Der 146. bis 150. Verhandlungstag im Münchner “NSU”-Prozess

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JEZT - INSIDE NSU - Teaser

Zusammengestellt von Tim Schwarz (= 149. und 150. Tag) und Annett Szabo-Bohr:

07.10.2014 = Der 146. Verhandlungstag

Der 146. Verhandlungstag brachte erneut den Zeugen Thomas R. vor Gericht. Dessen Erinnerungslücken waren aber seit der letzten Vernehmung in München eher größer geworden. Mit Sätzen wie „Das ist zu lange her.“ oder „Ich weiß das alles nicht mehr.“ beantwortete er Fragen des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl zu der Tatsache, dass Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos (beide †) sowie die Hauptangeklagte Beate Zschäpe nach ihrem Untertauchen im Januar 1998 kurz bei Thomas R. in Chemnitz gewohnt hatten.

Er habe schon gewusst, dass „die Drei gesucht werden“, erklärte R. nun im Zeugenstand und begründete dies mit einem Bericht im Fernsehen. Und es ist richtig, sagte er, dass er sich damals auch mit dem Trio darüber unterhalten habe, was ihnen vorgeworfen wurde. Ob mit allen Dreien (also auch mit Zschäpe) und über was konkret, das wusste allerdings R. nicht mehr. Immer wieder bohrte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl nach, stieß aber bei R. auf Beton.

Was denn sonst noch in der Wohnung passiert sei, wollte das Gericht von Thomas R. wissen. Man habe über Allgemeines gesprochen, sagte R. aus. „Mundlos hat mich auch gefragt, wie es mir so geht. Ich war damals arbeitslos gewesen“, erinnerte er sich. „Ging es Ihnen da nicht gut?“, fragte Zschäpe Verteidigerin Anja Sturm. Thomas R. reagierte verdutzt: „Wenn man arbeitslos ist, geht es einem doch noch lange nicht schlecht.“ Außerdem, so R., haben man viel Karten gespielt, damals.

08.10.2014 / 09.10.2014 = Der 147. und 148. Verhandlungstag

An Tag 148 und 147 sagte u.a. ein Schweizer Staatsanwalt vor Gericht aus, dass der Schweizer Staatsbürger Anton G. bei ihm zu Protokoll gegeben habe, er habe in den 1990er Jahren seinen Waffenerwerbsschein an einen Landsmann, Hans-Ulrich M., verkauft. Dies ist von großer Bedeutung, da mit diesem Waffenerwerbsschein jene Pistole des Typs Ceska 83 erowrben worden war, mit der später in Deutschland neun Migranten getötet wurden.

Da weder Hans-Ulrich M, noch Anton G, bereit waren, in München vor Gericht auszusagen, musste das OLG mit dem Vorsitzenden Richter Manfred Götzl damit Vorlieb nehmen, dass die seinerzeit in der Schweiz ermittelnden Staatsanwälte ihre Ergebnisse zu Protikoll geben. Danach hatte M. von Anfang an den Plan, mit dem Erwerbsschein von G. Waffen zu kaufen und sie dann in die Bundesrepublik weiterzuverkaufen. So hatte es G. in seinen staatsanwaltschaftlichen Vernehmungen in der Schweiz erklärt.

Sicher ist nun auch: Die Pistole wurde 1993 von Tschechien in die Schweiz exportiert. Dort verkaufte die Firma Luxik die Waffe im April 1996 an die Firma Schläfli & Zbinden. Von ihr wurde sie mit Anton G.s Waffenerwerbsschein von Hans-Ulrich M. gekauft. Geliefert wurde sie gleichwoh an G., der erklärt habe, dass sie ihm in einem Paket zugestellt worden sei, welches er ungeöffnet an M. weitergegeben habe. Hans-Ulrich M. wiederum habe, so der Staatsanwalt, in den neunziger Jahren u.a. auch in Thüringen gelebt und dort unter anderem einen Jugendfreund des späteren „NSU“-Terroristen Uwe Böhnhardt kennengelernt, wobei die Anklagebehörde im „NSU“-Prozess davon ausgeht, dass Uwe Böhnhardt über diesen Jugendfreund in Kontakt zu M. gelangte und damit auch an die Ceska.

14.10.2014 = Der 149. Verhandlungstag

Durchaus kurios ging es am 149. Tag im NSU-Prozess zu: Beate Zschäpes Verteidigung machte eine Äußerung, die ihre Mandantin möglicherweise einer Verurteilung näher führte – es ging aber vor allem um den Mitangeklagten André Emngr und dessen Ehefrau.

Ein Zeuge des Bundeskriminalamtes berichtete über die Hausdruchsuchung in der Wohnung von André Emngr, bei der man dessen Ehefau Susann und einen Bekannten der Familie am 24. November 2011 in der Frühe schlafend auf dem Sofa im Wohnzimmer fand. Beamte des BKA waren da mit einem Durchsuchungsbeschluss ins Haus gekommen – André Emngr war damals als Unterstützer der Terrorzelle „NSU“ enttarnt worden, jedoch nicht zu Hause.

„Nachdem sich die beiden Personen angezogen hatten, begannen wir mit der Durchsuchung der Wohnung und der anderen Räume“, sagte der Beamte. Was sich dort fand, berichteten anschließend zwei weitere BKA-Beamte, die zuerst aussagten , dass man Emngr bei seinem Zwillingsbruder Maik zeitgleich in Brandenburg festgenommen habe; auch die Jenaer Wohnung des ebenfalls in München Mitangeklagten Ralf Wohlleben wurde am 24. November 2011 durchsucht. Beim Ehepaar Emngr fanden die Ermittler zunächst u.a. Hinweise, „die dessen rechte Einstellung bekundeten“ wie ein Beamter vor Gericht aussagte, darunter im Schlafzimmer eine Dose mit der Aufschrift „Nationale Sozialisten Zwickau“ mit dem aufgeklebten Hinweis „spendet für: Propaganda und Schulung“.

Nach der Auswertung der beschlagnahmten Laptops, eines PCs und etlicher Festplatten fanden sich darauf Propagandamaterial, rechte Lieder, Videos und Hinweise auf weitere Verflechtungen: Die „Nationalen Sozialisten“ bildeten in Zwickau ein Netzwerk, das mit teils gewalttätigen Kundgebungen in der Stadt auf sich aufmerksam machte. Außerdem fanden sich Hinweise darauf, dass Familie Emngr nebst den beiden Kindern dem Terrortrio in der „Frühlingsstraße“ in Zwickau nahezu jede Woche einen Besuch abgestattet habe. Dass dabei auch die im ausgebrannten Wohnmobil in Eisenach neben den Leichen von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhrdt gefundene BahnCard übergeben worden sein muss, liegt als Ergebnis der Durchsuchung nahe, denn ebenfalls im Schlafzimmer der Emngrs lag der dazugehörige Brief des Unternehmens.

Aufmerksamkeit löste ein Schriftstück aus, dass nach Aussage des BKA-Beamten in einer Cordjacke im Flur der Wohnung gefunden worden war: ein Brief, verschickt von dem Campingplatz auf Fehmarn, auf dem Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt seit 2007 jahrelang Urlaub machten. Adressiert war er an Susann Emngr.

Im Anschluss an die Vernehmungen ging es noch einmal um die Befragung der mittlerweile 92 Jahre alten Dame, die in der Nachbarwohnung des „NSU“-Trios in Zwickau wohnte, als Zschäpe das Haus am 4. November 2011 in Brand setzte. Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer argumentierte, der Prozess verstoße, so wie er geführt werde, „gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens“ sowie die Europäische Menschenrechtskonvention, weil er Zschäpes Rechte verletze. Heer forderte, dass Zschäpes früherer Jenaer Anwalt Gerald Liebtrau als Zeuge geladen wird, mit dem sie sich im November 2011 bei der Landespolizeidirektion in Jena gestellt hatte. Der Grund: Liebtrau habe schon Anfang November 2011 darum gebeten, die betagte Zeugin nach dem Klingeln anlässlich des Brandausbruchs zu befragen; der Vorsitzende Richter Manfred Götzl entschied daraufhin, dass Liebtrau am 23. Oktober 2014 geladen wird.

Diese Einlassung der Zschäpe-Verteidigung belege jedoch ein Eingeständnis Zschäpes, den Brand gelegt zu haben, warf daraufhin Nebenklageanwalt Alexander Hoffmann ein. Auch sei fraglich, sagte Hoffmann, ob ein einfaches Klingeln schon einen Rücktritt von der Tat, eine sog. tätige Reue begründe.

15.10.2014 = Der 150. Verhandlungstag

Dass Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe Anfang 1998 untertauchen und als Terroristen des „NSU“ zehn Menschen ermorden würde, das konnte man auf Seiten der Thüringer Justiz in den 1990er Jahren nicht ahnen. Damals ging es bei diversen Gerichtsverhandlungen rund um das Trio um andere Dinge, die am 150. Prozesstag vor dem OLG München zur Sprache kamen, als das Gericht einige der damaligen Urteile verlas.

So verurteilte das Landgericht Gera Uwe Böhnhardt vor genau 17 Jahren wegen Volksverhetzung zu zwei Jahren und drei Monaten Jugendhaft. Und doch blieb der spätere Terrorist auf freiem Fuß, obwohl Böhnhardt da bereits einschlägig bekannt war und er (wie später er st bekannt wurde) zu dieser Zeit bereits an Rohrbomben mitgebaut hatte. In ihrem Urteil bescheinigten die Geraer Richter Böhnhardt lediglich „eine kriminelle Karriere mit Taten „quer durch das Strafgesetzbuch“ – keine rechtsradikale. Bis 1997 war bereits aufgelistet: Fortgesetzter Diebstahl in besonders schwerem Fall, fortgesetztes Fahren ohne Fahrerlaubnis, Gefährdung des Straßenverkehrs, Widerstand gegen einen Vollstreckungsbeamten, Erpressung, gefährliche Körperverletzung, Volksverhetzung, Verstoß gegen das Waffengesetz. Nur 1993 saß Böhnhardt für ein halbes Jahr in Untersuchungshaft; danach sah er kein Gefängnis mehr von innen.

Die Münchner Richter verlasen neben dem Urteil des Landgerichts Gera eines vom Amtsgerichts Jena, bei dem es erstinstanzlich um die gleichen Delikte ging, wie in Gera im Oktober 1997. Das Jenaer Amtsgericht hatte gegen Böhnhardt nur wenige Monate zuvor, im April 1997, eine Jugendstrafe von dreieinhalb Jahren verhängt in die ein früheres Urteil mit einbezogen worden war. Aus Sicht des Amtsgericht war ohne Zweifel erwiesen, dass Böhnhardt im April 1996 an einer Autobahnbrücke nahe Jena einen Puppentorso mit der Aufschrift „Jude“ und einem Davidstern aufgehängt hatte. Die Figur war verkabelt mit einem Karton, auf dem „Vorsicht Bombe“ stand.

Die Polizei beschoss damals den vermeintlichen Sprengsatz mit Wasserwerfern, um ihn zu zerstören, die Autobahn war drei Stunden gesperrt. Das Amtsgericht überführte Böhnhardt, da die Polizei an der Bombenattrappe einen Fingerabdruck von ihm gefunden hatte. Außerdem wurde Böhnhardt im April 1996 wegen des versuchten Verkaufs von drei volksverhetzenden CDs verurteilt. Doch der bestritt dies alles und sein Anwalt ging in Berufung. So musste das Landgericht Gera sich im Oktober 1997 mit dem Neonazi beschäftigen und die dortigen Richter hielten es nach dem Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ und glaubten Böhnhardt, dass dieser „den Karton nur irgendwann einmal eher zufällig“ in der Hand gehalten habe.

Das Ergebnis: Freispruch im Falle „Puppentorso mit Bombenattappe“, wegen des „Vorrätighaltens von drei rechtsextremen CDs“ für einen Verkauf bekam Uwe Böhnhardt vier Monate vor seinem Abtauchen zwei Jahre und drei Monate Jugendhaft – dies inklusive der noch nicht verbüßten früheren Strafe. Dass er nicht ins Gefängnis musste, lag daran, dass die Geraer Richter noch das Jugendstrafrecht anwandten, obwohl Böhnhardt bereits 20 Jahre alt war, denn das Landgerichts erwartete, „dass der Angeklagte unter dem Eindruck der Strafe reift“ und sich bewährt, wie es im Urteil hieß.

Als dann jedoch im Januar 1998 in Jena-Burgau die Zschäpe/Mundlos/Böhnhardt-Garage mit den Rohrbomben und Böhnhardts Fingerabdrücken entdeckt wurde, war Uwe Böhnhardt klar, was dies bedeuten würde: sofortiger Gang ins Gefängnis plus eine weitere empfindliche, mehrjährige Strafe. Deshalb setzten sich das Trio wohl am 26. Januar 1998 ab und tauchte unter. Erst knapp 14 Jahre später, am 4. November 2011, endete die Existenz der Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ mit zwei Leichen in Eisenach und einer explodierenden Wohnung in Zwickau, nach zehn Morden, drei Sprengstoffanschlägen und 15 Raubüberfällen.

Aber all das konnten die Richter am Landgericht Gera im Oktober vor 17 Jahren nicht ahnen, als sie Böhnhardt noch einmal verschonten.

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