Der 191. bis 195. Verhandlungstag im Münchner “NSU”-Prozess
Aus Pressemeldungen zusammengestellt von Annett Szabo-Bohr:
Fast 200 Prozesstage sind inzwischen wegen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ / „NSU“ ins Land gegangen. Weiterhin wird man HIER bei RADIO LOTTE aus Weimar kompetent über den Prozess informiert.
10.03.2015: Der 191. Verhandlungstag
Am 191. Tag des Prozesses gab es eine kleine Überraschung. Entgegen den Angaben des Thüringer Verfassungsschutzes bestritt der Zeuge Marcel D., als V-Mann tätig gewesen zu sein. Der 39-Jährige war um die Jahrtausendwende Chef des Thüringer Ablegers der rechtsextremen „Blood & Honour“-Organisation. Beim Landesamt für Verfassungsschutz wurde er damals unter dem Decknamen „Hagel“ geführt und soll regelmäßig Informationen geliefert haben. Genauso wurde es auch den Untersuchungsausschüssen des Thüringer Landtags und dem des Bundestags mitgeteilt. Vor dem Münchner OLG behauptete Marcel D. allerdings zur Verblüffung des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl und der Bundesanwälte, er habe nie als Quelle für den Verfassungsschutz gearbeitet. Das OLG entschied eine Überprüfung der Angelegenheit und Götzl drohte D. ein Verfahren wegen Falschaussage gegen ihn an, falls der vor Gericht die Unwahrheit gesagt habe.
Als Zeuge sagte er dennoch aus. Dabei bestritt er jedoch im Jahre 1999 Hinweise über das Terror-Trio besessen zu haben. In den Prozessakten wird Marcel D. mit den Worten zitiert, Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt (die 1998 untergetaucht waren) würden „keine Geldspenden mehr benötigen“, da sie mittlerweile „jobben“ würden. Die Anklage gegen Beate Zschäpe wertet dies als Hinweis auf den Beginn einer Serie von Raubüberfällen, die dem „NSU“ zugeschrieben werden. D. sagte zu Richter Götzl, er habe das Trio persönlich gar nicht gekannt, sich jedoch damals tatsächlich „mal nach den Dreien erkundigt“, denn 1999 seien viele Gerüchte über sie im Umlauf gewesen, zum Beispiel dass sie in Südafrika seien oder in Kroatien. Da habe er wissen wollen, was stimmt, sagte D. aus.
11.03.2015: Der 192. Verhandlungstag
An diesem Prozesstag sagte mit Andreas R. beim „NSU“-Prozess in München ein Schulfreund von Uwe Mundlos und Beate Zschäpe aus. Mundlos sei bereits als Jugendlicher immer mehr in die rechte Szene abgedriftet. Zschäpe hingegen beschrieb der Zeuge als „vulgär“.
R. war einige Jahre der „beste Freund“ von Uwe Mundlos, wie der Zeuge mit eigenen Worten aussagte und er berichtete von einer „wilden Zeit in Jena“, in der Diebstahl für Jugendliche so etwas war, wie „ein kleiner Sport“. Andreas R. will sich selbst daran jedoch nicht beteiligt haben, wie er zu Richter Manfred Götzl sagte, aber er habe eben alles mitbekommen, was die Clique um Uwe Mundlos und Beate Zschäpe im Winzerlaer Plattenbauviertel trieb oder „womit sie prahlten“, wie R. es ausdrückte. Zum Beispiel habe es „Überfälle auf Fidschis, also auf Vietnamesen“ gegeben. Mundlos, Zschäpe und deren damaliger Freund sollen vietnamesische Zigarettenhändler in die Enge getrieben und dann ausgeraubt haben. Strafen wären laut den Worten von Mundlos, so sagte er Andreas R., nicht zu befürchten gewesen, „weil die das ja illegal gemacht hatten“. Auf eine Rückfrage von Götzl formulierte es R. dann sarkastischer: „Vietnamesen waren nicht mit der stärksten Lobby vertreten in unserer Stadt“. Und Winzerla sei ja auf dem Weg gewesen, eine „national befreite Zone“ zu werden.
Der Zeuge sagte aus, er habe „ungefähr bis 1995 / 1996 Kontakt zu Mundlos und Zschäpe“ gehabt. Aber weil diese immer engeren Kontakt zu Uwe Böhnhardt hatten, sei seine Freundschaft mit Zschäpe und Mundlos „verloren gegangen“. Nach Aufforderung des Vorsitzenden Richters beschrieb R. Uwe Mundlos und Beate ZSchäpe detailliert und wohl auch authentisch. Mundlos sei als Schüler schlau gewesen, aber faul. Unterricht habe ihn schnell gelangweilt und so provozierte Mundlos schon zu DDR-Zeiten in der Schule gerne. Kam ein NVA-Offizier in die Klasse zum Wehrkundeunterricht, habe Uwe Mundlos diesen auch schon einmal mit „hier stinkt’s“ tituliert. Die Provokation gegen den Staat habe er wohl von seinem Vater, sagte der Zeige, weil der sich in Jena zu DDR-Zeiten oft mit der Verwaltung angelegt hatte. Als dessen Sohn allerdings nach der Wende immer stärker in den Rechtsextremismus abdriftete, habe Vater Mundlos versucht, „ihn einzufangen“, jedoch vergeblich, so der Zeuge.
Weshalb er nicht Mundlos in die rechte Szene mitgefolgt sei, wollte Manfred Götzl von dem Zeugen wissen. „Das ist nicht meine Welt gewesen“, sagte R. und gab das Tragen der Uniformen und die Hass-Parolen gegen Ausländer als zwei seiner Gründe an. Götzl sprach ihn auch auf zwei Dinge an, die der Zeuge bei den polizeilichen Vernehmungen eher beiläufig erwähnt hatte. Andreas R. sagte dann aus, Mundlos habe sich bereits zu DDR-Zeiten für die Rote Armee Fraktion interessiert und habe sich Gedanken gemacht, „wie die das angestellt haben, unterzutauchen“. Außerdem berichtete R.: „Den rosaroten Panther fand er schon damals sehr gut. Viele von Paulchens Sprüchen hat er damals schon drauf gehabt“.
Mit der Intelligenz von Beate Zschäpe sei es dagegen „nicht sehr weit“ her gewesen, sagte der Zeuge. Ihr „vulgäres Auftreten“ sei in der Clique ebenso beliebt wie gefürchtet und für ihr Alter (Zchäpe war damals nach Aussage von R. 16 Jahre alt) „im Umgang mit Jungs schon sehr weit“ gewesen. „Sie war selbstbewusst“ und habe mit unanständigen Ausdrücken „herumgeworfen“, so Andreas R.; eine eigene politische Meinung habe sie jedoch nicht vertreten, sagte er aus.
18.03. / 19.03.2015 = Der 193. und 194. Verhandlungstag
An Tag 193. befasste sich die Strafkammer am OLG München mit dem Mitangeklagten Carsten Sch#ltz#. Er war seinerzeit 19 Jahre alt, als er den, nach eigener Aussage, „größten Fehler“ seines Lebens beging und Anfang 2000 in Chemnitz den „NSU“-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die Pistole Ceska 83 übrgab, mit der die beiden Neonazis kurz danach neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft ermordeten. Über ihn und seine Persönlichkeit gab nun vor dem Oberlandesgericht mit Dr. Norbert Leygraf ein renommierter Psychiater Auskunft.
Leygraf bescheinigte Sch#ltz#, dessen „Persönlichkeitsbildung“ sei im Jahre 2000 „beeinträchtigt“ und noch „erhebliches Entwicklungspotenzial“ vorhanden gewesen. „Mangelnde sexuelle Identitätsfindung bestimmte seine Handlungen mit“, sagte der Gutachter, der an der Universität Duisburg-Essen das Institut für Forensische Psychiatrie leitet. In seinem Gutachten, das Richter Manfred Götzel verlas, wird Leygraf sogar noch deutlicher und betont, dass „ernsthafte Anhaltspunkte“ dafür sprächen, dass der Angeklagte „im Zeitraum der Tat von seinem sittlichen und geistigen Entwicklungsstand her noch einem Jugendlichen gleichstand“.
Am Folgetag kam die Sprache nochmals auf die Wohnverhältnisse in der Zwickauer Polenzstraße. Zuvor wurde aber verkündet, dass ein weitere Antrag der Verteidigung von Ralf Wohlleben abgelehnt worden sei, diesem Haftverschonung durch Entlassung aus der Untersuchungshaft zu gewähren, in der sich der Mitangeklagte seit November 2011 befindet. Anschließend sagten zwei ehemalige Nachbarinnen aus der Polenzstraße aus. Dort hatte das“ NSU“-Trio von 2001 bis 2008 in einem Mehrfamilienhaus gelebt. Vor allem Beate Zschäpe war unter dem Namen „Liese“ bzw. „Lisa“ bei den Nachbarn und Bewohnern des Hauses bekannt und bei gemeinsamen Einkäufen als großzügig beliebt. Ob ihr Freund „Gerry“ (= Uwe Böhnhardt) nichts dagegen habe, wenn Zschäpe auch mal die Einkäufe der anderen mitbezahlte, wolle eine Nachbarin von Zschäpe wissen. „Der muss nicht alles wissen“, habe „Lisa“ daraufhin erklärt.
Aber die Zeugin wusste auch anderes aus dem Mietshaus zu berichten. Demnach deutete Zschäpe ein Intimleben mit Böhnhardt und Mundlos an. „Es kam rüber, dass das von ihr verlangt wurde“, sagte die Zeugin, aber Zschäpe sei darüber beschämt gewesen. „Lisa“ soll auch geklagt haben, ihr Freund verbiete ihr Döner zu essen. Das habe sie dann aber hin und wieder trotzdem gemacht. Einmal sei sie mit einem Döner um die Ecke gekommen und sagte, sie habe „so einen Hunger gehabt“, berichtete die Zeugin. Weitere Dinge aus dem Privatleben der drei Bewohner des Mietshauses habe es allerdings nicht gegeben. Bis auf die wenigen Einblicke, so erinnerte sich die einstige Nachbarin, sei ihr das verschlossen geblieben.
25.03.2015 = Der 195. Verhandlungstag
Am 190. Tag des „NSU“-Prozesses wurde offenbar, wie das „NSU“-Trio seine Haushaltskasse auffüllte: mit Überfällen auf Sparkassen. Thema war u.a. der vorletzte Banküberfall, der laut Anklage auf das Konto von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt geht. Am Morgen des 07.09. 2011 überfielen die beiden eine Sparkassenfiliale in Arnstadt und erbeuteten dabei den Kassenbestand von 15.000 Euro. Mehrere Zeugen berichteten u.a. über das brutale Vorgehen der beiden als Bankräuber. So habe Uwe Böhnhardt – ein Zeuge sagte „der größere der beiden“ – einer Angestellten mehrfach ein herausgerissenes Telefon auf den Kopf geschlagen und ihr hierdurch eine schwere Platzwunde am Kopf und Prellungen an Armen und Händen zugefügt. Am Ende sei sie benommen in einer Blutlache am Boden liegen geblieben.
Als Zeugen geladen waren neben den fünf Mitarbeitern der Filiale auch zwei Polizisten aus Gotha und Paderborn. Klar wurde, dass der Überfall in Arnstadt mehr chaotisch als geordnet verlaufen ist. Uwe Mundlos sei, während Böhnhartdt die Frau traktierte, mit einer weiteren Angestellten zum Büro des Filialleiters gegangen, in jeder Hand eine Pistole. Der Fillialleiter versuchte dann, das Zeitschloss am gesicherten Tresor zu öffnen. „Im einen Moment drohte er mir damit, mich zu erschießen. Im anderen Moment war er plötzlich weg“, sagte der Fillialleiter. Der Grund war offensichtlich der Umstand, dass eine Angestellte nach draußen flüchten konnte. Das habe mutmaßlich dazu geführt, dass der Überfall abgebrochen worden sei und die Täter sich mit der Beute des Kassenbestands zufrieden gegeben hatten, so ein Kriminalbeamter. Zeugen berichteten der Polizei anschließend, die beiden Täter seien auf Fahrrädern geflüchtet.
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