Der 166. bis 169. Verhandlungstag im Münchner “NSU”-Prozess
Aus Pressemeldungen zusammengestellt von Annett Szabo-Bohr:
02.12.2014: Der 166. Verhandlungstag
Tag 166. des Prozessmarathons brachte wieder einmal ein „ehemaliges Mitglied der rechten Szene“ (so die eigene Aussage) in den Zeugenstand, der sich auf massive Erinnerungslücken berief. Sogar seinen Namen wollte der 42-Jährige „wegen der Presse“ nur bedingt preisgeben. „Soll ich jetzt erzählen, wie ich geboren wurde oder was?“ war die erste Antwort, die der Zeuge Michael P. dem Vorsitzenden Richter, Manfred Götzl, entgegenwarf. Götzl erklärte dem Zeugen ruhig, dass es in der Strafprozessordnung vorgesehen sei, dass Zeugen zunächst von sich aus zu zuvor angesprochenen Komplexen antworten sollen.
Auch seine Erinnerungen „an damals“ waren sehr verschwommen; zumindest erklärte der Zeuge, dass er weder Böhnhardt noch Mundlos noch die Angeklagte Zschäpe gekannt habe. Nur zu „Sekundär-Angeklagten“ (Zitat des Zeugen) habe er Kontakt gehabt. Michael P. gab an, dass er Ende der 90er Jahre ein Geschäft betrieben hat, „das sich mit Musik und Klamotten beschäftigt hat“. Es habe sich um „ganz normale Kleidung“ gehandelt, die auch von Punks und sportlichen Leuten getragen worden seien. Unverständnis hatte P., dass sich damals „Spitzel in lokale Gruppierungen reingeschlichen und dann die Führung übernommen haben“, wobei er auf den Chef des Thüringer Heimatschutzes Tino Brandt anspielte. Er, erklärte P., habe das damals schon so gespürt, später habe es sich dann als wahr erwiesen.
Also habe Michael P. Kontakt zum zu den Mitgliedern des „Thüringer Heimatschutzes“ gehabt, fragte ihn der Vorsitzende Richter Manfred Götzl-. Das schon, sagte P. aus, aber „die sahen martialisch aus“. Auch die politische Einstellung der Mitglieder sei ihm „zu extrem gewesen“. Dies veranlasste Götzl zur Nachfrage, wie er das definiere: „zu extrem“. Darauf betonte der Zeuge, dass er „vielleicht einiges mehr wisse, als er sagen könne“, aber damit würde er seine Ex-Frau belasten. Der Richter fragte nach: „Ist denn gegen Ihre Ex-Frau ein Verfahren anhängig?“ Der Zeuge verneint das.
Götzl klärte Michael P. daraufhin über dessen Rechte im Zeugenstand auf und wies ihn darauf hin, dass länger zurückliegende Taten verjährt seien. Nach einer kurzen Unterbrechung teilte der Senat dem Zeugen P. mit, dass er sich bis einer erneuten EInvernahme einen Rechtsbeistand suchen solle. Am 16. Dezember würde er dann, mit oder ohne einen Rechtsanwalt an seiner Seite, erneut in den Zeugenstand gerufen werden.
03.12.2014 = Der 167. Verhandlungstag
Am 167. Verhandlungstag gab es einen erneuten Antrag von der Verteidigung des Mitangeklagten Jenaers Ralf Wohlleben auf dessen Haftentlassung. Die Begründung: Es gebe seit langem keine neuesten Belastungsmomente – im Gegenteil. Der dringende Tatverdacht sei inzwischen relativiert worden. Wohlleben sitze jezt bereits seit drei Jahren in Untersuchungshaft. Und obwohl der Senat zwar nahezu durchgängig an drei Tagen pro Week verhandle, gehe das Verfahren kaum noch voran, sagte Wohleben Anwalt Klemke. da zu befürchten sei, dass sich das verfahren „sogar noch bis 2016“ hinziehen werde, sei die U-Haft aufzuheben oder wenigstens gegen Auflagen außer Vollzug zu setzen.
Im Zeugenstand war an diesem Tag ein ehemaliger V-Mann beim Brandenburger Verfassungsschutz. Er wurde während seiner Haft angeworben. Sein Auftrag: Informationen über das rechtsradikale Netzwerk „Blood & Honour“ sammeln sowie weitergeben. Andere Zeugen im NSU-Prozess haben über den V-Mann schon ausgesagt, der zwar Böhnhardt, Mundlos sowie die Hauptangeklagte Zschäpe gar nicht gekannt haben soll, jedoch in engem, regelmäßigen Kontakt mit einem Ehepaar sowie weiteren Personen gestanden haben soll, die wiederum Kontakt zu dem „NSU“-Terrortrio hatten, darunter Ralf Wohleben.
Der Zeuge berichtetet über seine V-Mann-Tätigkeit und darüber, dass er zu dem Ehepaar als erstes Kontakt knüpfen konnte. Über sie kam er kurz darauf auch in Kontakt mit den beiden anderen mumaßlichen „NSU“-Unterstützern, wie er berichtete „Ich hatte immer das Gefühl, dass der eine vor Ort ganz an der Spitze war. Ich denke ebenso , dass er der aktivste war sowie die Fäden in der Hand hielt“, berichtete der Zeuge. bei dem anderen mutmaßlichen „NSU“-Unterstützer habe er den Eindruck gehabt, dass dieser „die rechte Hand des ersten gewesen sei sowie ihm zugearbeitet hatte. Wohleben hätte vom Liederabend bis zum Großkonzert alles organisiert.
Mehrfach fragte der Vorsitzende Richter den Zeugen nach Waffen. Wurden welche beschafft in der Zeit, als dieser V-Mann war? Wurden dafür Spenden gesammelt? Wurde er aufgefordert, Waffen zu besorgen? Hier blieben die Antworten unkonkret. Der Zeuge schilderte, dass diese Information wenige unter den zahlreichen gewesen seien, die er dem Verfassungsschutz gegeben habe. Außerdem läge das Ganze „jetzt bereits zu lange zurück“.
09.12.2014 = Der 168. Verhandlungstag
Wesentlicher Beleg für die Kenntnis der Beate Zschäpe von den Taten ihrer „NSU“-Mitbewohner Böhnhardt und Mundlos sind nach der Anklage Fingerabdrücke auf gleich mehreren Zeitungsausschnitten über „NSU“-Morde. Wie kamen ihre Fingerabdrücke auf gesammelte Zeitungsberichte über die Verbrechen? Dies war der Fragenkomplex am 168. Verhandlungstag und der wurde belastend für die Hauptangeklagte.
Insgesamt wurden 18 Fingerabdrücke von Böhnhardt, Zschäpe und dem Mitangeklagten Andre Em#ng#r auf Zeitungsartikeln, die in dem Schutt der ausgebrannten Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße gesichert worden waren, festgestellt. Zwei weitere Spuren seien der Hauptangeklagten Beate Zschäpe zuzuordnen, erklärte nun eine Experte für Fingerabdrücke vom BKA. Es handele sich hierbei um den linken Daumen und Zeigefinger der inzwischen 39-Jährigen. Bei den Zeitungsausschnitten mit den insgesam t20 Spuren handelte es sich um Artikel, die sich mit dem Nagelbombenanschlag in Köln befassten, mit der „Angst vor dem Serienkiller der Döner-Morde“ und die in einem ordner abgehefteten Artikel hatten Schlagzeilen wie: „Schon weder eine Hinrichtung“, „Die Bombe war mit Nägeln gespickt“ oder „Kopfschusskiller: Die erste heiße Spur“.
Am Nachmittag war eine Richterin im Zeugenstand, die anwesend war bei der Vernehmung von zwei Zeugen, die von der Staatsanwaltschaft Bern am 24. Juni 2014 vernommen wurden. Die Richterin berichtete darüber, wer bei der Vernehmung anwesend war und dass Fragenkataloge rund um die Mordwaffe Ceska abgearbeitet worden seien.
10.12.2014 = Der 169. Verhandlungstag
Nochmals stand an diesem Prozesstag im OLG München die 40 Jahre Jahre alte Erzieherin im Zeugenstand, die in den 1990er-Jahren Mitglied eines rechtsextremen Netzwerks war und damals zusammen mit ihrem MAnn den Szeneladen „Sonnentanz“ in der Nähe von Chemnitz betrieb. Sie soll während des Untertausches des Terror-Trios des „NSU“ der im Prozess Hauptangeklagten Beate Zschäpe ihren Reisepass zur Verfügung gestellt haben.
Bei ihrem ersten Auftreten in München berief sich die Zeugin auf Erinnerungslücken und schilderte des „Blood and Honour“-Netzwerk, an dem sie teilnahm, derart harmlos („Stammtischtreffen, bei dem Ehepaare mit ihren Kleinkindern zusammenkamen“), dass der Vorsitzende Richter sie an die Wahrheitspflicht vor Gericht ermahnen musste. Am 169. Verhandlungstag räumte sie ein, sie sei „das einzige Mädchen“ im Kreis von „Blood and Honour“ gewesen. Die Devise der Männer habe dabei gelautet: „Frauen gehören an den Kochtopf“. Die Zeugin gab außerdem zu Protokoll, sie habe „nichts gemacht“ und wisse “ an sich nichts“ zu den Themen, über die man sich unterhalten habe, habe sich auch an nichts beteiligt was dort besprochen worden sei, sondern sie sei nur „da gewesen“.
Ein Disput zwischen den Anwälten der Nebenklage un denen der Anklage ergab sich, als Zschäpe-Anwalt Wolfgang Stahl beanstandete, dass „Duchleuchtungsfragen nach der Vita der Zeugin“ in keinem Zusammenhang mit der Anklage stünden. Ihm gehe es um die Glaubwürdigkeit der Zeugin, erwiderte ihm Nebenklagevertreter Alexander Hoffmann, und an der bestünden erhebliche Zweifel. Immer wieder entwickelten sich Wortgefechte, die aich Götzl nicht beenden konnte, wobei es „um schon beantwortete Fragen“, um „im Sinn der Nebenklage unzureichend beantwortete Fragen“ und um „pauschale, nichtssagende“ Antworten ging.
Wohleben-Verteidiger Klemke warf dem Vorsitzenden Richter „zu viel Hilfestellung für die Nebenklage“ vor, was Thomas Bliwier als Nebenklagevertreter im Fall Yozgat, zu der Bemerkung veranlasste: „Dann stellen Sie doch einen Antrag, wenn Sie meinen, der Vorsitzende sei befangen!“ – „Ihre Belehrungen sind nicht erwünscht, Herr Kollege!“ entgegnete Klemke giftig und wandte sich wieder dem Vorsitzenden zu: „Dass Sie dem Herrn Bliwier eine solche Bühne geben!“
Am Ende des Tages fasste der mit den Worten“Wir hatten heute hier eine Debatte wie bisher noch nicht“ das Erlebte zusammen. Götzl endete mit den Worten: „Aber vielleicht verklärt sich ja auch manches in der Rückschau.“
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