Bausoldaten, Totalverweigerer und die Wehrerziehung: An der FSU startet ein neues Forschungsprojekt zur Diskriminierung von Christen in der DDR
(Katja Bär) – Vom Kriegsspielzeug in der Kinderkrippe, über Wehrkundeunterricht und paramilitärische Wettkämpfe in der Schule, bis zu den „Kampfgruppen der Arbeiterklasse“ – schon von Kindesbeinen an kamen die Bürgerinnen und Bürger der DDR mit der staatlichen Wehrpolitik in Kontakt.
„Sich zu entziehen, war kaum möglich“, sagt Prof. Dr. Christopher Spehr von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. „Wer sich gegen den allgegenwärtigen Militarismus wandte, lief Gefahr, Diskriminierung auf rechtlicher oder sozialer, berufs- und bildungsbiographischer Ebene zu erleiden.“ Insbesondere Christen, die aufgrund ihrer pazifistischen Einstellung den Dienst an der Waffe verweigerten, seien davon betroffen gewesen, so der Kirchenhistoriker weiter.
Am Beispiel der sogenannten Bausoldaten, der Totalverweigerer und jenen Jugendlichen, die sich der Wehrerziehung widersetzten, wollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Friedrich-Schiller-Universität Jena die staatlichen Unterdrückungsmechanismen und Repressionsmaßnahmen in den 1960er Jahren in der DDR näher untersuchen. Dafür erhält das vierköpfige Projektteam um Prof. Spehr rund 600.000 Euro Fördermittel von der Thüringischen Aufbaubank. Die Ergebnisse sollen nicht nur wissenschaftlich dokumentiert und in einer Fachtagung diskutiert, sondern auch in einem interaktiven Web-Atlas für die Öffentlichkeit zugängig gemacht werden. Neben Archivmaterial werden auch Interviews mit Zeitzeugen als Quellen herangezogen.
Das Projekt wird zunächst die ersten Jahrgänge der Bausoldaten (1964-1970) und die Entstehungsgeschichte dieses waffenlosen Wehrdienstes erforschen. Unter den Totalverweigerern wollen die Forschenden die Schicksale von Christen aufarbeiten, die bis zur Einführung des Bausoldatentums im September 1964 den Wehrdienst, danach auch den waffenlosen Bausoldatendienst ablehnten und dafür bisweilen Gefängnisstrafen auf sich nahmen. Schließlich soll die Ausgrenzung von christlichen Jugendlichen im Rahmen der militärischen Vorausbildung in den 1960er Jahren, die 1968 in der Einführung des obligatorischen ein- bis zweiwöchigen paramilitärischen Lehrgangs gipfelte, speziell für den Thüringer Raum analysiert und interpretiert werden.
„Wir wollen auch untersuchen, in welcher Weise die Wehrerziehung selbst zur Verweigerungshaltung führte“, sagt Projektleiter Spehr. „Das Projekt widmet sich letztlich nicht nur den staatlichen Mechanismen der Repression, sondern nimmt auch individuelle Schicksale und Bildungsbiographien in den Blick.“ Spehr plant das auf drei Jahre angelegte Projekt, das innerhalb der Profillinie „Liberty“ der Friedrich-Schiller-Universität beheimatet ist, als Ansatz für einen noch größeren Wurf: „Das Initialprojekt dient der Gründung eines interdisziplinären ‚Zentrums für Zeitgeschichte des Christentums‘ an der Theologischen Fakultät der Universität Jena. Hier wollen wir in einem Forschungsnetzwerk insbesondere die ostdeutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts in ihren regionalen, nationalen, europäischen und globalen Bezügen erforschen.“
Hintergrund: Prof. Dr. Christopher Spehr ist seit 2011 Professor für Kirchengeschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Neben Reformationsgeschichte zählen insbesondere die Zeitgeschichte der Kirchen und die Geschichte der Christen in den beiden deutschen Diktaturen zu seinen Forschungsschwerpunkten.
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