen müssen, als er im Krankenhaus lag, denn Mitglieder der beiden Jugendgangs um Böhnhardt und Mundlos befürchteten offenbar, er könnte auspacken. Seine Familie habe deshalb herum erzählt, er sei an den Folgen des Unfalls gestorben. „Das war eine schwierige Zeit“, von deren Folgen er sich, nach eigener Aussage bis heute nicht erholt hat, sagte der Zeuge aus Jena.
23.09.2014 = Der 142. Verhandlungstag
Zwei Themenkomplexe beschäftigten am 142. Prozesstag das Gericht: Zuerst die Brandstiftung in der letzten Wohnung des „NSU“-Trios in der Frühlingsstraße in Zwickau, dann der erneute Auftritt des Thüringer Neonazis Tino Brandt. Bezüglich des Wohnungsbrands vom 04.11.2011 war die Aussage eines Polizisten bedeutend, denn diese warf die Frage auf, ob Beate Zschäpe nicht hierdurch vom Anklagevorwurf des versuchten Mordes in dieser Sache entlastet wurde.
Der Zwickauer Polizeibeamte war der erste, der die inzwischen 93-jährige Dame, die direkt neben der „NSU“-Wohnung lebte, über den 04.11.2011 befragte. Und Frau E. habe ihm berichtet, wie er sagte, dass es gegen 14 Uhr oder kurz danach bei ihr geklingelt habe. Da sie gehbehindert war, hätte es rund vier Minuten gedauert, so der Zeuge, bis die Seniorin an der Tür angekommen sei und durch den Spion habe schauen können. Vor der Wohnungstür habe jedoch niemand gestanden. Danach habe die Dame nach eigener Aussage die Gegensprechanlage betätigt, doch es habe sich niemand gemeldet. Daraufhin sei sie zurück in die Küche gegangen, anschließend habe Frau E. Qualm wahrgenommen, sagte der Polizeibeamte vor Gericht aus.
Daraufhin habe die betagte Seniorin das Fenster geöffnet, um Durchzug herzustellen. Auf der Straße habe ihre Nichte, die schräg gegenüber wohnte, ihr dann zugerufen: „Es brennt!“ Anschließend sei sie mit Hilfe eines Bauarbeiters, der die Haustür eingetreten hatte, von der Nichte ins Freie geführt worden. Als Zeuge hatte dieser Mann bereits vor Gericht ausgesagt, er habe an allen Wohnungen geklingelt, um Personen, die sich eventuell noch im Haus aufhielten, zu warnen. War es also Zschäpe, die bei Frau E. geklingelt hatte oder der Bauarbeiter? Leider hatte der Beamte die Dame nicht danach gefragt, ob zwei mal geklingelt worden sei. Die Frage ist natürlich auch: Wie verlässlich ist die zeitliche Einordnung der Dame? Das Feuer in der „NSU“-Wohnung brach gegen 15 Uhr aus. Weshalb sagte die alte Dame, es habe gegen 14 Uhr geklingelt? Hat sie sich bei ihrer Zeitangabe möglicherweise um eine Stunde vertan, weil eine knappe Woche zuvor (= 30. Oktober 2011) die Sommerzeit zu Ende gegangen war und die Uhren wieder um eine Stunde vorgestellt wurden?
Aber die Bundesanwaltschaft erklärte auch, dass sofern es Zschäpe gewesen sei, die geklingelt hatte unklar bleibe, was diese mit dem Klingeln habe bezwecken wollen. Wenn sie wirklich hätte warnen wollen, so der Bundesanwalt, wäre es ein erkennbar untauglicher Versuch gewesen, denn weshalb hätte die ahnungslose alte Frau ein anonymes Klingeln als Warnsignal verstehen sollen? Habe aber Zschäpe tatsächlich geklingelt und es sollte eine Warnung sein, wären damit alle noch bestehenden Zweifel beseitigt, dass Beate Zschäpe die Verursacherin des Feuers war, so die Anklagebehörde vor Gericht.
Dann wurde Tino Brandt vernommen, dessen Vernehmung auch noch am nächsten Verhandlungstag fortgesetzt wurde.
24.09.2014 = Der 143. Verhandlungstag
Erneut nutzte Tino Brandt seine zwei Auftritte vor Gericht, um vollmundig darüber zu berichten, wie er Geld vom Staat für seine Spitzeldienste zur Finanzierung rechter Interessen und Gruppierungen nutzte. Über 150.000 DM soll der langjährige V-Mann des rechten Thüringer Verfassungsschutzes als Entlohnung für seine Informationen erhalten haben – bis zu seiner Enttarnung. „Ich habe denen geliefert, was die hören wollten“, sagte er und fügte lächelnd an, Brisantes sei nicht dabei gewesen und für ihn habe sich „die Sache gelohnt“, denn für die Straftaten des von ihm geleiteten „Thüringer Heimatschutzes“ hätten sich seine V-Mann-Führer „nicht interessiert“.
Was er denn genau mit dem vielen Geld gemacht habe, wollten einige Nebenklägeranwälte wissen. Der größte Teil sei in die politische Arbeit des Heimatschutzes geflossen, sagte Brandt aus, und zwar für Flugblätter und Schulungen, mit denen junge Rechte „auf Vordermann“ gebracht wurden. Er persönlich habe mit dem Geld einem seiner Kameraden „aus der Patsche“ geholfen, „immer dann, wenn er seine Geldstrafen nicht bezahlen konnte“. Und dann habe er sich auch „lieb Kind“ machen wollen, bei der NPD, habe viele Neuwerbungen durchgeführt, und wenn jemand seine Mitgliedsbeiträge nicht habe bezahlen können, dann habe er eben ausgeholfen – mit dem Geld vom Verfassungsschutz, so Brandt vor Gericht.
30.09.2014 = Der 144. Verhandlungstag
Am 144. Tag des „NSU“-Prozesses in München komplettierte ein ehemaliger V-Mann-Führer von Tino Brandt als Zeuge das Bild des V-Mannes „Otto“. Der Zeuge, Reiner B., erklärte gleich zu Anfang, dass Brandt „rechtsextrem durch und durch“ gewesen war und wohl auch heute noch ist. Gleichwohl hatte B. damals das Gefühl, dass „wir“ – und damit meinte er den Thüringer Staatsschutz – ihn „im Griff hatten“. In aller Regel, so der Zeuge, habe er Brandt ein- bis zweimal die Woche getroffen, Telefonkontakt war fast ständig möglich. Nach den Treffen im Zeitraum von Mitte 1994 bis Mitte 1998 wurden Hunderte Vermerke angelegt.
Ob man Brandt auch von Seiten des Verfassungschutzes vor polizeilichen Durchsuchungen gewarnt habe, wollte Richter Manfred Götzl von dem Zeugen wissen und dessen Antwort war unzweideutig: „Ja“. Natürlich habe man die Quelle an der Spitze des Thüringer Heimatschutzes vor Durchsuchungen gewarnt, aber „nicht konkret“, wie der Beamte erklärte. Zitat Reiner B.: „Ich habe gesagt, falls in Kürze jemand bei ihm vorbeischaut, dann er möge doch bitte kein Propagandamaterial herumliege haben.“
Während Nebenklägeranwälte dem Zeugen Vorwürfe machten, er habe indirekt die Arbeit des Thüringischen Heimatschutzes befördert und auch die Festnahme des Terror-Trios verhindert, hielt die Verteidigung von Beate Zschäpe weiterhin daran fest, Tino Brandt sei jemand, der „in seiner leicht narzisstischen Rolle eigentlich alle belogen“ habe. Deshalb sei er „absolut unglaubwürdig“ und für die Tatvorwürfe gegen Beate Zschäpe „substanzlos“.
01.10.2014 = Der 145. Verhandlungstag
Der 145. Verhandlungstag litt ein wenig unter einer schnell fortschreitenden Erkältung des Vorsitzenden Richters. Als Zeuge befragt wurde dieses mal der andere Mitarbeiter des Thüringer Verfassungsschutzes, der die Quelle „Otto“ alias Tino Brandt nach dem Zeugen vom Vortag führte. Norbert W., so sein Name, konnte er sich jedoch an die Treffen mit dem Neonazi Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre nicht mehr genau erinnern. Dem ehemaligen V-Mann-Führer hielt das Gericht deshalb mehrere Vermerke vor, die er selbst nach Treffen mit Tino Brandt angefertigt hatte. Darüber wie und unter welchen Umständen die Vermerke zustande kamen und woher Brandt seine Informationen über das abgetauchte Neonazi-Trio Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe hatte, konnte Norbert W. im Oktober 2014 nur noch spekulieren. „Herr Vorsitzender“, appellierte er an Richter Manfred Götzl, „genauer kann ich es nicht sagen“.
In seinen Vermerken berichtete Norbert W. jedoch damals, dass sich das untergetauchte Trio Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe nach Südafrika absetzen wolle und dass es auch Überlegungen gegeben hätte, sich mit Hilfe eines Szeneanwalts den Behörden zu stellen. Detailfragen dazu konnte der Zeuge aber nicht beantworten. Manfred Götzls Stimme war zu diesem Zeitpunkt allerdings schon so lädiert, dass derVorsitzende Richter kaum noch zu hören war. Noch vor der Mittagspause gab Götzl schließlich auf und beendete die Verhandlung. Außerdem sagte er den für den 02.10.2014 angesetzten Verhandlungstag ab.
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