Der 170. bis 172. Verhandlungstag im Münchner “NSU”-Prozess
Aus Pressemeldungen zusammengestellt von Annett Szabo-Bohr:
11.12.2014: Der 170. Verhandlungstag
Im „NSU“-Prozess in München sind am 170. Verhandlungstag Fotos vorgelegt worden, die belegen sollten, dass die Hauptangeklagte Beate Zschäpe an der Ausspähung von Anschlagsorten beteiligt gewesen ist. Die Bilder stammen von einer CD, die im Brandschutt der von Beate Zschäpe am 4. November 2011 angezündeten Wohnung in Zwickau lag. Auf dem letzten Foto sitzt der tote „NSU“-Terrorist Uwe Böhnhardt neben seiner damaligen Lebensgefährtin Beate Zschäpe, auf einem blauen Sofa. Der Verdacht der Bundesanwaltschaft: die Angeklagte habe an Ausspähfahrten nach Stuttgart und Hof teilgenommen, ist angesichts der Bilddatei nicht auszuschließen, denn sämtliche vorgelegten Fotos entstanden an zwei aufeinander folgenden Tagen im Juni 2003 in Stuttgart.
Auf mehreren Bildern steht Uwe Böhnhardt mit Sonnenbrille, sportlicher Kleidung und einem Mountainbike vor einem türkischen Grillrestaurant und dann bei einem ebenfalls türkischen Geschäft. Es folgt ein Foto vom Messingschild der SPD-Geschäftsstelle in der nordbayerischen Stadt Hof. Das letzte Bild aus der Serie zeigt ebenfalls Böhnhardt, jedoch ohne Sonnenbrille, mit Zschäpe auf dem blauen Sofa. Wo diese Aufnahme entstand, ist jedoch unklar. Der Kriminalbeamte des BKA, der vor Gericht die Fotos kommentierte vermutete „wohl nicht ein Hotelzimmer, eher eine private Unterkunft“.
Theoretisch könnte das Foto auch in Zwickau aufgenommen worden sein, denn anhand der vom BKA rekonstruierten zeitlichen Daten der Fotos ist das SPD-Schild zwei Stunden vor der Aufnahme des Sofas gemacht worden und Zwickau ist von Hof etwa 70 Kilometer entfernt; eine Fahrstrecke, die Böhnhardt und Mundlos, die bei Ausspähfahrten zumeist in gemieteten Fahrzeugen unterwegs waren, in zwei Stunden ohne Probleme hätten schaffen können. Zschäpe äußerte sich vor Gericht zu den Fotos, wie üblich, nicht.
16.12.2014 = Der 171. Verhandlungstag
An Verhandlungstag 171 versuchte das Münchner Oberlandesgericht erneut, die Frühphase des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ auszuleuchten. Es ging hierbei um die Jahre 1998 bis 2000, also die Zeit, als Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe zunächst in Chemnitz untertauchten.
Im Zeugenstand war an diesem Tag Michael P., der langjährige Betreiber mehrerer Neonaziläden. Er und seine damalige Frau Antje sollen beim Neonazi-Netzwerk „Blood and Honour“ aktiv gewesen sein; eine Woche zuvor war bereits Antje P. im Zeugenstand gewesen. Wie schon seine Ex-Frau versuchte auch dieser Zeuge seine Rolle in dem Nazi-Netzwerk herunterzuspielen. Er habe zwar ein wirtschaftliches Interesse an „Blood and Honour“ gehabt, gestand er („Ich wollte ihnen CDs und Klamotten verkaufen.“), aber ansonsten von den Zielen „wenig gehalten“, ebenso wie seine Ex, die „sicherlich keine wichtige Rolle“ bei „Blood and Honour“ gespielt habe, so der Zeuge vor der Münchner Strafkammer.
Daraufhin wollte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl wissen, wie der Zeuge „Blood and Honour“ einschätzen würde. Aus seiner Sicht, erklärte Michael P., habe es sich hierbei um einen Verein gehandelt „für patriotische junge Menschen mit Hang zur Romantik“. Waffen oder Gewalt seien, jedenfalls wenn er dabei gewesen wäre, zu keinem Zeitpunkt Thema gewesen, so der Zeuge weiter. Die Ausführungen von Michael P. waren teils derart grotesk, dass im Publikum immer wieder Unruhe aufkam.
Am Nachmittag wurde ein Richter des Bundesgerichtshofs als Zeuge vernommen, der den Mitangeklagten Carsten Sch#ltz#. nach dessen Verhaftung Ende Januar 2012 erstmals vernommen hatte. Dabei habe der Angeklagte auch offenbart, dass er im Auftrag des ebenfalls in München Angeklagten Ralf Wohlleben sowie des Jenaer Neonazis André Kapke telefonischen Kontakt zu den untergetauchten Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe gehalten hatte, dass er im Auftrag Wohllebens in dem Jenaer Neonaziladen „Madley“ eine Pistole besorgt, sie gemeinsam mit Wohlleben begutachtet und schließlich an das Trio geliefert habe.
Insgesamt habe sich Sch#ltz#. bei der Vernehmung „umfassend aussagebereit“ gezeigt, so der Bundesrichter. Auch über seine eigene Rolle, seinen Weg in die Naziszene und wieder heraus habe der Angeklagte bereitwillig Auskunft gegeben. so der Zeuge.
17.12.2014 = Der 172. Verhandlungstag
Um den Juni 1999 ging es an diesem Verhandlungstag, dem letzten im Jahre 2014. Damals deponierten Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos eine als Taschenlampe getarnte Rohrbombe in der Toilette einer Nürnberger Gaststätte. Der Sprengsatz explodierte, als ein Putzmann den Schalter drückte. Das Opfer wurde im Gesicht, an den Armen und am Oberkörper verletzt.
Wie die Aussage eines bayerischen LKA-Ermittlers im „NSU“-Prozess ergab, sollte die Bombe wohl töten. Denn das mit Schwarzpulver gefüllte Metallrohr war extra so angesägt worden, damit bei einer Explosion möglichst viele Splitter entstehen. Diese hätten schwere Verletzungen bis zur Todesfolge verursachen können, so der Ermittler. Allerdings war die Sprengkraft zu schwach gewesen, um „mit Effekt“ zu explodieren, so der Zeuge.
Dennoch habe sich ihm ein Bild der Verwüstung gezeigt, als er den Tatort einen Tag nach der Explosion besichtigt habe, erklärte der LKA-Beamte. Überall seien Plastikteile herumgelegen, es habe immer noch nach Schwarzpulver gerochen. Die Bombe hätten die Attentäter aus einem handelsübliches dreiviertel Zoll Wasserrohr gebastelt. Das Schwarzpulver sei vermutlich aus einer Vielzahl von Chinaböllern zusammengestellt worden. Gezündet wurde der Sprengsatz schließlich offenbar durch eine Glühbirne.
Bei der Befragung durch Richter Götzl wurde allerdings wieder einmal deutlich, dass die Bayerische Polizei einen möglichen terroristischen Hintergrund seinerzeit von Anfang an ausschloss – es gebe keine Anhaltspunkte für eine ausländerfeindliche Tat, hieß es schon in der ersten Meldung der Nürnberger Polizei. Stattdessen wurde, so der zeuge, zeitweise gegen das Opfer selbst ermittelt, da dieser mit kleineren Rauschgiftdelikten aufgefallen war. Nachdem diese Ermittlungen nichts ergaben, wurden sie eingestellt und der Fall zu den Akten gelegt.
Im Anschluss an die Zeugenaussage des LKA-Ermittlers verlas das Gericht Ausschnitte aus der Neonazizeitschrift „Sonnenbanner“, die 1998 in einer von Zschäpe angemieteten Garage in Jena-Burgau gefunden worden war. In der Zeitschrift wurden ausführliche Anleitungen zum Untergrundkampf gegeben – von der Zellenbildung bis zu konspirativem Verhalten. Auch Passagen aus dem extrem rechten Fanzine „Der Weiße Wolf“ wurden verlesen, darunter ein Liedtext des Neonazibarden Frank Rennicke und das Gedicht „Der Asylbetrüger in Deutschland“, das dem Münchner Neonazi-Stadtrat Karl Richter zugeschrieben wird. Er wurde jedenfalls für die Veröffentlichung des Gedichts in der Coburger Zeitschrift „Nation Europa“ rechtskräftig verurteilt.
Der „Weiße Wolf“ war im Übrigen auch die Publikation, in der das Kürzel „NSU“ als erstes auftauchte, und zwar schon im Jahr 2002. Seitdem musste – zumindest in Teilen – der Neonaziszene also bekannt gewesen sein, dass es eine Organisation dieses Namens gab.
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