Die Sprache der einstigen Sklaven: FSU-Wissenschaftler erforschen die Kultur Roma-stämmiger Minderheiten in Ungarn

07.01.20 • JEZT AKTUELL, KULTUR & BILDUNG, NEWSCONTAINER, START, UNSER JENA, WISSENSCHAFT, MEDIZIN & TECHNIKKommentare deaktiviert für Die Sprache der einstigen Sklaven: FSU-Wissenschaftler erforschen die Kultur Roma-stämmiger Minderheiten in Ungarn

Mitglieder einer Bajeschi-Familie in der südungarischen Gemeinde Alsószentmárton. – Foto: Kahl Nechiti

(Stephan Laudien) – Noch am Ausgang des 19. Jahrhunderts wurden Bajeschi, Angehörige einer rumänischen Volksgruppe, in den Donaufürstentümern offen zum Verkauf angeboten. „Die Bajeschi waren Sklaven, die besonders im Bergbau gearbeitet haben“, sagt Prof. Dr. Thede Kahl. Der Slawist von der Universität Jena hat gemeinsam mit seiner Kollegin Ioana Nechiti (derweil Aminian) die Situation der Bajeschi und der Rudari in Ungarn untersucht. Die Auswertung ihrer Feldstudien förderte erstaunliche Erkenntnisse zutage.

Die Bezeichnung Bajeschi lässt sich mit Minenarbeiter übersetzen. Offenbar wurden die Berufe dieser Menschen zu einem Oberbegriff zusammengefasst. Andere Zuschreibungen sind Löffelschnitzer, Trogschnitzer oder Tanzbärenhalter. Als Herkunftsregion lässt sich Siebenbürgen in Rumänien ausmachen. Eine andere Gruppe, die Rudari, – auch dies bedeutet Minenarbeiter – kommt aus der Walachei.

Gemeinsam ist diesen Menschen, dass sie wohl alle Roma-Nachfahren sind, diese ethnische Zuschreibung jedoch ablehnen. „Die Bajeschi haben Romani – die Sprache der Roma – vollständig abgelegt“, sagt Thede Kahl. Er nennt das Sprachtod, weil sich kein Substrat mehr in der Sprache nachweisen lässt. Nur noch in ganz wenigen Floskeln findet sich ein Rest Romani. So nennen die Bajeschi-Frauen ihre Männer „mein Mensch“, während die Ehefrauen „meine Zigeunerin“ genannt werden. Ist eine Frau hingegen schon etwas älter, wird sie „meine Tante“ genannt.

Die Bajeschi siedeln meist an der Peripherie von Städten und Dörfern, ganz in der Nähe der Roma. Angehörige dieser Volksgruppe leben heute in der Slowakei, der Ukraine, der Republik Moldau, in Griechenland, Serbien, Bosnien, Rumänien, Kroatien, Bulgarien, Nord-Makedonien und Ungarn. Im ungarischen Pécs gibt es ein Gymnasium, das speziell Bajeschi offensteht und ihnen die Möglichkeit bietet, ihre Matura in ihrer eigenen Sprache abzulegen.

Ihre Forschungsergebnisse haben Thede Kahl und Ioana Nechiti in dem Buch „The Boyash in Hungary. A Comparative Study among the Arĝeleni and Munĉeni Communities“ in Englisch veröffentlicht. Es enthält den Ertrag mehrerer Forschungsaufenthalte in Ungarn. Die fruchtbarsten Besuche bei den Bajeschi seien jene, bei denen getanzt und getrunken werde, sagt Prof. Kahl. „Wenn die Menschen in Feierlaune sind, vergessen sie Kamera und Mikrofon!“





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